02 Warum der Mensch kein Tier sein will

Autorin: Dagmar Röhrlich

Abschied von den Affen?

Bernhard Grzimek widmete dem Menschen in seinem berühmten „Tierleben“ ein ganzes Kapitel – gibt es doch ausreichend Belege dafür, dass der Mensch ein Primat ist, somit ins Tierreich gehört und ebenso wie andere Tiere der Evolution unterliegt.

Wie sich der Mensch aus affenartigen Vorfahren entwickelt hat, steht im Zentrum der sogenannten Paläoanthropologie, einer hochdynamischen Wissenschaft. In sie taucht diese Folge des hr-iNFO-Funkkollegs ein und fragt: Was sind die Merkmale, die den Menschen als Mensch charakterisieren und von den übrigen Tieren abheben? Was ist die wissenschaftlich aktuelle Meinung zur Menschwerdung? Trägt die bekannte Erklärung der Herkunft „out of Africa“ noch? Was ist an der Theorie „out of Asia“?

Was ist unser Platz im biologischen Gefüge?

Manch Forscher wollte die „tierische Abstammung“ widerlegen, andererseits behandelten die Völkerschauen des 19. und 20. Jahrhunderts Menschen anderer Länder wie Tiere. Woran liegt das? Ist es eine Folge der kulturellen Evolution? Oder Folge religiöser Überprägung? Der Aufklärung? Lieber als sich als Tier zu erkennen, erhebt sich der Mensch über andere Tiere, Stichwort Speziesismus, und betrachtet kaum eins als ebenbürtig. Mit welchem Recht halten wir uns für besser? Ist es Selbstüberschätzung? Ein Kommunikationsproblem, weil wir die Sprachen vieler Arten nicht verstehen? Liegt es an fortschreitender Naturentfremdung? Was ist das Besondere am Menschen, das ihn zu solch einer ambivalenten Spezies macht?

Folge 2 anhören:

Sendung in hr-iNFO: 12.12.2020, 11:30 Uhr

Gesprächspartner*innen dieser Folge

  • Dr. Christine Hertler, Paläobiologin Senckenberg Naturmuseum und Forschungsinstitut Frankfurt, Goethe-Universität Frankfurt
  • Anja Horstmann, Historikerin (Schwertpunkt: Fachjournalistik Geschichte), Justus-Liebig-Universität Gießen
  • Prof. Dr. Thomas Junker, Biologiehistoriker und Evolutionsbiologe, Eberhard Karls Universität Tübingen
  • Prof. Dr. Johannes Krause, Archäogenetiker, Direktor des Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie, Leipzig
  • Prof. Dr. Friedemann Schrenk, Paläoanthropologe Senckenberg Naturmuseum und Forschungsinstitut Frankfurt, Goethe-Universität Frankfurt
  • Prof. em. Dr. Eckart Voland, Philosoph (Schwerpunkt: Philosophie der Biowissenschaften), Justus-Liebig-Universität Gießen
  • Prof. em. Dr. Wolfgang Welsch, Philosoph Friedrich-Schiller-Universität Jena

Zusatzmaterial

  1. Über den Ursprung der Arten
  2. Der Mensch als Tier
  3. Geradlinige Evolution?
  4. Kognitive Fähigkeiten im Tierreich
  5. Soziales Lernen
  6. Die Entwicklung des Menschen
  7. Die Völkerschauen
  8. (Buch-)Tipps

1. Über den Ursprung der Arten

Mitte des 19. Jahrhunderts war in der westlichen Welt noch die göttliche Schöpfung die vorherrschende Vorstellung vom Ursprung des Lebens. In der Wissenschaft wurden allerdings bereits verschiedene spekulative Theorien, wie zum Beispiel der Lamarckismus, diskutiert.

Lamarckismus beschreibt eine Evolutionstheorie, die unter anderem davon ausging, dass sich Körperteile durch Gebrauch verändern und diese Veränderung an die Nachkommen vererbt wird. Das bekannteste Beispiel für diese Theorie ist der Giraffenhals. Dieser hat sich der Theorie zufolge dadurch entwickelt, dass sich Giraffen (Giraffa) während ihres Lebens immer wieder streckten, um an Blätter zu gelangen, der Hals sich dadurch verlängerte und die Tiere dieses Merkmal vererbten.

Der Biologe Charles DARWIN (1809-1882) revolutionierte mit seiner Evolutionstheorie das Verständnis über die Entstehung der Arten. Die Hypothese, dass Lebewesen durch natürliche Auslese neue Lebensbereiche erschließen oder sich an Veränderungen anpassen, eröffnete eine völlig neue Sicht auf die Natur und den Menschen.

https://www.wasistwas.de/archiv-wissenschaft-details/charles-darwins-evolutionstheorie.html
https://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/lamarckismus/6809

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2. Der Mensch als Tier

DARWINs Sichtweise, dass der Mensch als Primat zu den Tieren zu rechnen ist, erfuhr viel Gegenwind. Die Vorstellung, der Mensch sei nicht die Krone der Schöpfung, sondern nur eine „Spielerei der Natur“, widersprach dem Bild vom überlegenen Organismus. Zeitgenössische Karikaturen stellten DARWIN als Affen dar und würdigten ihn so als für sie niederes Lebewesen herab.

Abbildung 1: Darwin als Affe. Quelle: imago.

Das Selbstverständnis der Überlegenheit verschwand jedoch nicht mit der Anerkennung eines gemeinsamen Ursprungs der Primaten. So wurde etwa die wissenschaftlich nicht haltbare Unterteilung der Menschen in verschiedene Rassen von den jeweiligen Zeitgenossen als Begründung für Apartheit, Kolonialismus und die Verbrechen der Nationalsozialisten genutzt.

https://www.n-tv.de/wissen/Darwin-Jahr-2009-article44529.html

https://www.planet-schule.de/wissenspool/experiment-verwandtschaft/inhalt/hintergrund/kurs-mythen-ueber-die-evolution.html

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3. Geradlinige Evolution?

Dass der Evolution kein „großer Plan“ oder eine vorgegebene Richtung zugrunde liegt, zeigt sich zum Beispiel an verschiedenen heute lebenden Tiergruppen. Unter ihnen kommt es immer wieder vor, dass sich vergleichbare funktionelle Strukturen entwickeln, ohne dass die Tiergruppen in einer näheren Verwandtschaftsbeziehung stehen.

Ein Beispiel für diese sogenannten Analogien sind die Vorderflossen der Fische (Pisces) und der zu den Säugetieren (Mammalia) zählenden Wale (Cetacea). Die Mammalia entstammen wasserlebenden Vorfahren, die sich im Laufe der Zeit an das Landleben anpassten. Dazu gehörte beispielsweise die Evolution der Lungenatmung. Doch einige Vertreter Tiergruppe passten sich erneut an das Leben im Wasser an und bildeten zum Beispiel Flossenstrukturen aus, die in Form und Funktion denen der Fische ähneln.

https://www.biologie-seite.de/Biologie/Meeress%C3%A4uger
https://www.mdr.de/wissen/weg-der-wale-ins-meer-100.html

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4. Kognitive Fähigkeiten im Tierreich

Viele kognitive Fähigkeiten, die oft allein dem Menschen zugeschrieben werden, finden sich auch im Tierreich. Vor allem unsere nahen Verwandten, die Schimpansen (Pan), zeigen Eigenschaften wie Geduld, Planung, Erinnerungsvermögen sowie eine angepasste Problemlösung. All dies setzt ein gewisses Maß an logischem Denken voraus. Bei einem Experiment zum Erinnerungsvermögen, bei dem es um die Position und Reihenfolge von Zahlen ging, schnitten Schimpansen wesentlich besser ab als Menschen. Auch im Hinblick auf negativ-assoziierte Eigenschaften ähneln sich Menschen und Schimpansen. Sie führen Krieg und im Falle von geklauter Nahrung oder anderer „Fehlverhalten“ können sich Schimpansen daran erinnern und rächen.

https://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/gedaechtnisforschung-schimpansen-mit-sicherem-gespuer-fuer-ziffern-1491077.html
https://www.sueddeutsche.de/wissen/verhaltensforschung-krieg-der-affen-1.3552403
https://www.eva.mpg.de/german/psychologie/primatenkognition.html
https://www.mdr.de/wissen/enttaeuschte-schimpansen-100.html
https://www.spektrum.de/news/schimpansen-raechen-sich-an-schimpansenleiche/1437035
https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/schimpansen-besitzen-die-kognitiven-faehigkeiten-zum-kochen-a-1036897.html

Nachfolgend finden Sie einen interessanten Beitrag von „Terra X“ zu diesem Thema:

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5. Soziales Lernen

Auch im Falle des sozialen Lernens wurden interessante Beobachtungen im Tierreich gemacht. In den 1950er Jahren wurde bei einer Gruppe von Japanmakaken (Macaca fuscata) beobachtet, wie ein Jungtier regelmäßig seine Nahrung wusch. Dieses Verhalten wurde von den erwachsenen Tieren aufgegriffen und sogar an die nachfolgenden Generationen weitergegeben. Über die Jahre veränderten die Makaken ihr Verhalten und gingen vom Waschen im Süßwasser zum Waschen im Salzwasser über. Unklar ist, ob dies dem Salzen der Nahrung dient.

https://www.spektrum.de/wissen/10-gruende-warum-man-makaken-einfach-lieben-muss/1404361

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6. Die Entwicklung des Menschen

Seit Darwin versucht die Anthropologie, die Wissenschaft vom Menschen, mehr über unsere Entwicklung herauszufinden. Die aktuell verbreitetste Theorie dazu besagt: Ausgehend von einem gemeinsamen Vorfahren mit den Menschenaffen entwickelte sich die Gruppe der sogenannten Hominini, zu der auch der heutige Mensch (Homo sapiens) zählt. Viele Angehörige dieser Gruppe lebten innerhalb der vergangenen vier Millionen Jahre, hauptsächlich in Afrika, und ähnelten dem Homo sapiens in unterschiedlichen Merkmalen.

Doch es gibt noch Forschungsbedarf: Welche Arten etwa gehörten genau zur Gruppe der Hominini? Wie waren sie miteinander verwandt? Und wie entwickelte sich speziell die Gattung Homo vor 2,8 Millionen Jahren? Vermutlich verließ der Homo erectus als erster Hominini Afrika in Richtung Europa und Asien. Inzwischen ist der letzte lebende Vertreter der Hominini der Homo sapiens. Sein letzter Verwandter, der Neandertaler (Homo neanderthalensis), starb vor ca. 40.000 Jahre aus. Ein kleiner Teil des genetischen Erbes der Neandertaler lebt aber in uns weiter. Manche dieser Gene wurden in Zusammenhang mit unserem Immunsystem oder auch mit einer hellen Hautfarbe gebracht.


https://www.br.de/wissen/homo-sapiens-evolution-geschichte-moderner-mensch-100.html
https://www.mpg.de/neandertaler

  • SUHR, Dierk (2018): Das Mosaik der Menschwerdung: Vom aufrechten Gang zur Eroberung der Erde: Humanevolution im Überblick. Berlin: Springer Verlag GmbH Deutschland. (ISBN: 978-3-662-56829-3)

Nachfolgend zwei interessante Beiträge von „Quarks“ zu diesem Thema.

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7. Die Völkerschauen

In der Podcastreihe „Eine Stunde History“ von Deutschlandfunk Nova findet sich der Beitrag „Die Gründung des Zoologischen Gartens in Berlin“, der sich unter anderem mit den Themen Völkerschauen und Mensch-Tier-Beziehung im Kontext des Zoologischen Gartens Berlin auseinandersetzt.

https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/menschen-und-tiere-die-gruendung-des-zoologischen-gartens-in-berlin

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8. (Buch-)Tipps

  • BOJS, Karin (2018): Meine europäische Familie: Die ersten 54.000 Jahre. Darmstadt: wbg Theiss Verlag, EUR 29,95. ISBN: 978-3-8062-3674-3
  • BREIER, Florian, BÖHME, Madelaine & BRAUN, Rüdiger (2019): Wie wir Menschen wurden. Eine kriminalistische Spurensuche nach den Ursprüngen der Menschheit – spektakuläre Funde im Alpenraum. München: Heyne Verlag, EUR 22,–. ISBN: 978-3-453-20718-9
  • CONDEMI, Silvana & SAVATIER, Francois (2020): Der Neandertaler, unser Bruder: 300.000 Jahre Geschichte des Menschen. München: C. H. Beck Verlag, EUR 18,–. ISBN: 978-3-406-75076-2
  • Die Paläoökologin Prof. Madelaine Böhme von der Universität Tübingen ist Ende Dezember 2020 zu Gast im „Funkkolleg extra“.

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Interessierte Hörerinnen und Hörer finden auf dieser Seite weiterführende Informationen zu den einzelnen Sendungsthemen als Zusatzmaterial.

Die Zusatzmaterialien werden in der Reihenfolge gelistet, in der die Stichworte in der Sendung Erwähnung gefunden haben. Die Materialien wurden zum Zugriffszeitpunkt 10.12.2020 erstellt von:
M.Sc. Biol. Karl Trüller