Abschnitt: Utopie

1. Hintergrund:

Die Stimme ist nach der Lacan‘ schen Psychologie ein Objekt, also etwas Begehrenswertes, was das Hören zu einem lustvollen Vorgang macht. Lust deswegen, weil das Objekt unsere verborgenen Wünsche und Bedürfnisse anspricht, beziehungsweise repräsentiert. Unsere Wünsche sind aber immer auch etwas Unheimliches. Zur Verdeutlichung: Die Vorstellung des eigenen Todes ist das größte mögliche Szenario eine Katastrophe und damit ist dessen Überwindung das größte aller Bedürfnisse und wohl auch das am meisten mit Angst besetzte. Das utopische Denken erfordert eine Auseinandersetzung mit diesen Kategorien, denn wenn man utopisch denken will, dann darf man nicht verdrängen. Man darf sich nicht mit dem Feind verbrüdern und sich arrangieren. Man muss sich der Angst stellen, denn die eigentlich wichtigen Sehnsüchte sind immer auch mit Furcht verbunden und man muss seine Sehnsüchte glauben, man muss auf deren Erfüllung hoffen. Hier tritt eine vormoderne, religiöse Kategorie auf die Bildfläche die der aufgeklärte Mensch verloren hat. In unserem technischem Zeitalter gibt es nur die Kategorien von Umsetzbar oder nicht Umsetzbar. Utopie wird zu einem Begriff für das Unmögliche, doch damit wird er rationalisiert und kann nicht gedacht werden.

Alles was nicht die schwere des Todes innehat, das ist eigentlich auch keine Utopie.

(vgl. Adorno)

Beim Sehen sieht man die meisten Unterschiede in der Realität, aber beim Hören sieht man noch viel mehr, nämlich alles was man denken kann.

(vgl. Gadamer)

Das Reale ist immer etwas Unfassbares, Unsagbares, nicht Kontrollierbares, eine Art von Horror oder Trauma. Es tritt auch in den Sphären der Sexualität des Todes und der Gewalt in Erscheinung. Das Reale ist das außerhalb der normalen Realität Liegende und Verdrängte, das diese bedroht.

(vgl. Lacan)

2. Zur Arbeit:

Das vorliegende Projekt ist in Form einer Sound- Narration gestaltet. Neben Geräuschen und Soundkompositionen sind auch einige Sprachsamples enthalten. Besonders möchte ich die Szene aus Alfred Hitchcocks Die Vögel hervorheben, denn diese hat eine besondere Bedeutung für die Arbeit. In der kosmologischen Lesart von Robin Wood sind die Vögel die Verkörperung eines unauflösbaren chaotischen Rests in der Ordnung des Universums, die in sich prekär ist und jederzeit aus dem Gleichgewicht geraten kann. In diesem Sinne interpretiert der psychoanalytisch orientierte slowenische Philosoph Slavoj Žižek die Vögel auch als Verkörperung des Lacan’schenRealen: Eine von außen in die Wirklichkeit hereinbrechende, traumatische Erscheinung jenseits der Kausalität und des durch Denken und Sprache Begreifbaren. Zum einem wird die Verkörperung des Lacan’schenRealen als ein Zitat für das utopische Denken in der Essay-artigen Struktur der Sound-Narration benutzt. Neben diesem inhaltlichen Aspekt kommt noch ein Formaspekt hinzu. Der Film Die Vögel hat keine Filmmusik als Soundtrack, sondern nur die Geräusche der Vögel. Dieser spezielle Musiktext, wie Raymond Bellour ihn nennt, verbindet das Prinzip der motivierten Geräusche mit dem der willkürlichen (arbiträr). Die motivierten Geräusche (Ich sehe einen Vogel, also hör ich ihn auch) werden hier zu einer Komposition (arbiträre Geräusche) mit einer Partitur orchestriert und das ohne Musik. Im gesamten Film kann somit der Soundtrack als nondiegetische Narration jederzeit von überall kommen, auch aus dem diegetisch selbst entspringen und die Geschichte erzählen. Der Soundtrack evoziert sich aus der Wirklichkeit des Films selbst und kontrolliert ihn, wird der Meister des Films (Demigod). Die Vögel kontrollieren durch ihre Geräusche den Musiktext von Die Vögel und damit einen erheblichen Teil der Narration des Films. Sie sind Teil der Geschichte (diegetisch) und kontrollieren sie zu gleich auf der Ebene des außergerichtlichen (nondiegetisch). Somit potenziert der formale Aspekt den inhaltlichen, denn wie oben bereits beschrieben bedroht das Reale (In der Verkörperung der Vögel und speziell durch deren Geräusche) die Wirklichkeit und kann zu jederzeit in sie hereinbrechen. Im zitierten Sprachsample hört man die Lehrerin zu ihren Schülern sagen: “I want you to go as quietly as possible. Do not make a sound until I tell you to run”. Das Reale (Und auch die Wirklichkeit des Films) kann hier also nur gemeistert werden, wenn man die Geräusche kontrolliert, der Meister über die Geräusche ist. Das Reale wird hier zum gehörten. Der Schrecken liegt damit mehr in der Vorstellung und auch die Möglichkeit dessen Lösung liegt dort. Hier wird das utopische Denken verdeutlicht und das in der Sphäre des Hörens.

Utopie

Von Andreas Radek

Im Rahmen des Blockseminars „SoundTracks“

One thought on “Abschnitt: Utopie

  1. Pingback: Audio | Digitale Bühne

Comments are closed.