von Franziska Kalesse & Tim Riedl
Im Rahmen des Studiums sollen neben den Fachkompetenzen auch methodische Kompetenzen wie das wissenschaftliche Arbeiten vermittelt werden. Diese Fertigkeiten sind nicht nur Voraussetzungen für ein erfolgreiches Studium, sondern tragen auch dazu bei, eine wissenschaftliche Professionalität zu erlangen.
Was wird in diesem Artikel beschrieben?
In diesem Artikel werden wir euch zwei Bereiche des wissenschaftlichen Arbeitens vorstellen, die für das Studium besonders wichtig sind: zu Beginn die Aneignung von Wissen und Lernstrategien, sowie darauffolgend den Bereich des Stress- und Zeitmanagements. In beiden Teilen werden wir mehrere Tools und Techniken vorstellen, deren Anwendung sich für euch als studentische bzw. akademisch arbeitende Leser*innen nützlich erweisen kann.
Lernstrategien
Friedrich und Mandl (1992) definieren Lernstrategien als mental repräsentierte Handlungspläne zur Steuerung des eigenen Lernverhaltens, die sich aus einzelnen Handlungssequenzen zusammensetzen und situationsspezifisch abrufbar sind. Damit einher geht auch, dass Lernstrategien sowohl an die Spezifika verschiedener zu lernender Inhalte als auch der Lernsituationen, aber natürlich auch an die Charakteristika der lernenden Person angepasst werden – nämlich euch selbst.
Systematisierung und Unterscheidung von Lernstrategien
Im Laufe der Zeit wurden unterschiedliche Lernstrategien entwickelt, die sich bezüglich der Vorgehensweise unterscheiden. Welche Lernstrategie angewendet wird, ist von der Präferenz der Person abhängig. Friedrich und Mandl (1992) verwenden dafür den Begriff der Lernstile. Damit werden die überdauernden Tendenzen von Personen bezeichnet, bestimmte Techniken stärker zu präferieren, andere dagegen weniger stark.
In der Literatur werden Lernstrategien unterschiedlich kategorisiert. Friedrich und Mandl (1992) differenzieren Lernstrategien unter anderem zwischen Primär– und Sekundärstrategien.
Primäre Lernstrategien umfassen kognitive und metakognitive Lernstrategien: Kognitive Strategien dienen zur Einspeicherung und Reproduktion von Informationen. Ein Beispiel dafür wären Wiederholungsstrategien, auch Mnemotechniken genannt, die auf die Einprägung von Fakten abzielen. Bei den metakognitiven Strategien handelt es sich um situationsübergreifende Prozesse zur Steuerung und Kontrolle des Lernverhaltens. Hierzu zählen beispielsweise die Auswahl eines geeigneten Lernortes oder die Belohnung erfolgreichen Lernens (Hattie, 2013).
Zu den Sekundärstrategien zählen die Nutzung sogenannter interner und externer Ressourcen, weshalb in diesem Kontext auch von ressourcenbezogenen Strategien gesprochen wird. Strategien zum Ressourcenmanagement werden bspw. verwendet, um eine effiziente Lernsituation herzustellen, oder um eine Lernumgebung zu optimieren und zu gestalten. Dabei zielen interne Ressourcen darauf ab, den eigentlichen Lernprozess zu unterstützen und störende Einflüsse zu vermeiden: Die langfristige Planung der Arbeitszeit und die Nutzung von Zeitmanagementstragien (wie der hier beschriebenen Pomodoro-Technik, u.a. Cirillo, 2006), die eigene Lernbereitschaft und andere motivationale Aspekte gehören dazu. Die externen Ressourcen beziehen sich hingegen auf das Schaffen einer geeigneten Lernumgebung und der Suche nach externer Unterstützung beim Lernprozess (Elzen-Rump, Wirth & Leutner, 2008) – bspw. durch das gemeinsame Lernen und wechselseitige Erklären in einer Lerngruppe oder aber das Etablieren gemeinsame Arbeitszeiten in einer studentischen Wohngemeinschaft.
Primäre Lernstragien: Kognitive und metakognitive Strategien
Im Folgenden erklären wir euch einige Lernstrategien, die unterschiedliche Schwerpunkte setzen: Verstehen vs. Behalten. Hier sollte klar sein, dass sich beide Strategieansätze komplementieren: Verstandenes muss auch behalten werden, zu behaltende Informationen sollten sinnvoll organisiert werden – also zumindest abstrakt verstanden werden – um nachhaltig behalten werden zu können.
Lernstrategien des Behaltens
Neben den Strategien zum tieferen Verstehen von Inhalten wurden auch Strategien entwickelt, die sich vor allem auf das Behalten von Inhalten konzentrieren. Obgleich Mnemotechniken ausgesprochen effektiv sind, um bspw. Begriffe zu lernen, werden Mnemotechniken laut Moè und Beni (2005) selten routiniert in das eigene (akademische) Lernen eingebunden, insbesondere daher, weil das Etablieren einer Lernroute mit ihnen anfangs sehr zeitintensiv ist. Es lohnt sich daher für euch, „früh“ anzufangen, um langfristigen Nutzen aus dem Erwerb der Lernmethoden zu ziehen. Zu den Lernstrategien des Behaltens zählen bspw. die Loci-Methode und die Schlüsselwortmethode. Diese Methoden basieren auf der Verknüpfung bildhafter und abstrakter Inhalte miteinander.
Die Loci-Methode
Die Loci-Methode stammt einem Mythos zufolge aus dem antiken Griechenland (Bellezza, 1996) und verknüpft Gedächtnisinhalte mit bekannten Orten und Wegen. Im ersten Schritt wird sich ein bekannter Weg vorgestellt. Im nachfolgend beschriebenen Beispiel wählen wir den Weg von Zuhause zur Uni. Im nächsten Schritt werden Punkte der Route mit den zu lernenden Schlüsselwörtern wie den Planeten unseres Sonnensystems, verbunden. Wir beginnen mit dem Verlassen der Haustür. Diesem Routenpunkt wird der Merkur zugeteilt. Danach laufen wir zur Bushaltestelle, an welcher die Venus schon wartet. Im Bus selbst sitzt die Erde und fährt mit uns zum Bahnhof. Die S-Bahn ist der Mars und die Haltestelle an der Uni der Jupiter. Die Ampel vor der Uni ist der Saturn. Der Eingang der Uni wird mit dem Uranus verbunden. Der Neptun ist am Aufzug lokalisiert und der Zwergplanet Pluto ist schließlich der Hörsaal. Wenn wir nun im Kopf die Route ablaufen, passieren wir unsere Routenpunkte, an denen jeweils ein Schlüsselwort lokalisiert ist. Damit fällt das Lernen leichter, wobei insbesondere lautes (Aus-)Sprechen das Lernen fördert (Moè & Beni, 2005). Die Effektivität der Loci-Methode konnte vor allem beim Lernen von Wörterlisten vielfach belegt (Bellezza, 1996; Beni, 1984; Higbee, 1988) werden. Sie bietet sich daher im Studium vor allem dann an, wenn die Gesamtheit von Elementen oder Kategorien – ggfs. in einer bestimmten Reihenfolge – behalten werden müssen, wie es bspw. bei den Bestandteilen einer Nervenzelle der Fälle wäre.
Die Schlüsselwortmethode
Die Schlüsselwort- oder auch Ersatzwortmethode stellt eine Verknüpfung bildhafter Vorstellungen mit Lerninhalten dar. Als Beispiel hierfür dient das Lernen der Vokabel window per Schlüsselwortmethode. Im ersten Schritt wird überlegt, welches Wort ähnlich klingt oder aussieht wie die Vokabel. Das deutsche Wort Wind hat den gleichen Klang wie window. Damit wird Wind zum Schlüsselwort. Im nächsten Schritt soll eine bildhafte Verknüpfung zwischen window und Wind hergestellt werden. Man könnte sich beispielweise ein offenes Fenstern, das vom Wind zugeschlagen wird, vorstellen. Damit bleibt die Vokabel länger in Erinnerung. Dieses Beispiel ist natürlich recht einfach – für das Lernen etwas anspruchsvollerer Wörter werden ggfs. auch die zu verknüpfenden Bilder idiosynkratischer: Würde man bspw. den Namen des Neurotransmitter Acetylcholin behalten wollen, könnte man sich ein Alphabet von A bis Z als stehende Buchstaben („Acet“) und einen Kohlkopf („chol“) vorstellen und dann imaginieren, wie der Kohlkopf in das A – Z läuft („in“).
Während die Schlüsselwortmethode im Ruf steht, insbesondere kurzfristige Effekte zu erzielen (Thomas & Wang, 1996), scheinen Lerneffekte insbesondere dann zeitlich überdauernd zu sein, wenn die assoziierten Bilder sehr aussagekräftig sind. Lernende zeigten außerdem bessere Erinnerungsleistungen, wenn die Schlüsselwörter vorgegeben waren, als wenn sie sie selbst entwickelten (Campos et al. 2014). Da einzelne Personen womöglich Schwierigkeiten haben, passende Ersatzwörter zu entwickeln, bietet sich diese Methode vor allem auch in Lerngruppen an (Metzig, 2020, S.84).
Lernstrategie des Verstehens
Für das Verstehen im Sinne des Textverstehens wurde insbesondere die sehr weit bekannte PQ4R-Methode (u.a. Rodli, 2015) entwickelt.
Die PQ4R-Methode
Die PQ4R-Methode ist eine Strategie zum systematischen Lesen eines Sachtextes und umfasst das kritische und selbstständige Auseinandersetzen mit einem Text (Rodli, 2015). Die Methode wurde im Jahr 1972 erstmals von Thomas und Robinson entwickelt.
Die PQ4R-Methode gliedert die Textarbeit in sechs Schritte, die für das erfolgreiche Verstehen eines Textes essenziell sind. Wir stellen euch diese sechs Abschnitte erst vor und skizzieren sie danach an einer Praxisaufgabe.
P Steht dabei für Preview: Zur Orientierung und um einen Überblick zu gewinnen, wird der Sachtext zunächst einmal überfolgen. Dadurch werden erste wichtige Anhaltspunkte und Informationen vermittelt. Q steht für Questions: Zum besseren Verständnis werden zu jedem Abschnitt Fragen formuliert. Das erste R steht für Read: Der Sachtext wird nun ein zweites Mal aktiv und aufmerksam durchgelesen mit dem Ziel, die zuvor gestellten Fragen anschließend beantworten zu können. Das zweite R steht für Reflect: Es wird versucht das Gelesene nachzuvollziehen und zu vertiefen. Bereits vorhandenes Wissen soll zum Gelesenem in Bezug gesetzt werden. Das dritte R steht für Recite: In diesem Schritt wird der Text in eigenen Worten wiedergegeben. Dass muss nicht schriftlich geschehen, wichtig ist nur, dass alle Fragen beantwortet werden können. Ist das nicht der Fall, sollte der entsprechende Abschnitt im Text und in den Notizen noch einmal nachgeschlagen werden. Das vierte R der PQ4R-Methode steht für Review: Abschließend wird der gesamte Text noch einmal schriftlich zusammengefasst und kritisch überprüft.
Betrachten wir hierfür beispielhaft den Artikel “GROUPS 4 HEALTH: Evidence that a social-identity intervention that builds and strengthens social group membership improves mental health” von Haslam et al. (2015).
Der erste Schritt, um uns intensiv mit dem Artikel auseinandersetzen, ist das Preview und verlangt keine große Anstrengung: hier folgen wir blindlings unserer Neugier und allem, was unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht und Fragen in uns aufwirft. Unsere „Hä?“s zeugen nicht von unserer Unfähigkeit, etwas zu verstehen, sondern bilden die Grundlage dafür, uns systematisch mit dem Text auseinanderzusetzen und sollten Beachtung finden – schließlich wollen wir im zweiten Schritt namens Questions Fragen sammeln.
Allein der Titel bietet in diesem Fall dafür bereits eine gute Grundlage. Wir notieren also unsere Fragen:
- Was ist Groups 4 Health?
- Warum ist das Stärken von Gruppenzugehörigkeit sinnvoll und wichtig?
- Wie ist soziale Eingebundenheit bzw. Isolation definiert?
- Wie genau hängen Gruppenzugehörigkeit und psychische Gesundheit zusammen?
- Wie ist die Intervention aufgebaut? Wann wurde sie entwickelt?
- Welche Theorie liegt ihr zugrunde?
- Wer ist die Zielgruppe der Intervention?
- Wie genau wirkt sich die Intervention auf die Gruppenzugehörigkeit und psychische Gesundheit aus?
- Wie ist die genannte Evidenz dieser Verbesserung psychischer Gesundheit durch die Intervention statistisch belegt?
- Gibt es vergleichbare Interventionen? Wenn ja, wie schneiden diese im Vergleich ab?
Im dritten Schritt Read lesen wir den Artikel und beantworten dabei unsere Fragen. Im darauffolgenden Schritt Reflect können wir das Gelesene im Kontext unseres Vorwissens verknüpfen: da das Thema soziale Isolation in der jüngeren Vergangenheit auch in überregionalen und lokalen Zeitungen unter dem Schlagwort „Einsamkeit“ thematisiert wurde, könnte eine Intervention wie Groups 4 Health in Zukunft eine noch größere Rolle spielen. Dass in Großbritannien eine eigene Staatsekretärin für das Thema Einsamkeit beauftragt wurde, wirft bspw. die Frage auf, inwiefern G4H dort bereits eingesetzt wird und wenn nicht, dann welche anderen Methoden dort zum Einsatz kommen und wie sie im Vergleich zu Groups 4 Health konzipiert sind und wirken.
Im fünften Schritt „Recite“ beantworten wir uns (mündlich) unsere Fragen ein weiteres Mal, möglichst ohne, dass wir in den Aufzeichnungen noch mal nachschlagen müssen:
In dem Schritt Review fassen wir den Text abschließend noch einmal zusammen und speichern das neu erlangte Wissen ab: wir brauchen uns keine Details, wie bspw. die Fehlerwahrscheinlichkeit, mit der sich die G4H-Gruppe von der Kontrollgruppe auf den DASS-Subskalen unterscheidet, zu behalten. Wichtig ist eher, dass der Artikel in der statistischen Auswertung keine Mängel aufweist oder dass der Intervention das Social Identity Model of Identitiy Change (SIMIC, Iyer et al., 2008) zugrunde liegt.
Ausblick auf die eigene Praxis
Es mag am Anfang Überwindung kosten, die Lernstrategien tatsächlich anzuwenden. Da das Verstehen und Behalten der Kursinhalte aber nicht nur für ein gutes Abschneiden in der Klausur, sondern auch euren beruflichen Werdegang relevant ist, ist die Nachhaltigkeit, mit der ihr euch neues Wissen aneignet, auch über euren Studienerfolg hinaus sehr wichtig. Die Nutzung von erprobten Lerntechniken kann daher heute einen kleinen, langfristig aber einen großen Unterschied machen. Wenn ihr das nächste Mal an einem schwierigen Text arbeitet, kann euch die PQ4R-Methode helfen. Und für die Biopsychologie-Klausur macht es möglicherweise Sinn, sich schon heute mit Fantasie Schlüsselworte zu suchen, anstatt in der Woche vor der Klausur.
Sekundäre Lernstrategien: Stress- und Zeitmanagement
Laut der Studie zur „Gesundheit Studierender in Deutschland 2017“ gibt ein Viertel (24,4%) der Studierenden an, unter starkem Stress zu stehen und sich erschöpft zu fühlen (Grützmacher et al., 2018). Als Studierende haben wir schätzungsweise schon alle einmal „Stress gehabt“ – besonders während der Klausurenphase. Sicherlich könnt ihr euch auch daran erinnern, dass Stress kein angenehmes Gefühl ist. Ab einem gewissen Maß kann „Stress“ sich negativ auf die Gesundheit auswirken: direkt oder indirekt weist Stress Zusammenhänge mit unter anderem Herzerkrankungen, Krebserkrankung, Verletzungen oder Schlaganfällen auf (Hargrove et al., 2011). Zudem werden durch Stress viele Ressourcen verbraucht, die für das aufmerksame und konzentrierte Lernen benötigt werden. Um Stress vorzubeugen, ist – neben bspw. ökonomischer Sicherheit oder sozialer Unterstützung (Andrews & Wilding, 2004) – ein gutes Zeitmanagement notwendig. Leider kann diese Knowledge Base die finanziellen Verhältnisse von Studierenden nicht verbessern. Aber wir können euch Tipps für die eigene Selbstorganisation geben. Diese spielt eine bedeutsame Rolle in der Stressbewältigung und fällt einigen Student*innen augenscheinlich vor allem zu Beginn des Studiums schwer. Deshalb wird dieses Thema im Folgenden umfassend behandelt. Zunächst aber beginnen wir mit der Frage: Was ist eigentlich Stress?
„Stress“ – ein allgegenwärtiges Konzept
„Der Begriff Stress ist allgegenwärtig und gleichsam – oder auch gerade deshalb – schwer zu definieren.“
Heinrichs et al.(2015, S.4)
Stress bezeichnet einen Ungleichgewichtszustand zwischen den Anforderungen einerseits und den persönlichen Ressourcen andererseits (Heinrichs et al., 2015). Dieser Zustand wird als bedeutsam und unangenehm wahrgenommen. Stressoren sind Faktoren, die Stressreaktionen auslösen können, während Ressourcen Mittel sind, über die ein Individuum verfügt, um mit Stressoren umgehen zu können. Dadurch wird Stress subjektiv unterschiedlich belastend empfunden, da jedem Menschen unterschiedliche Ressourcen zur Verfügung stehen (Rusch, 2019). Ressourcen sind übrigens nicht nur die eigene kognitive Leistungsfähigkeit, sondern es sind auch soziale Unterstützung mit dem Ressourcenbegriff gemeint (Haslam et al., 2009). Ressourcenunterschiede können auch darin bestehen, dass manche Studierende ihr Studium durch stressige Nebenjobs finanzieren müssen oder neben dem Studium ihr Kind betreuen müssen.
Um die unangenehme Situation zu vermeiden, werden Bewältigungsstrategien angewandt. Hans Selye gilt als Begründer der Stressforschung und hat in diesem Zusammenhang die Begriffe Eustress und Distress eingeführt (Selye, 1974). Der Begriff Eustress bezeichnet positiven Stress, durch den Motivation und Energie freigesetzt werden kann, sodass eine hohe Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit erreicht wird. Dies kann bspw. dann der Fall sein, wenn eine Situation zwar als eine Herausforderung wahrgenommen wird, diese jedoch gleichzeitig auch als erfolgreich zu bewältigen eingeschätzt wird (Rusch, 2019). Negativer, überfordernder Stress wird als Distress bezeichnet. Anders als beim Eustress scheint eine Situation hier nicht zu bewältigen zu sein. Diese stresserzeugende Wahrnehmung der Situation kann dazu führen, dass wir uns erschöpft, ausgelaugt und handlungsunfähig fühlen (Rusch, 2019) und eine verminderte kognitive Leistungsfähigkeit habe – das gilt für Studierende genauso wie für CEOs (Teixeira et al., 2015).
Kurz anhaltender Stress ist per se nichts Gefährliches. Lang andauernder Stress kann dem gegenüber sowohl physische als auch psychische negative Folgen haben (Lazarus & Folkmann, 1984). Wichtig ist diesbezüglich, dass sich die als Reaktion auf Stressoren ausgeschütteten Neurotransmitter von kurz anhaltendem, akuten zu lang andauerndem Stress verändern (McEwen, 2005): Während kurzfristig Adrenalin und Serotonin ausgeschüttet werden, trägt die Ausschüttung von Cortisol langfristig dazu bei, dass wir – physisch und kognitive – vermindert belastbar und eingeschränkt leistungsfähig sind sind (Schoofs et al., 2008). Da Stress nicht immer vermeidbar ist, werden Strategien zur Stressbewältigung angewendet, die dabei helfen sollen, das Stressniveau zu senken und Stressoren so gut wie möglich zu bewältigen.
Stressbewältigung
Stressbewältigung ist der Prozess der Handhabung externer und interner Anforderungen, die als die eigenen Ressourcen beanspruchend oder übersteigend bewertet werden. Das transaktionale Stressmodell wurde von Lazarus und Folkmann (1984) entwickelt. Das Modell basiert auf der Annahme, dass eine Person und ihre eigenen verfügbaren Ressourcen in einer Wechselwirkung stehen (Rusch, 2019). In einem primären Bewertungsprozess wird bewertet, ob die Situation als positiv, neutral oder negativ wahrgenommen wird. In einem zweiten Schritt werden die eigenen Bewältigungsstrategien eingeschätzt. Wenn Situationen erfolgreich bewältigt worden sind, werden die Bewältigungsstrategien ausgebaut und das eigene Bewältigungsvermögen höher eingeschätzt (Lazarus, 1966). Es können zwei verschiedene Bewältigungsprozesse zur Zielerreichung und -modifikation definiert werden (Brandtstädter, 2002). Bei der assimilativen Bewältigung werden Hindernisse aktiv aus dem Weg geräumt und gesetzte Ziele weiterhin verfolgt. Betrachten wir das an folgendem Beispiel: im Verlauf der Recherche für eine Hausarbeit merkst Du plötzlich, dass Du eigentlich anfangen müsstest, Deine Arbeit auch zu schreiben, obwohl Du noch längst nicht mit der Recherche fertig bist. Eine assimilative Bewältigungsform wäre, von nun an mit einem besseren Zeitmanagement zu arbeiten und jeden Tag in einem festgelegten Zeitrahmen an der Hausarbeit zu arbeiten
Die akkomodative Bewältigung basiert auf der Umdeutung der Situation und Anpassung der Standards und Zielvorstellungen. In unserem Beispiel würdest Du bspw. anfangen, Deinen Anspruch, mit Deiner Seminararbeit einen bahnbrechenden Beitrag in dem entsprechenden Forschungsfeld zu liefern, nun doch überdenken. Du entscheidest Dich, Deine Ansprüche etwas zu senken und suchst das Gespräch mit Deinem Betreuer oder Deiner Betreuerin, um noch mal eine realistische Perspektive zu vereinbaren, was Du in dieser Arbeit tatsächlich leisten kannst und sollst.
Zeitmanagement
Um Stress im Zuge des wissenschaftlichen Arbeitens (präventiv) entgegenwirken zu können, ist Zeitmanagement eine wichtige Fähigkeit. Daher stellen wir euch im Folgenden verschiedene Methoden des Zeitmanagements dargestellt.
Der SMART-Plan
Ein Ziel wird je eher erreicht, desto genauer es formuliert ist (Locke & Latham, 1990). Darauf basiert die Idee des SMART-Plan als eine Methode, mit der Ziele konkret formuliert und besser umsetzbar werden.
SMART bedeutet:

- Spezifisch: Das Ziel soll konkretisiert werden.
- Messbar: Es muss erkennbar sein, wenn Fortschritte hinsichtlich der Zielsetzung gemacht werden.
- Angepasst: Das Ziel sollte individuell angepasst sein und alle aktuellen Gegebenheiten berücksichtigen.
- Realistisch: Die Zielsetzung soll realistisch gesetzt werden, sodass Fortschritte überhaupt möglich sind.
- Terminiert: Die Durchführung des Plans sollte auch die zeitlichen Faktoren berücksichtigen und sicherstellen, dass genügend Zeit zur Umsetzung zur Verfügung steht.
Diese Methode wird durch die empirisch belegte Zielsetzungstheorie von den Arbeitspsychologen Locke und Latham (1990) unterstützt. Auch Storch (2009) unterstreicht, dass die Erfolgsaussicht dann am höchsten, wenn die Ziele möglichst spezifisch formuliert werden. Auf das Studium bezogen könnte Euer SMART-Plan beispielsweise so aussehen:
Aus Eurem allgemein formulierten Ziel „Ich wünsche mir ein gutes Ergebnis in der Biopsychologie-Klausur“ wird ein konkretes: „In der Biopsychologie-Klausur in 3 Wochen möchte ich mindestens eine 1,7 erreichen.“ Allerdings müsst ihr für die Umsetzung auch aktuelle Gegebenheiten, wie bspw. euren Dienstplan im Nebenjob, berücksichtigen: „Dafür werde ich ab morgen an jedem Tag, an dem ich nicht arbeite, in die Bibliothek gehen, um zu lernen.“ Und schließlich eine realistische Einteilung der nötigen Schritte zu diesem Ziel, die zu der Messbarkeit der Zielerreichung beitragen und sie auch terminieren: „Um alle Inhalte auch intensiv bearbeiten zu können, werde ich an diesen Tagen jeweils ein Kapitel des Lehrbuchs durcharbeiten, wofür ich 5 Stunden einplane. An den letzten beiden Tagen werde ich mich mit meiner Lerngruppe zusammensetzen, damit wir uns gegenseitig abfragen und Verständnisfragen klären können.“
Das Eisenhower-Quadrat
Eine weitere Methode, um sich die Zeit sinnvoll einzuteilen, ist das Priorisieren der Ziele. Das nach dem früheren U.S.-Präsidenten benannte „Eisenhower-Prinzip“ ist eine Technik, um Aufgaben nach Dringlichkeit und Wichtigkeit aufzuteilen (Seiwert, 2004).

Aufgaben, die weder wichtig noch dringend sind, werden zunächst liegengelassen, damit die Zeit für wichtigere und bzw. oder dringendere Aufgaben investiert werden kann. Wenn die Aufgabe zwar nicht dringend erledigt werden muss, jedoch trotzdem wichtig ist, hilft es die Bearbeitung für einen späteren Zeitpunkt zu terminieren. Dringende Aufgaben, die jedoch keine Wichtigkeit haben, gilt es, an andere Personen weiter zu delegieren. Zum sofortigen – unaufschiebbaren – Erledigen bleiben die Aufgaben, die sowohl wichtig als auch sehr dringend sind.
Durch die Anwendung des Eisenhower-Quadrats als Zeitmanagement-Technik könnt ihr Prioritäten direkt erkennen und die wichtigen Aufgaben sofort erledigen. Dadurch teilt ihr eure Zeit auch wirklich sinnvoll ein und verhindert, dass Stress entsteht.
Die 60/40-Regel
Bei der Zeitplanung sollten jedoch weitere Einflussvariablen beachtet werden. Auch beim besten Zeitmanagement kann es passieren, dass unerwartete oder spontane Aktivitäten auftreten können. Damit diese unerwarteten Ereignisse nicht vermeidbaren Stress auslösen, könnt ihr die 60/40 Regel anwenden. Nach dieser Regel wird nur 60% der veranschlagten Arbeitszeit durch Aufgaben und Aktivitäten geplant. Die übrigen 40% sollen als Reserve für Pufferzeiten, nicht planbare Aktivitäten und für kreative Zeiten verbleiben. In diesem Zusammenhang ist neben dem Prioritäten-Prinzip des Eisenhowerquadrates auch das Pareto-Prinzip (Seiwert, 2012, S. 32) nützlich.
Das Pareto-Prinzip
Das Prinzip besagt, dass mit 80% des Zeitaufwandes nur 20% der Ergebnisse erzielt werden, während mit 20% des Zeitaufwandes schon 80% der Ergebnisse erreicht werden (Seiwert 2012, S. 33). Dies kann direkt auf das Zeitmanagement im Studium bezogen werden. Mit 20% der zur Verfügung stehenden Zeit können 80% der anfallenden Arbeit erledigt werden.

Wider den Versuch des Zeitmanagements: Prokrastination
Prokrastination stammt vom lateinischen Wort „procrastinare“ und bedeutet etwas zu vertagen, zu verschieben oder hinauszuschieben. Damit ist das Verhalten gemeint, unangenehme Arbeit aufzuschieben und sich stattdessen anderweitig zu beschäftigten. Unangenehme Emotionen, wie Angst vor Misserfolg oder negativer Bewertung, aufgabenbedingte Langeweile oder Frustration spielen hierbei eine wichtige Rolle (Gross et al., 2020). Das psychische Grundbedürfnis von Menschen nach Lustgewinn und Unlustvermeidung bringt uns dazu, den Emotionsauslöser zu vermeiden (Grawe, 2000). Während so die Stimmung kurzfristig verbessert wird, schadet uns Prokrastination langfristig, da wir Ziele nicht erreichen und negative Gefühle wie Scham oder Schuld erleben (Sirois & Pychyl, 2013).
Versuche des eigenen Zeitmanagements werden häufig durch Prokrastination „durcheinander“ gebracht. Eine wirksame Methode, mit der ihr gegen Prokrastination arbeiten könnt, ist die Pomodoro-Technik.
Die Pomodoro-Technik

Die Pomodoro-Technik verdankt ihrem Namen einer als Tomate designten Küchenuhr mit deren Hilfe Cirillo (2006) in den 1980er Jahren sich kurze Zeitintervalle für konzentriertes Arbeiten gesetzt hat. Die Methode soll helfen, die eigene Produktivität zu verbessern. Das Vorgehen der Pomodoro-Technik wird durch die Grafik erklärt:

Die Methode basiert auf drei wesentlichen Annahmen (Cirillo, 2006):
- Wenn die Zeit in Intervalle unterteilt wird und aus einer anderen Perspektive gesehen werden kann, kann die Angst oder Panik verringert werden und zu persönlicher Effektivität führen.
- Durch den verbesserten Gerbrauch unseres Verstandes können wir bessere und klarere Gedanken fassen, sind uns diesen bewusster und können konzentrierter lernen.
- Durch das Verwenden einer einfachen Technik wird mehr Raum geboten, um sich auf das Ziel zu konzentrieren.
Die Pomodoro-Technik hat sich als sehr effektiv erwiesen (Cirillo, 2006). Der große Vorteil an dieser Technik ist, dass ihr keiner zusätzlichen Zeit bedürft, um die Technik zu lernen, sondern sie gleich nutzen könnt.
COVID-19 und wissenschaftliches Arbeiten im Home Office
von Julia Manek & Dr. Carmen Heckmann
Die veränderten Umstände durch die Corona-Pandemie erfordern andere Arbeitsbedingungen und stellen neue Anforderungen an die Selbstorganisation. Die Verschränkung von Home und Office, parallele Anforderungen privater und beruflicher Natur, produzieren potentielle Störungen und Unterbrechungen. Erfolgreiches selbstreguliertes Arbeiten gelingt jedoch am besten in einer störungsfreien Arbeits- und Lernumgebung (Litzcke, Schuh & Pletke, 2013). Auch aus der Studierendenperspektive ist es relevant, einen möglichst störungsfreien Raum zu haben – erst recht, wenn das Arbeiten in den Bibliotheken und generell an der Uni so sehr erschwert wird. Die nachfolgenden Tipps & Tricks stammen aus einer Handreichung, die im Zuge der Corona-Pandemie vom Interdisziplinären Kolleg Hochschuldidaktik (IKH) erarbeitet wurden (Manek & Heckmann, 2020).
Störungsfreie Räume im Home-Office
Belastende Faktoren im Arbeitsbereich können Umweltfaktoren wie die Arbeitsplatzgestaltung, das Klima und Lärmeinflüsse, aber auch soziale Faktoren (Poppelreuter, Mierke & Wenchel, 2012) wie soziale Isolation und soziale Dichte (Schuster, Haun & Hiller, 2011) sein. Ob das Zuhause bereits ein erprobter universitärer Arbeitsort ist oder ob es erst dazu umfunktioniert werden muss – beispielsweise, weil vorher speziell eingerichtete Bibliotheken als Lern- und Arbeitsorte genutzt wurden – kann individuell sehr unterschiedlich sein.
Zwischen Einzelpersonen bestehen diesbezüglich auch heterogene Ausgangsvorrausetzungen. Ob die Umstellung positiv oder negativ erlebt wird, hängt von individuellen Faktoren ab. Dennoch kann jede Person einige Punkte für sich adressieren, um sich die Arbeitssituation möglichst funktional zu gestalten:
Strukturelle Belastungsfaktoren minimieren: Richte dir den Arbeitsplatz so ein, dass er über eine adäquate technische Ausstattung, über eine gute Klimatisierung und Belichtung verfügt.
Miteinander leben und arbeiten: Wenn in deinem Home-Office mehrere Personen miteinander leben, müssen über die räumlich-infrastrukturelle Einrichtung hinaus Absprachen über Bedürfnisse und generelle Rücksichtnahme getroffen werden. Trefft beispielsweise auch Vereinbarungen zu gemeinsamen Arbeits- und Pausenzeiten.
Unterbrechungen minimieren: Häufig werden Unterbrechungen als willkommene Abwechslung gesehen und schlucken so wertvolle Arbeitszeit. Je komplexer die Aufgabe ist, desto schädlicher sind Unterbrechungen. Delegiere Aufgaben – die nach dem Eisenhower-Prinzip nicht wichtig, aber dringend sind – oder sage „Nein“, wenn Anforderungen deine Kapazitäten übersteigen und wenn dies sinnvoll und möglich ist (Litzcke et al., 2013).
Wie schaffe ich mir in meinem eigenen Zuhause einen störungsfreien Raum?
Nimm dir 15 Minuten Zeit und beantworte die zwei aufgeführten Fragen. Berücksichtige dabei sowohl die angesprochenen generellen infrastrukturellen und Umweltfaktoren als auch deine eigenen Wünsche und Bedürfnisse sowie individuelle Belastungsfaktoren. Denke daran, unter welchen Bedingungen du erfahrungsgemäß am besten arbeiten kannst und wie, wann und wo es dir gelingt, solch eine Situation Zuhause herbeizuführen.
Ausblick auf die eigene Praxis
Wie wir gesehen haben, gibt es verschiedene Methoden, die der Selbstorganisation und dem Zeitmanagement während des Studiums dienen und die verhindern können, dass Stress zu gesundheitlichen Folgen führt. Probiere bei der nächsten Klausurenphase doch einmal einige dieser Methoden aus und schaue, ob sich dein Stressempfinden dadurch reduziert.
Feedback

Du hast Feedback zu unserer Seite? Dir haben wichtige Punkte gefehlt? Dann schreib uns gerne eine Nachricht!