1864
Die erste Ausstellung der „Photographischen Gesellschaft“ in Wien
Unter dem Namen „Photographische Gesellschaft“ (PhG) gründete sich 1861 in Wien eine Vereinigung von Berufs- und Amateurfotografen, Verlegern, Industriellen, Juristen, Gewerbetreibern und Kaufleuten. Eines ihrer primären Ziele, die bereits in den Gründungsstatuten der Gesellschaft niedergeschrieben wurden, umfasste von Beginn an die Ausrichtung öffentlicher Ausstellungen.[i]
Die erste Ausstellung der PhG, die vom 17. Mai bis 30. Juni 1864 im zweiten Geschoss des Dreher’schen Palais (Operngasse Nr. 8, Wien) stattfand, gilt als die erste fotografische Fachausstellung im deutschsprachigen Raum.[ii] (Abb. 1) Da bislang keine Installationsansichten vorliegen, können zur Rekonstruktion der Ausstellung hauptsächlich der Ausstellungskatalog (1864)[iii] sowie die vereinseigene Zeitschrift „Photographische Correspondenz“ (1864–1971)[iv] verwendet werden.[v] (Abb. 2, 3)
Nach anfänglichen Komplikationen während der Suche nach geeigneten Ausstellungsflächen, stellte die Familie Dreher, eine österreichische Familie von Großindustriellen, der PhG ihre privaten Räumlichkeiten unentgeltlich zur Verfügung.[vi] Dem Grundriss zufolge konnten die 20 Räume, welche von unterschiedlicher Größe waren und zur Orientierung nummeriert wurden, chronologisch durchlaufen werden. (Abb. 4) Etwa 110 Aussteller zeigten ca. 1100 fotografische Aufnahmen und 400 Produkte des fotografischen Fachhandels (Kameras, Objektive, chemische Präparate, Buchbinder- und Rahmenhändlerartikel, Atelieraccessoires etc.).[vii] Die Aufnahmen reichten motivisch vom Stillleben, der Portrait-, Gruppen-, Architektur-, Landschaft-, Reise-, Produkt-, Mikro- bis hin zur (Kunst)Reproduktionsfotografie.
Angesichts der Fülle und Beschaffenheit der ca. 1500 Exponate, der verschachtelten Raumabfolge sowie der an die Weltausstellungen (1855 in Paris, 1851 und 1862 in London) angelehnten Ausstellungsgestaltung (Hängung ohne Zwischenabstände, flächendeckend und weniger nach Autoren oder Sujets, sondern eher nach Bildformaten geordnet, Hierarchie der Ausstellungswand) entsprach die Schau dem „‚Bazar‘-Charakter“ des 19. Jahrhunderts.[viii]
Gemäß des damals mit der Fotografie verbundenen technischen Fortschrittsglaubens sollten frühe Daguerreotypien, Kalotypien und Muster aktuellster fotografischer Verfahren in einem historischen Kabinett (1839–1863) die Erfolgsgeschichte der Fotografie bis zur Gegenwart illustrieren. In diesem Sinn fungierten u. a. Fotoplastiken von Willème de Marnyhae[ix] oder die Riesenvergrößerung eines Flohs von Acide Duvette[x] als Belege gegenwärtiger technischer Neuerungen.[xi]
Ausschließlich Vereinsmitgliedern war die Teilnahme an der Ausstellung vorbehalten. Externe Aussteller konnten lediglich durch die Vermittlung des österreichischen Fürsprechers und Diplomaten Wilhelm von Schwarz-Senborn (1816–1903)[xii] aufgenommen werden. Dadurch wurden exemplarische Arbeiten bedeutender französischer Fotorepräsentanten ausgestellt, die im Zuge der Ausstellungsteilnahme mehrheitlich in die Mustersammlung der PhG übergingen.[xiii]
Während der Ausstellungsdauer betraten rund 10 000 Besucher*innen das Dreher’sche Palais.[xiv] Die Staffelung der Eintrittsgelder hing sowohl vom Stand des Besuchenden als auch vom Zeitpunkt des Ausstellungsbesuchs ab.[xv] Darüber hinaus zeigen die im Katalog ersichtlichen Preise der Ausstellungstücke und deren käufliche Erwerblichkeit das primär materielle Interesse der Ausstellungorganisatoren.[xvi]
Die PhG beteiligte sich in den Folgejahren mit einer Vielzahl von Ausstellungen sowie Ausstellungsbeiträgen am fotografischen Diskurs: im Rahmen der Weltausstellung in Paris (1867), der Eröffnungsausstellung des österreichischen Museums für Kunst und Gewerbe in Wien (1871), der Weltausstellung in Wien (1873) und Paris (1878) sowie der Jubiläumsausstellungen der PhG (1901 und 1961).[xvii]
Text: Claire Marie Müller
Redaktion: Thomas Helbig
Anmerkungen
[i] Fischer-Westhauser 2011, S. 96.
[ii] Ebd.
[iii] Unter folgendem Link einsehbar URL: http://data.onb.ac.at/rep/10355F31 (Letzter Zugriff: 10.12.2023).
[iv] Unter folgenden Links einsehbar URL: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=phc&datum=1864&size=45; https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=phc&datum=1865&size=45 (Letzter Zugriff: 10.12.2023).
[v] Gröning 2003, S. 80.
[vi] Vgl. ebd.
[vii] Vgl. ebd., S. 80f.
[viii] Pohlmann 1989, S. 508f.; Gröning 2003, S. 83.
[ix] Siehe Katalog. Erste photographische Ausstellung in Wien […], S. 64f.
[x] Siehe ebd., S. 54.
[xi] Pohlmann 1989, S. 510.
[xii] Wilhelm von Schwarz-Senborn (1816–1903) war Kanzleidirektor des österreichischen Generalkonsulats in Paris und späterer Generaldirektor der Weltausstellung in Wien 1873. Vgl. ebd.
[xiii] Vgl. ebd.
[xiv] Gröning 2003, S. 81.
[xv] Fischer-Westhauser 2011, S. 96.
[xvi] Pohlmann 1989, S. 510.
[xvii] Auer 1989, S. 51.
Literatur
Auer, Anna: Die Photographische Gesellschaft in Wien (PHGW), in: Rückblende. 150 Jahre Photographie in Österreich, hrsg. von Photographische Gesellschaft in Wien, Wien 1989, S. 50–56.
Fischer-Westhauser, Ulla: Die Ausstellungspraxis der Photographischen Gesellschaft im Spannungsfeld von Kunst und Industrie, in: Die Explosion der Bilderwelt. Die Photographische Gesellschaft in Wien 1861-1945, hrsg. von Michael Ponstingl, Wien 2011, S. 95–105.
Gröning, Maren: Die erste Fotoausstellung im deutschsprachigen Raum 1864, in: Das Auge und der Apparat: die Fotosammlung der Albertina, hrsg. von Monika Faber, Klaus Albrecht Schröder, Wien/München 2003, S. 79–110. [Online abrufbar unter: https://www.yumpu.com/de/document/read/4554915/die-erste-fotoausstellung-im-deutschsprachigen-raum-1864-albertina#google_vignette]
Katalog. Erste photographische Ausstellung in Wien, veranstaltet von der photographischen Gesellschaft im Dreher’schen Gebäude, Operngasse Nr. 8 im Mai und Juni 1864, Wien 1864. [Online abrufbar unter: http://data.onb.ac.at/rep/10355F31]
Photographische Correspondenz. Technische, artistische und commerzielle Mittheilungen aus dem Gebiete der Photographie, unter Mitwirkung der Firma Oscar Kramer, redigiert und herausgegeben von Ludwig Schrank, I. Band, Juli–December 1864, Nr. 1–6. [Online abrufbar unter: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=phc&datum=1864&size=45]
Photographische Correspondenz. Technische, artistische und commerzielle Mittheilungen aus dem Gebiete der Photographie, unter Mitwirkung der hervorragendsten Fachmänner, redigiert und herausgegeben von Ludwig Schrank, II. Band, Jänner–December 1865, Nr. 7–18. [Online abrufbar unter: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=phc&datum=1865&size=45]
Pohlmann, Ulrich: „Harmonie zwischen Kunst und Industrie“. Zur Geschichte der ersten Photoausstellungen (1839-1868), in: Silber und Salz. Zur Frühzeit der Photographie im deutschen Sprachraum 1839-1860, hrsg. von Bodo von Dewitz, Reinhard Matz, Köln/Heidelberg 1989, S. 496–513.
Abbildungsnachweise
1: Das Palais Dreher in Wien, Operngasse 8 (zerstört), fotografiert von Andreas Groll, um 1864, Albumin, 27,5 x 21,6 cm. Quelle: Gröning, Maren: Die erste Fotoausstellung im deutschsprachigen Raum 1864, in: Das Auge und der Apparat: die Fotosammlung der Albertina, hrsg. von Monika Faber, Klaus Albrecht Schröder, Wien/München 2003, S. 80. [Online abrufbar unter: https://www.yumpu.com/de/document/read/4554915/die-erste-fotoausstellung-im-deutschsprachigen-raum-1864-albertina#google_vignette]
2: Die Titelseite des Katalogs. Quelle: Katalog. Erste photographische Ausstellung in Wien, veranstaltet von der photographischen Gesellschaft im Dreher’schen Gebäude, Operngasse Nr. 8 im Mai und Juni 1864, Wien 1864, ohne Paginierung, digitalisiert durch Österreichische Nationalbibliothek. URL: http://data.onb.ac.at/rep/10355F31 (Letzter Zugriff: 10.12.2023).
3: Die Titelseite der „Photographische[n] Correspondenz“. Quelle: Photographische Correspondenz. Technische, artistische und commerzielle Mittheilungen aus dem Gebiete der Photographie, unter Mitwirkung der Firma Oscar Kramer, redigiert und herausgegeben von Ludwig Schrank, I. Band, Juli–December 1864, Nr. 1–6, digitalisiert durch ANNO. Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften. URL: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=phc&datum=1864&size=45 (Letzter Zugriff: 10.12.2023).
4: Der Grundriss der Ausstellungsflächen im 2. Stockwerk des Dreher’schen Palais. Quelle: Katalog. Erste photographische Ausstellung in Wien, veranstaltet von der photographischen Gesellschaft im Dreher’schen Gebäude, Operngasse Nr. 8 im Mai und Juni 1864, Wien 1864, ohne Paginierung, digitalisiert durch Österreichische Nationalbibliothek. URL: http://data.onb.ac.at/rep/10355F31 (Letzter Zugriff: 10.12.2023).
1902
Alfred Stieglitz und die Photo Secession
Die von dem US-amerikanische Fotograf Alfred Stieglitz (1864–1946) im Jahr 1902 gegründete Photo Secession verstand sich als Vereinigung ausgewählter Mitglieder, deren gemeinsames Ziel es war, Fotografien nicht als bloße Dokumentation, sondern als neue künstlerische Ausdrucksmöglichkeit zu präsentieren
Anfänglich wurden die Fotografien von den Mitgliedern der Photo Secession noch in den Salons der sogenannten Cameraclubs ausgestellt. Zu diesen gehörten zum Beispiel der New York Camera. Club oder die Linked Ring Brotherhood.[1] Im Jahr 1905 eröffnete Stieglitz die Little Galleries, später in Gallery 291 umbenannt als zukünftigen Ausstellungsort der Photo Secession in New York, direkt auf der Fifth Avenue.[2] Das in der Salonbewegung noch sehr ausgeschmückte, wohnliche Ausstellungsdesign, mit prunkvollen und schweren hölzernen Rahmen gehörte nun der Vergangenheit an.
Die Räumlichkeiten der Little Galleries sowie Räume anderer Ausstellungsorte der Photo Secession waren schlicht eingerichtet. Standardisierte Rahmen und Passepartouts sowie größere Abstände sollten bewirken, dass die Fotografien als selbstständige Kunstwerke betrachtet werden, eine Vorgehensweise, der Stieglitz mit großem Einsatz und Erfolg nachging.[3]
Die Little Galleries entwickelten sich im Laufe der Jahre zu einer der wichtigsten Anlaufstellen für zeitgenössische Kunst in Amerika, in der nicht nur Fotografie, sondern auch Werke der europäischen Malerei (wie die von Henri Matisse, Pablo Picasso), ausgestellt wurden. Somit wurde ein Treffpunkt für Intellektuelle und Künstler:innen geschaffen.[4]
Alfred Stieglitz: The Little Galleries of the Photo-Secession, 1906, silber gelatin Fotografie, 7,4 x 10,5 cm, Musée d’Orsay.
Alfred Stieglitz: First Steichen Exhibition – Main Room – Photo-Secession Gallery, 1906, Platin Fotografie, 16,1 x 23,5 cm, Alfred Stieglitz Collection, vgl. das Digitalisat und die Objektangaben auf der Seite der National Gallery of Art.
Stieglitz’ erfolgreicher Versuch, Fotografien als Kunstwerke auszustellen, mündete in der International Exhibition of Pictorial Photography, einer Gruppenausstellung in der Albright Gallery Buffalo, heute Buffalo AKG Art Museum, im Jahr 1910.[5] In Zusammenarbeit mit Clarence H. White, Gertrude Käsebier und dem Maler Max Weber, entstand die erste Fotografieausstellung in einem amerikanischen Museum. 585 Abzüge wurden dafür von Stieglitz ausgewählt, viele waren Bestandteil von Stieglitz’ persönlicher Sammlung. 101 Arbeiten wurden zuvor noch nie ausgestellt.[6] Die von Stieglitz entwickelte einheitliche Präsentation der fotografischen Arbeiten wurde auch hier weiterverfolgt: Mattierte Fotografien in einem standardisierten System aus einfachen weißen Holzrahmen, weiße Passepartouts, meist querformatig gehangene Rahmen mit einer möglichst niedrigen Hängung der künstlerischen Arbeiten. Die Vielseitigkeit des Mediums sowie die künstlerischen Fähigkeiten der Künstler:innen konnten, ohne prunkvolle Rahmen, die eher von den Fotografien ablenken könnten, gezielter gezeigt werden.[7]
Stieglitz’ für die damalige Zeit neue, progressive und zukunftsweisende Ausstellungsgestaltung findet sich auch heute noch als Standard in vielen Galerieräumen wieder: Reduzierte bis nicht vorhandene Dekoration, helle Wände, klare Hängungen, das Kunstwerk allein soll im Vordergrund stehen. Stieglitz’ Impulse für die Gestaltung von Ausstellungen sind jedoch nicht nur für die Geschichte von Fotografie-Ausstellungen bedeutsam, sie verhalfen insbesondere dem Medium Fotografie dazu, den Aufstieg in die Kunst(welt) zu meistern.
Text: Franka Schlupp
Anmerkungen
[1] Rosen, Jeff: Das große Rahmenkomplott. Zur Institutionalisierung der modernen Fotografie am Beispiel von Alfred Stieglitz’ „Photo-Secession“, in: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie, Jg. 11, 1991, Heft 42, S. 17–30, S. 17f.
[2] https://archive.artic.edu/stieglitz/little-galleries-of-the-photo-secession291/ . Siehe auch die Auflistung der Ausstellungen der Little Galleries unter: https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/871686 (zuletzt aufgerufen am 18.12.23).
[3] Rosen 1991, S. 25f.
[4] https://archive.artic.edu/stieglitz/little-galleries-of-the-photo-secession291/ (19.12. 2023)
[5] Rosen 1991, S. 26.
[6] Ebd.
[7] Ebd. S. 26–28.
1928
PRESSA. Die Weltschau am Rhein – »Die größte Weltfachausstellung der Neuzeit«[1]
Am 12. Mai des Jahres 1928 öffnete um 12 Uhr die internationale Presse-Ausstellung “PRESSA” in Köln ihre Tore für ein internationales Publikum, begleitet durch eine große und im Radio live übertragene Eröffnungsveranstaltung (Abb. 1).[2] Initiiert wurde die PRESSA – nach einem Konzept des Messedirektors Hermann Josef Taepper von 1926 – vom Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer und in Zusammenarbeit mit dem Direktor des Kölner Hochbauamtes Adolf Abel sowie verschiedenen Mitgliedern des Organisationskomitees unter der Leitung des Architekten Hans Tietmann.[3]
Im Zeitraum vom 12. Mai bis zum 14. Oktober 1928 präsentierten knapp 1.500 Ausstellende aus 43 verschiedenen Ländern (450 internationale und 1000 deutsche Beiträge) ihre Exponate auf einer Fläche von insgesamt 500.000 Quadratmetern des Kölner Messegeländes am rechten Rheinufer (Abb. 2).[4] Köln entwickelte sich in den 1920er Jahren zur prosperierenden Messestadt und war ein wichtiger Standort des Deutschen Werkbundes, welcher bereits 1914 auf dem Kölner Messegelände die ‚Deutsche Werkbund-Ausstellung Cöln‘ ausrichtete, in dessen Fußstapfen die PRESSA treten sollte.[5]
Die bereits seit der Werkbundausstellung vorhandenen Messehallen wurden an die Anforderungen der PRESSA angepasst, durch eine halbrunde Ausstellungshalle erweitert und waren für die internationalen Ausstellenden vorgesehen (Abb. 3).[6] Außerdem wurden speziell für Auftraggebende aus Presse und Zeitungswesen eine große Anzahl von neuen, teilweise avantgardistischen Einzelpavillons errichtet, die fotografisch gut dokumentiert wurden und zum modernen Erscheinungsbild der PRESSA beitrugen (Abb. 4 und 5).[7] Weitere Bauwerke wie beispielsweise der 86 Meter hohe ‚PRESSA-Turm‘ mit eigenem Aufzug und Aussichtsplattform, die sog. ‚PRESSA- oder Stahlkirche‘ und ein Vergnügungspark komplementieren das architektonische Gesamtkunstwerk des PRESSA-Geländes.[8]
Der Fokus der PRESSA lag auf der Vorstellung des nationalen sowie internationalen Pressewesen, seiner Historie, technischen Aspekten und modernen Erfindungen. Fotografie und Film spielten als moderne Massenmedien der Zeit zwar eine grundlegende Rolle in der Ausstellungsgestaltung, sie wurden jedoch eher indirekt aufgegriffen und im allgemeinen Kontext der Presse thematisiert.[9]
Im Kontext der Geschichte von Fotografie-Ausstellungen wurde die PRESSA eher wenig rezipiert. Die Fotografie wurde dort weniger als künstlerisches Erzeugnis verhandelt, sondern vielmehr als Medium und Mittel visueller Kommunikation.[10] Nur in zwei thematischen Ausstellungen in der Abteilung “Photographie und Reproduktion” in den Messehallen kam der Fotografie eine vordergründige Rolle zu.[11] Der Fokus lag hierbei auf der technischen Herkunft der Bilder und deren gesellschaftlicher Funktion. Dafür wurden in der Ausstellung “Die ‚Illustrations-Photographie‘” des Bildredakteurs Wolfgang Schade (Kölnische Illustrierte Zeitung) die Fortschritte aktueller Pressefotografie gezeigt und in einer weiteren Ausstellung die Entwicklungsphase der Fotografie mit historischen Pendants erläutert.[12] In den anderen Ausstellungen auf dem Messegelände trat die Fotografie als Medium zurück und präsentierte sich auf Schautafeln, Plakaten, aufwendigen Fotomontagen oder zierte Wände der Ausstellungshallen.[13]
Auf besondere Weise setzte der gut dokumentierte sowjetischen Pavillon, welcher von El Lissitzky gestaltet wurde, auf den Einsatz von Fotografie (Abb. 6). Hier propagierten die fotografischen Techniken in ihrer Gestaltungsvielfalt, von Großformaten, innovativen Fotomontagen wie dem 24 Meter langen Fotofries, bis hin zu dem als Leporello gestalteten Katalog, die sowjetische Kultur und das moderne Pressewesen der UdSSR (Abb. 7).[14] Die von Lissitzky eingeführten fotografischen Inszenierungsformen beeinflussten Künstler wie Herbert Bayer, der als Ausstellungsgestalter ebenfalls auf großformatige Fotomontagen setzte.[15] (vgl. Road to Victory und Family of Man)
El Lissitzky, Leporello, 1928.
Die PRESSA war “partei- und weltanschauungsübergreifend”[16], wurde als Friedensprojekt konzipiert und spiegelte den Fortschrittsglauben der Weimarer Republik wider. In der sechsmonatigen Laufzeit nahmen knapp fünf Millionen Besucher*innen an der PRESSA teil und die Messe stellte sich als “großer Publikumserfolg” heraus.[17]
Die Verwendung innovativer Präsentationsformen auf der transdisziplinären, heterogenen Großausstellung bildete einen Vorbildcharakter für moderne Gestaltungsprinzipien im Ausstellungsdesign und in der Konzeption von internationalen Messen. Trotz des Augenmerks auf das Pressewesen gilt die PRESSA aufgrund ihrer modernistischen Gestaltungsformen und architektonischen Inszenierung als wichtiger Vorläufer für nachfolgende, groß angelegte Messe- und Fotografie-Ausstellungen wie der FiFo 1929 oder der Hygieneausstellung 1930 in Dresden.[18]
Text: Viola Gerber und Leoni Huber
Redaktion: Thomas Helbig
Anmerkungen
[1] Mella, Julius [u.a.]: Presse und Wirtschaft. Festgabe der Kölnischen Zeitung zur Pressa Köln. Mai bis Oktober 1928, Köln 1928, S. 5.
[2] Vgl. Holzer 2009, S. 33: Neben wichtigen Regierungsmitgliedern nahmen 200 internationale Diplomat*innen bei der Eröffnungsfeier teil, die vom damaligen Kölner Bürgermeister Konrad Adenauer mit einer Rede eröffnet wurde.
[3] Vgl. ebd.; vgl. Müller-Kinne 2022, S. 150.
[4] Vgl. Holzer 2009, S. 34–35.
[5] Ebd., S. 33; vgl. Ausst.kat. Public Photographic Spaces 2008, S. 86f.
[6] Holzer 2009, S. 34–35.
[7] Ebd.; vgl. Ausst.kat. Public Photographic Spaces 2008, S. 84.
[8] Holzer 2009, S. 35.
[9] Ebd., S. 31.
[10] Ebd., S. 32.
[11] Ebd., S. 39.
[12] Ebd.
[13] Ebd.
[14] Holzer 2009, S. 39.
[15] Ebd., S. 40f.
[16] Ebd., S. 38.
[17] Ebd., S. 31.
[18] Ebd., S. 42.
Literatur
Ausst.kat. Pressa. Kulturschau am Rhein, hrsg. von der internationalen Presse-Ausstellung, Köln 1928 [Online abrufbar unter: https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/572065/7]
Ausst.kat. Public photographic spaces: exhibitions of propaganda, from „Pressa“ to „The Family of Man“, 1928–55, Barcelona (Museu d’Art Contemporani), Barcelona 2008
Fuchs, Peter: PRESSA Köln. Rückblick nach 30 Jahren auf die 1. internationale Presseausstellung 1928 in Köln, Köln 1958
Hemken, Kai-Uwe: El Lissitzky. Revolution und Avantgarde (Dumont Taschenbücher; Bd. 248), Köln 1990
Holzer, Anton: Die Pressa, Köln 1928. Eine unbekannte Fotoausstellung der Moderne, in: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie, Jg. 29, Heft 112, 2009, S. 31–46
Klose, Hans-Georg: Presseausstellung und Zeitungswissenschaft. Die Kölner Pressa 1928 im Spannungsfeld von politischer Repräsentation und fachwissenschaftlicher Institutionalisierung, in: Rüdiger vom Bruch und Otto B. Roegele (Hrsg.): Von der Zeitungskunde zur Publizistik. Biographisch-institutionelle Stationen der deutschen Zeitungswissenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1986, S. 197–233
Marten-Finnis, Susanne und Michael Nagel (Hrsg.): 80 Jahre PRESSA. Internationale Presse-Ausstellung Köln 1928 und der jüdische Beitrag zum modernen Journalismus, 2. Bde., Bremen 2012
Mella, Julius [u.a.]: Presse und Wirtschaft. Festgabe der Kölnischen Zeitung zur Pressa Köln. Mai bis Oktober 1928, Köln 1928
Müller-Kinne, Katharina: ‚Weltschau am Rhein‘: Die städtische Architektur und Geländegestaltung der PRESSA 1928 in Köln, Essen 2022 [Dissertation]
te Heesen, Anke: Theorien des Museums zur Einführung, 3. unveränderte Auflage, Hamburg 2012
Teuber, Dirk: Die internationale Presseausstellung ‚PRESSA‘ 1928, in: Wulf Herzogenrath [u.a.] (Hrsg.): Frühe Kölner Kunstausstellungen. Sonderbund 1912, Werkbund 1914, Pressa 1928. Kommentarband zu den Nachdrucken der Ausstellungskataloge (Frühe Kölner Kunstausstellungen), Köln 1981, S. 202–239
Internetlinks:
Informationen zu Ausstellungsgebäude und Architekten: http://www.kmkbuecholdt.de/historisches/ausstellungen/Pressa01.htm (Letzter Zugriff: 17.12.199)
Sammlung historischer Fotografien zur PRESSA: https://www.fostinum.org/pressa-exhibition-in-cologne.html (Letzter Zugriff: 17.12.2023)
1929
Film und Foto. Internationale Ausstellung des Deutschen Werkbunds
Die FiFo (Film und Foto) gilt als eine der bedeutendsten Ausstellungen in der Geschichte von Film und Fotografie. Ausgerichtet vom Deutschen Werkbund, eröffnete sie 1929 in Stuttgart, anschließend wurde sie als Wanderausstellung in Zürich, Berlin, Danzig, Wien, Zagreb, München, Basel, Tokyo und Osaka gezeigt. (vgl. Lugon 2010: 87)
Abb. 1-2 Plakat für Film und Foto Ausstellung 1929 (84 x 58,5 cm); Titelseite des Prospektes für die Film und Foto Werkbund-Ausstellung; Umschlag des Katalogs der Ausstellung „Film und Foto“ (Stuttgart), 1929; Raumplan
Durch die Vereinigung von Film und Foto, sowie der experimentellen Ausstellungsgestaltung wird der FiFo eine Sonderstellung in der Mediengeschichte zugewiesen. Außerdem gilt sie als Wegbereiter für das „Neue Sehen“ („Neue Optik“) und die „Neuen Sachlichkeit“. Als früherer Indikator für den Erfolg der Fifo, gilt bereits die Architekturschau des Werkbundes Die Wohnung aus dem Jahr 1927. Als weitere Erscheinungsform der Moderne sollten nun auch die Entwicklungen von Fotografie und Film einem internationalem Publikum vorgestellt werden. Zentraler Akteur der FiFo war Laszlo Moholy-Nagy, Bauhaus-Lehrer und prominentester Theoretiker der „Neuen Fotografie“, der eine eigene Abteilung der Ausstellung gestaltete (Raum 1: „Wohin geht die fotografische Entwicklung?“, vgl. Lugon 2010: 87ff.)
Standort der ersten Schau der FiFo waren die städtischen Ausstellungshallen im Schlossgarten Stuttgarts. Mit 13 aufeinanderfolgenden Räumen und einem architektonisch vorgegebenen Ausstellungsdurchgang, bot die Ausstellung einen weitreichenden Einblick in die Vielfalt und Entwicklung der Fotografie (Abb. 2).
Abb. 3- 5 Raum 1 – Laszlo Moholy-Nagy: „Wohin geht die fotografische Entwicklung?“; Raum 3 – John Heartfield: „Benützt Foto als Waffe“; Raum 4 – El Lissitzky: Sowjetische Fotografie und avantgardistische Filme
Der erste und zugleich größte Raum der Ausstellung, verstand sich als programmatischer Auftakt. Moholy-Nagy präsentierte eine zeitliche Abfolge von Fotografien, die nicht hierarchisch angeordnet waren. Der Raum fungierte als Einführung in die Ausstellung und zeigte historische Fotografien von Erich Stenger sowie zeitgenössische Werke, einschließlich Moholy-Nagys eigenen Arbeiten. Die leitende Frage „Wohin geht die fotografische Entwicklung?“ zog sich als roter Faden durch diesen Raum und bildete den Übergang zur übrigen Ausstellung (vgl. Lugon 2010: 93). Ebenfalls sollen sich ergänzend zu den Fotografien, die wie ein Zeitstrahl angeordnet wurden, maschinenschriftliche „Wandtexte“, befunden haben. Dies unterstreicht den didaktischen Ansatz und das Verständnis Moholy-Nagys, die Ausstellung als Schule des Sehens zu betrachten (vgl. Lugon 2010: 91) (Abb. 3).
John Heartfield gestaltete Raum 3 mit dem Schwerpunkt auf Fotomontage und Plakat. Die thematische Gliederung in Foto-Montage, Foto-Zeitung, Foto-Grafik, Foto-Plakat, Foto-Satire und Foto-Einbände verdeutlicht die Vielseitigkeit dieses Raums. Die
Die Präsentation sowjetischer Beiträge fiel durch eine besondere Ausstellungsarchitektur auf. Eine im Raum angebrachte Latten- und Rahmenkonstruktionen ermöglichte eine erhöhte Hängung und somit eine Betrachtung außerhalb der Blickhöhe. Eine Besonderheit war die Einbindung von 35mm-Abspielgeräten von Sergei Eisenstein (vgl. Hägele 2019, S. 441), die avantgardistische Filme zeigten (Abb. 5). Damit unterschied sich der Raum von den anderen durch die zusätzliche Dimension des bewegten Bildes.
Alle weiteren Filme der FiFo wurden außerhalb der Ausstellungsfläche in den Königsbaulichtspielen am Schlossplatz gezeigt (vgl. Hägele 2019, S. 441), um das Medium Film als eigenständige Kunstform zu betonen.
Der didaktische Ansatz der FiFo brach mit dem Typus monografischer Ausstellungen. Im Vordergrund stand vielmehr die Präsentation einer „neuen Optik“, wie sie von Sigfried Giedion beschrieben und von Moholy-Nagy künstlerisch umgesetzt wurde (vgl. Lugon 2010, S. 92ff.).
Die erklärenden Wandtexte waren für die damalige Zeit unüblich und wurden kritisch aufgenommen. Der pädagogische Ansatz war jedoch ein zentrales Anliegen der Ausstellung, denn die Rückschau in die Geschichte der Fotografie diente dazu, über die Vergangenheit und die Zukunft der Fotografie nachzudenken (vgl. ebd.).
Abb. 6-8 Rekonstruktion der FiFo-Ausstellung in der Hochschule Darmstadt (2019) & VR-Rekonstruktion der FiFo-Ausstellung (Raum 1), 2019
Unter der Leitung der Hochschule Darmstadt und der Universität und Kunsthochschule Kassel wurde der von Moholy-Nagy gestaltete Raum 2019 innerhalb eines Forschungsprojektes, sowohl physisch als auch digital, rekonstruiert. Im NRW Kulturforum Düsseldorf, im Museum für Fotografie Berlin und in der Kunsthalle Darmstadt wurde der Raum gezeigt, das virtuelle Pendant ist dagegen als VR-Videowalk auf Youtube zu sehen (Hemken o.J.).
Film und Foto (Kunstgewerbemuseum, Zürich)
Film und Foto (Kunstgewerbemuseum, Berlin)
Text: Thabo Steinhart, Frederike Ohnewald, Rabika Hussain
Redaktion: Thomas Helbig
Literatur/Links
Freunde der Deutschen Kinemathek: Film und Foto. Eine Ausstellung des deutschen Werkbunds, Stuttgart 1929, Berlin 1988.
Hägele, Ulrich: „Film und Foto“ – die Ausstellung des Deutschen Werkbundes 1929 in Stuttgart, verfügbar über: Schwäbische Heimat unter: https://journals.wlb- stuttgart.de/ojs/index.php/sh/article/view/1291 (17.12.2023).
Hemken, Kai-Uwe: Film und Foto: Virtual Reality, 2019, o.S. Verfügbar über profhemken.com unter https://www.profhemken.com/forschung/film-und-foto-ausstellung- virtual-reality/ (27.11.2023).
Lugon, Olivier: Neues Sehen, Neue Geschichte. László Moholy-Nagy, Sigfried Giedion und die Ausstellung Film und Foto, in: Werner Oechslin, Gregor Harbusch (Hrsg.): Sigfried Giedion und die Fotografie. Bildinszenierungen der Moderne, Zürich 2010, S. 88-105.
Online-Ressourcen
1: Online Datenbank des MOMA New York: https://www.moma.org/interactives/objectphoto/exhibitions/5.html#about
2: Übersicht der Ausstellungskataloge der FiFo bei Photobibliothek.ch: https://www.photobibliothek.ch/seite003c3a.html
3: Digitalisat der Zeitschrift Form mit einem Artikel der Fifo von 1929: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/form1929/0219/image,info
1930
Die Ausstellung des Deutschen Werkbundes in Paris 1930
Der deutsche Werkbund gründete sich 1907 als eine Vereinigung von Künstlern, Architekten und Unternehmen. Das Ziel des deutschen Werkbundes war es ein neues Verständnis von Warenästhetik zu schaffen. Im Laufe der Zeit wurde der Werkbund immer mehr von der Bauhaus-Bewegung der 1920er Jahre beeinflusst, beispielsweise war Walther Gropius Mitglied des Werkbundes.[1]
1930 wurde der Werkbund im Rahmen eines jährlich stattfindenden Salons der société des artistes décorateurs français, einer Vereinigung französischer Inneneinrichter, dazu eingeladen, sich mit einem deutschen Beitrag an der Ausstellung zu beteiligen. Die Veranstaltung eröffnete am 14. Mai 1930 im Pariser Grand Palais, der eigens für die Weltausstellung im Jahr 1900 errichtet wurde. Bei der Werkbundausstellung handelte es sich um die erste deutsche Schau dieser Art in Frankreich seit dem Ersten Weltkrieg und ein Prestigeprojekt, mit dem sich Deutschland auf dem Gebiet der modernen Gestaltung gegenüber der Weltöffentlichkeit präsentierte.[2]
Die Leitung übernahm Walter Gropius, der gemeinsam mit Hebert Bayer, Marcel Breuer und Lászlo Moholy-Nagy für die Ausstellungsplanung und -gestaltung zuständig war. In fünf aneinandergrenzenden Sälen wurden in der „séction allemande“ beispielhafte Exponate aus den Gebieten der Architektur, Wohnraumgestaltung und dem Kunstgewerbe zur Schau gestellt. Der von den Gestaltern vorgegebene Weg eines chronologischen Rundgangs (u.a. durch die Nummerierung der Säle) lag der Idee einer gezielten Lenkung der Besucher:innen durch die Ausstellungsräume zu Grunde. Weitere neuartige Gestaltungselemente waren z.B. eine Stahlrampe, die in den dritten Saal führte und durch ihre erhöhte Position diverse Perspektivwechsel ermöglichte, und die Verwendung von geschwungenen Glaswänden und experimentellen Beleuchtungskonfigurationen, die neue Seh- und Wahrnehmungserfahrungen erzeugen sollten.[3]
2 Ausstellungsansichten für Saal 5: Fotoschau und Modelle moderner Architektur in Deutschland, Raumgestaltung von Herbert Bayer, 1930.
Die Fotografien wurden im Saal 5 ausgestellt. Kuratiert wurde dieser Raum von Herbert Bayer. In der von Innenarchitektur und Möbeln geprägten Ausstellung wurden die Architekturfotografien im Saal als „Nebenraum“ beschrieben. Besonders an den Fotografien ist, dass diese nicht an der Wand hingen, sondern an Drähte gespannt und verwinkelt zum Boden und Decke aufgehangen wurden. So wurde ein dreidimensionaler Bildraum erzeugt. Ziel von Herbert Bayer war es, durch die Verräumlichung der Fotografien, eine neue Sichtbarkeit von zweidimensionalen Gegenständen zu ermöglichen. Dies wird als Befreiung der gestalterischen und kuratorischen Elemente wahrgenommen. Die Fotografien besitzen verschiedene Formatgrößen, stehen mal vertikal, mal horizontal und befinden sich nur an einer Seite des Raumes. Mittig im Raum aufgestellt, befindet sich ein Architekturmodell von Walther Gropius.[4]
Die ungewohnte Präsentation der Fotografien wurde nicht nur positiv aufgenommen. Grundsätzlich begeistert von der Idee waren Personen, die dem Bauhaus-Kreis nahstanden. Der Architekt Roger Ginsburger schrieb bezüglich der dreidimensionalen Hängung unter seinem Pseudonym Durand-Dupant folgendes: „Nun muss man sich den Kopf verrenken, um die oberen Bilder zu sehen und ärgert sich, weil man die unteren nur verkürzt sieht.“[5] Wie die Ausstellung insgesamt, polarisierte der Raum und rief somit Kritiken hervor, in denen sich die Unvereinbarkeit zwischen modernen und traditionalistischen Auffassungen der Ausstellungsgestaltung offenbarte.
3 Ausstellungskatalog, gestaltet von Herbert Bayer, 1930, Umschlag blindgeprägtes Cellophan, 31.3 x 15 cm.
Der von Herbert Bayer gestaltete Ausstellungskatalog erfüllt zunächst die klassischen Funktionen eines Kataloges, in dem er Inventurlisten für die jeweiligen Säle sowie Abbildungen des Grundrisses zur räumlichen Orientierung der Besucher:innen bereithält. Gleichzeitig verfolgt der Katalog eigene Gestaltungsprinzipien, insbesondere durch die Zusammen- und Gegenüberstellung von technischen Zeichnungen, typografischen Experimenten und Fotografien der Exponate im Collagestil.[6] Die Hervorhebung der Raumpläne und des gestalterischen Prozesses im Katalog und in der Ausstellung selbst, verdeutlicht das u.a. von Gropius verfolgte Prinzip der Sichtbarmachung eines gestalterischen Konzeptes, dem auch die Ausstellung verpflichtet war.[7] Indem die Werkbundausstellung als eine der ersten „epochenmachende[n], da vollständig nach einem Grundkonzept durchgestaltete[n] Design-Ausstellung[en]“[8] gilt, nimmt sie auch eine besondere Rolle innerhalb der Geschichte von Fotografie-Ausstellungen ein.
Text: Oğulcan Korkmaz und Mai Nguyen
Redaktion: Thomas Helbig
Anmerkungen
[1] Nerdinger 2007, S. 7.
[2] Hoiman und Noell 2019, S. 149.
[3] Ebd., S. 164.
[4] Ebd., S. 165f.
[5] Durand-Dupont 1930, S. 198.
[6] „Sigfried Giedion called Herbert Bayer’s exhibition catalogue for the 1930 Section Allemande a ‚minor typographical masterpiece‘.” Miller 2017, S. 1. Siehe ebd. auch für eine Vielzahl von Reproduktionen aus dem Katalog Bayers.
[7] Ebd., S. 13f.
[8] Hoiman und Noell 2019, S. 164.
Literatur
Bayer, Herbert und Walter Gropius: Section Allemande, Berlin (Verlag Hermann, Reckendorf) 1930
Durand-Dupont: Der Deutsche Werkbund im Salon der „Artistes-Décorateurs“, Paris, in: Das Werk: Architektur und Kunst, hrsg. von Bund Schweizer Architekten B.S.A., Heft 7 (1930), S. 197–204. [Online abrufbar unter: https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=wbw-002:1930:17::1585#579]
Hoiman, Sibylle und Matthias Noell: Die „Section allemande“ in Paris 1930, in: Entwürfe der Moderne: Bauhaus-Ausstellungen 1923–2019, hrsg. von Hellmut Seemann und Thorsten Valk, Göttingen 2019, S. 149–171. [Online abrufbar unter: https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/7784/]
Lotz, Wilhelm: Ausstellung des Deutschen Werkbundes in Paris, in: Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit, hrsg. von Dr. W. Riezler für den Deutschen Werkbund, Heft 11/12 (1930), S. 281–296. [Online abrufbar unter: https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0339 ]
Nerdinger, Winfried (Hg.): 100 Jahre Deutscher Werkbund. 1907/2007, München 2007.
Miller, Wallis: Points of View: Herbert Bayer’s Exhibition Catalogue for the 1930 Section Allemande, in: Architectural Histories, 5 (2017), S. 1–22. [Online abrufbar unter: https://doi.org/10.5334/ah.221]
Abbildungsnachweise
1: Das Plakat für die Section Allemande in der Ausstellung der société des artistes décorateurs im Grand Palais, Paris 14. Mai–13. Juli 1930, gestaltet von Herbert Bayer, 1930, Fotolithografie, 39,4 x 30 cm. Quelle: Harvard Art Museums/Busch-Reisinger Museum. [Online abrufbar unter: https://harvardartmuseums.org/collections/object/359957?position=10]
2: Ausstellungsansicht für Saal 5: Fotoschau und Modelle moderner Architektur in Deutschland, Raumgestaltung von Herbert Bayer, Fotografie Berliner Bild-Bericht, 1930. Quelle: Rubessi, Chiara: Display d’exposition et spatialisation de la photographie, in: Focales, 4 (2020). [Online abrufbar unter: http://journals.openedition.org/focales/693]
3: Ausstellungskatalog, gestaltet von Herbert Bayer, 1930, Umschlag blindgeprägtes Cellophan, 31.3 x 15 cm. Quelle: Miller, Wallis: Points of View: Herbert Bayer’s Exhibition Catalogue for the 1930 Section Allemande, in: Architectural Histories, 5 (2017), S. 1–22. [Online abrufbar unter: https://doi.org/10.5334/ah.221 ]
1933
Die Kamera. Ausstellung für Fotografie, Druck und Reproduktion
„Die Kamera, […] die erste große Ausstellung des grafischen Gewerbes in Deutschland seit der nationalsozialistischen Revolution“.
Amtlicher Katalog 1933, S. 13
Ausstellungsansichten aus: Lotz, Wolfgang, Zur Ausstellung „Die Kamera“, in: Die Form. Zeitschrift für gestaltende Arbeit, Jg. 8, 1933, H. 11, S. 321–325.
Die Berliner Fotografie-Ausstellung Die Kamera, die vom 4. bis zum 19. November 1933 in den Hallen des Berliner Messeamtes gezeigt wurde, sollte dabei helfen, „den deutschen Gedanken durch das Bild hineinzutragen in die kleinsten Hütten, [und] an die äußersten Grenzen“[1] und kann daher als erste Propaganda-Ausstellung des Nationalsozialismus bezeichnet werden. Zentral war die Absicht einer Ästhetisierung des Politischen, um darüber die faschistische Ideologie in alle Bereiche der Gesellschaft tragen zu können. Fotografie, Pressewesen und Wissenschaft sollte hieran mitwirken.
In den unterschiedlichen Abteilungen, in denen sich Berufs- und Amateurfotografen, Forschungseinrichtungen und (Foto-)Schulen präsentierten, lag der Fokus überwiegend auf einer völkisch-nationalen Ausrichtung der Fotografie, was sich unter anderem anhand der unterschiedlichen Abteilungen – „Deutsches Dorf, Deutscher Baum, …. Mit dem Führer durch Deutschland“ – nachvollziehen lässt. Zugleich wurde die rassistische Indienstnahme der Fotografie unverhohlen präsentiert, was sich etwa anhand der Abteilung mit dem Titel „Fotografie und Rassenkunde“ mit „Bilder[n] zu Bevölkerungspolitischen und rassepflegerischen Fragen“ zeigt.[2] Darüber hinaus wurde anhand der Sammlung von Erich Stenger (Technische Hochschule, Berlin), die Geschichte der Fotografie dargestellt, demgegenüber auch eine Demonstration jüngster technischer Verfahren und Entwicklungen, etwa anhand von Ausstellern, wie der fotografischen Abteilung der I. G. Farbenindustrie A.-G., erfolgte.
In der eigens eingerichteten „Ehrenhalle“, wurde auf die Verwendung großformatiger Fotografien gesetzt, in denen die Geschichte des Nationalsozialismus dargestellt wurde. Die überlebensgroßen Fotografien, die nach Pressebildern von Heinrich Hoffmann, dem ‚Leibfotografen Hitlers‘, durch Wilhelm Niemann (Beauftragter des Reichsministeriums Volksaufklärung und Propaganda für die Abteilung Berufsfotografie) angefertigt wurden, waren durchschnittlich 40m² groß und 2,5m über dem Boden angebracht, sodass die Ausstellungsbesucher den Bildern nicht nur räumlich untergeordnet waren. Außer dem Schriftband, das unterhalb des Bilderfrieses angebracht war, wurden nur die Großfotos hell angestrahlt. Die Konfrontation mit derart wirkmächtigen Bildern war wesentlicher Bestandteil der Emotionalisierungs- und Überwältigungsstrategie der Ausstellung, die eine rationale Betrachtung erschwerte. Es lag also an der Inszenierung der Fotografien (Großformat) in Verbindung mit ihren Motiven (Masse), das die Bilder angsteinflößend und identitätsstiftend zugleich wirkten. Christoph Kivelitz stellt daher fest, dass die Verwendung von Überblicksperspektiven zunächst Offenheit ausstrahlten, die Zuschauenden jedoch schließlich zu einer „straff organisierten Volksgemeinschaft“ verschmelzen sollten, die ihrerseits auf die Leitfigur des Führers ausgerichtet wurde.[3]
Der Umschlag des Ausstellungskatalogs wurde von Herbert Bayer entworfen, einem der gefragtesten Gestalter der Weimarer Republik, der 1930 in Paris als Gestalter der Ausstellung des Deutschen Werkbund mit innovativen Konzepten der Ausstellungsgestaltung hervorgetreten war [Link]. Bayer war noch an weiteren Ausstellungen des NS beteiligt, bevor er 1938 in die USA emigrierte. Als einstiger Lehrer am Bauhaus sowie als Künstler, dessen Werke als ‚entartet‘ klassifiziert wurden, sah er sich künstlerisch offenbar zunehmend eingeschränkt.
Als besonders propagandistisch muss die Inszenierung der Eingangshalle bewertet werden, die der Ehrung gefallener SA-Männer gewidmet war. Auch hier sollte eine politische Einflussnahme erzielt werden.[4] Verstärkt wurde diese durch die Verwendung einer Zeile aus dem Horst-Wessel-Lied, dem politischen Kampflied der SA, das bald darauf zur Parteihymne der NSDAP avancierte. In dem vom Nationalismus gefärbten Klima der 30er Jahre konnte diese Strategie offenbar leicht verfangen, was sich an einer Kritik des jungen und später berühmten Kunsthistorikers Wolfgang Lotz verfolgen lässt, der die von Winfried Wendland gestaltete „Ehrenhalle“ in der Zeitschrift Die Form als „ein schönes Dokument des deutschen Gestaltungswillens in heutiger Zeit“ beschrieb, „deutsch vor allem in der Sauberkeit der propagandistischen Wirkung. Sie ist so still und großartig, daß man sich fast scheut, hier überhaupt noch von Propaganda zu sprechen.“[5]
Text: Anke Gross: und Linda Kiehne
Redaktion: Thomas Helbig
Anmerkungen
[1] Sachsse, Rolf, Die Erziehung zum Wegsehen. Fotografie im NS-Staat, Dresden 2003, S. 318.
[2] „Rassenkunde und Röntgen-Fotos erbgesunder und -kranker Menschen spielen neben Luftbildern und naturwissenschaftlichen Aufnahmen eine wichtige Rolle.“ Kautzsch, M., Berliner Ausstellung „Die Kamera“ (Fotografie, Druck, Reproduktion), in: Das Werk: Architektur und Kunst, Jg. 20,1933, H. 12, S. XXX, https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=wbw-002:1933:20::1890. Vgl. auch die Positionierung im Katalog: „Wie eine wahre Kunst nicht international sein kann, sondern immer emporwächst aus der Tiefe der Volkseele und eng verbunden ist mit Blut und Boden, so muss auch gerade eine so ausgesprochene Volkskunst – wie die Fotografie – in stärkstem Maße ihre kraft empfangen aus Rassen und Heimat.“ Heiner Kurzbein, Die Fotografie im Nationalen Deutschland, in: Gemeinnützige Berliner Ausstellungs-, Messe- und Fremdenverkehrs-Ges.m.b.H. (Hg.), Die Kamera. Ausstellung für Fotografie, Druck und Reproduktion. Amtlicher Katalog und Führer, Berlin 1933, S. 9f., hier S. 9.
[3] Kivelitz, Christian, Die Propagandaausstellung in europäischen Diktaturen. Konfrontation und Vergleich: Nationalsozialismus in Deutschland, Faschismus in Italien und die UdSSR der Stalinzeit, Bochum 1999, S. 88.
[4] Thamer, Hans-Ulrich, Geschichte und Propaganda. Kulturhistorische Ausstellungen in der NS-Zeit, in: Geschichtsbilder und Geschichtspolitik, 24. Jg., 1998, H. 3, S. 349–381, https://www.jstor.org/stable/40185848.
[5] Lotz, Wolfgang, Zur Ausstellung „Die Kamera“, in: Die Form. Zeitschrift für gestaltende Arbeit, Jg. 8, 1933, H. 11, S. 321–325, https://doi.org/10.11588/diglit.13209.96 . Lotz hat regelmäßig für diese Zeitschrift geschrieben. Vgl. auch Lotz, Wilhelm, Ausstellung des Deutschen Werkbundes in Paris, in: Die Form. Zeitschrift für gestaltende Arbeit, Jg. 5, 1930, H. 11/12, S. 281–296, https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0339 .
Lotz studierte zunächst in Freiburg und ab 1935 bei L. H. Heydenreich in Hamburg Kunstgeschichte und spezialisierte sich später auf dem Gebiet der Architektur- und Renaissanceforschung. Nach dem Krieg war er am Aufbau des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München beteiligt, als dessen stellv. Direktor er ab 1947 wirkte. 1962 wurde er Direktor der Bibliotheca Hertziana in Rom.
Literatur
Gemeinnützige Berliner Ausstellungs-, Messe- und Fremdenverkehrs-Ges.m.b.H. (Hg.), Die Kamera. Ausstellung für Fotografie, Druck und Reproduktion. Amtlicher Katalog und Führer, Berlin 1933
Lotz, Wolfgang, Zur Ausstellung „Die Kamera“, in: Die Form. Zeitschrift für gestaltende Arbeit, Jg. 8, 1933, H. 11, S. 321–325, https://doi.org/10.11588/diglit.13209.96
Kautzsch, M., Berliner Ausstellung „Die Kamera“ (Fotografie, Druck, Reproduktion), in: Das Werk: Architektur und Kunst, Jg. 20,1933, H. 12, S. XXX, https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=wbw-002:1933:20::1890
Kerbs, Diethart; Uka, Walter und Walz-Richter, Brigitte (Hg.): Die Gleichschaltung der Bilder. Zur Geschichte der Pressefotografie 1930–36, Berlin 1983, S. 156ff.
Kivelitz, Christian, Die Propagandaausstellung in europäischen Diktaturen. Konfrontation und Vergleich: Nationalsozialismus in Deutschland, Faschismus in Italien und die UdSSR der Stalinzeit, Bochum 1999
Pohlmann, Ulrich: Nicht beziehungslose Kunst, sondern politische Waffe – Fotoausstellungen als Mittel der Ästhetisierung von Politik und Ökonomie im Nationalsozialismus, in: Fotogeschichte Bd. 28 (1988), S. 17–31
Pohlmann, Ulrich: Big, Bigger, Better? Großfotos in Ausstellungen, in: Sykora, Katharina et al. (Hg.): Das fotografische Dispositiv (Bd. 3: Valenzen fotografischen Zeigens), Marburg 2016, S. 250–265
Ribalta, Jorge (Hg.), Public photographic spaces: exhibitions of propaganda, from „Pressa“ to „The Family of Man“, 1928–55, Ausst.kat. Barcelona (Museu d’Art Contemporani), Barcelona 2008, S. 256–299
Sachsse, Rolf: Die Erziehung zum Wegsehen. Fotografie im NS-Staat, Dresden 2003
Thamer, Hans-Ulrich, Geschichte und Propaganda. Kulturhistorische Ausstellungen in der NS-Zeit, in: Geschichtsbilder und Geschichtspolitik, 24. Jg., 1998, H. 3, S. 349–381, https://www.jstor.org/stable/40185848
1942
Road to Victory
Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 und dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten stand eine in Vorbereitung befindliche Fotoausstellung im MoMA vor neuen Herausforderungen. Die Ausstellung, die ursprünglich konzipiert wurde, um Trost zu spenden,[1] sollte nun patriotische Gefühle wecken und eine unbedingte Identifikation mit dem Heimatland hervorrufen.[2]
Edward Steichen und Herbert Bayer wurden für die Konzeption der Ausstellung beauftragt. Steichen, ein renommierter Fotograf, u.a. bekannt für seine Modefotografien in Zeitschriften wie Vogue und Vanity Fair, wurde nach dem Kriegseintritt der USA von der Marine eingeladen, als Direktor der Naval Aviation Photographic Unit zu arbeiten. Die technische Umsetzung der Ausstellung lag in den Händen von Herbert Bayer, der bereits 1938 die Bauhaus-Ausstellung im MoMA organisiert hatte.[3] Die Ausstellung, die den Titel Road to Victory erhielt, zeigte Fotografien die hauptsächlich von US-Regierungsbehörden wie der Farm Security Administration beauftragt wurden. In der Schau wurden sie gemeinsam mit Begleittexten von Carl Sandburg präsentiert, Steichens Schwager und Autor zahlreicher Gedichte, die das amerikanische Leben während der Großen Depression behandeln.[4] Seit ihrer Eröffnung im Mai 1942 war die Ausstellung ein Publikumserfolg. Sie zog täglich etwa 800 Besucher an und wurde sowohl innerhalb der Vereinigten Staaten als auch in Südamerika und Großbritannien gezeigt.[5]
Wie der Titel der Schau nahelegt, wurde im Ausstellungsraum eine Art Fotoprozession geschaffen, in der die Besucher:innen mit anderen US-Bürgern und Soldaten zusammen zum ‚Sieg‘ marschieren sollten. Der Weg durch den Ausstellungsparcours war somit streng vorgegeben. Nach dem Modell eines klassischen Dramas ‚durchlebten‘ die Besucher:innen Exposition, Steigerung, Krise und Höhepunkt.
Abb. 3. Installationsansichten, Photographic Archive. The Museum of Modern Art Archives, New York.
Bayer ließ sich stark von Lissitzkys Gestaltung des sowjetischen Pavillons auf der PRESSA (1928) beeinflussen. Allerdings empfand er, dass es der Ausstellung Lissitzkys an Klarheit gefehlt hatte. Im Gegensatz dazu wollte Bayer die Besucher durch eine Kombination von physischen und psychologischen Mitteln leiten.[6] Dazu gehörte eine Rampe, die ein unterschiedliches Höhenniveau erlaubte, und die Variation von Format und Hängung der Fotografien, die sämtlich ohne Rahmen präsentiert wurden. Die Wände und teilweise sogar der Boden wurden geweißt, um die Aufmerksamkeit allein auf die Ausstellung und die Wegeführung zu lenken.[7] So konnte das Publikum ganz in die fotografische Prozession eintauchen.[8] Auch wurde nicht davor zurückgeschreckt, den eigentlichen Inhalt der Fotografien bewusst zu verändern. Ein Beispiel hierfür ist Dorothea Langes Fotografie eines texanischen Farmers, der in Zusammenschau mit der Bildunterschrift Sandbergs, im Kontext der US-amerikanischen Kriegserklärung verstanden werden musste. Tatsächlich handelte es sich um die Fotografie eines Wanderarbeiters, der durch die Mechanisierung der Landwirtschaft verdrängt wurde.[9]
Road to Victory war für die breite Öffentlichkeit bestimmt. Bayer sah die Ausstellung als ein neues und mächtiges Instrument der Massenkommunikation: „Das Thema sollte nicht auf Distanz zum Publikum gehen, sondern dem Publikum nahekommen, das Publikum durchdringen, es erklären, und überzeugen und eine geplante Reaktion hervorrufen. Daher kann man sagen, dass das Ausstellungsdesign parallel zur Psychologie der Werbung verläuft.“[10]
Diese Merkmale der Ausstellung wurden auch in den folgenden Ausstellungen im MoMA fortgeführt. Bayer entwickelte seine Ausstellungsmethode im darauffolgenden Jahr mit der Ausstellung Airways to Peace weiter, und Steichen wandte sich 1955 mit seiner Ausstellung The Family of Man erneut an die amerikanische Öffentlichkeit, und versuchte, sie zu porträtieren.
Text: Jae Eun Lee
Redaktion: Thomas Helbig
Anmerkungen
[1] Phillips, Christopher: Steichen‘s ‘Road to Victory,‘ in: Jorge Ribalta (Hg.): Public Photographic Spaces. Exhibitions of Propaganda, from „Pressa“ to „The Family of Man“, 1928-55, Barcelona 2008, S. 369.
[2] „Unser Ziel bei der Vorbereitung dieser Ausstellung war es, jeden US-Amerikaner in die Lage zu versetzen, sich selbst als lebenswichtiges und unverzichtbares Element des Sieges zu sehen“, Wheeler, Monroe: A Note on the Exhibition, in: Auss.kat. Road to Victory, New York (Museum of Modern Art), New York 1941, S. 18-20.
[3] Staniszewski, Mary Anne: The Power of Display. A History of Exhibition. Installations at the Museum of Modern Art, Cambridge [MA] 1998, S. 210.
[4] Phillips 2008, S. 370.
[5] La, Kristie: “Enlightenment, Advertising, Education, Etc.”: Herbert Bayer and the Museum of Modern Art‘s „Road to Victory“, in: October, vol. 150 (Fall 2014), S. 81.
[6] La 2014, S. 69.
[7] Staniszewski 1998, S. 220.
[8] La 2014, S. 80.
[9] Ebd., S. 79, und Staniszewski 1998, S. 215.
[10] Ebd., S. 68., Phillips 2008, S. 375.
Literatur/Links
Ausst.kat. Road to Victory, New York (Museum of Modern Art), New York 1941.
La, Kristie: Enlightenment, Advertising, Education, Etc.: Herbert Bayer and the Museum of Modern Art‘s „Road to Victory“, in: October, vol. 150 (Fall 2014), S. 63-68.
MoMA, „Road to Victory“, The Museum of Modern Art (MoMA), https://www.moma.org/calendar/exhibitions/3038? (08. Jan. 2024)
Phillips, Christopher: Steichen‘s ‘Road to Victory,‘ in: Jorge Ribalta (Hg.): Public Photographic Spaces. Exhibitions of Propaganda, from „Pressa“ to „The Family of Man“, 1928-55, Barcelona 2008, S. 367-378.
Staniszewski, Mary Anne: The Power of Display. A History of Exhibition. Installations at the Museum of Modern Art, Cambridge [MA] 1998.
1952
Die Weltausstellung der Fotografie in Luzern
Am 15. März 1952 eröffnete die Weltausstellung der Photographie (WAP) in Luzern ihre Tore. Die globale Schau, die sich dem fotografischen Schaffen widmete, lockte die Besuchenden mit Attraktionen wie dem Phototurm und dem Aquarium. Ansässig in Luzern, der Stadt in der Schweiz, die seit der Gründung der Fotografie Zeitschrift Camera1922, den Status einer „Photostadt“, eines „international betrachteten Ortes für die Photographie” verkörperte.[1]
Die Camera war jedoch nicht nur für die Positionierung Luzerns in der Welt der Fotografie relevant, sondern ihre innovative Gestaltung spiegelte sich auch im gestalterischen Konzept der Weltausstellung wider. Die Bilder sollten den Raum nicht umranden, sondern ihn inhaltlich in Form von großen Fotoflächen füllen.[2] Die Fotografien wurden „rand- und rahmenlos“ auf Holzfaserplatten mittleren bis sehr großen Formats gezogen und auf Stahlrohrgestellen befestigt, was für eine sehr luftige und aufgelockerte Hängung sorgte, dem Publikum erlaubte, sich frei zwischen den Bildern zu bewegen und darüber hinaus interessante Blickachsen und Konstellationen schuf.[3] Im avantgardistischen, modernen Ausstellungsdesign der WAP ist eine starke Anbindung an Ausstellungen des Deutschen Werkbundes (vgl. FiFo und die Werkbundausstellung 1930 in Paris) und des Bauhauses zu erkennen.[4]
Die Realisierung der Ausstellung nahm mindestens fünf Jahre intensive Vorarbeit in Anspruch.[5] Zu diesem Zweck wurde im Jahr 1950 eine eigene Genossenschaft gegründet, welche aus Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Tourismus zusammengesetzt war. Das Budget wurde aus Spenden und Beiträgen der Stadt und des Kantons Luzern, sowie aus Zuwendungen von Firmen und Vereinigungen, aber auch aus privater Hand bestritten.[6]
Die WAP fand auf einem 15.000 qm großen Ausstellungsareal statt, welches sich vom Bahnhofsvorplatz, auf welchem eine Einführungsschau stattfand, über das Kunsthaus bis hin zum Inseli sowie einer Ausstellungsstraße erstreckte. Der im Kunst- und Kongresshaus angesiedelte Hauptteil der Ausstellung gliederte sich in viele verschiedene, thematisch geordnete Themenbereiche – worin sich der Anspruch, die diversen Anwendungsbereiche und Facetten der Fotografie darzustellen, widerspiegelt. Die thematischen Abteilungen reichten von der historischen Abteilung (in welcher sich u.a. Geräte aus den frühen Jahren der Fotografie, wie beispielsweise frühe Modelle der Camera Obscura oder eine persönliche Kamera von Daguerre befanden), über „Wissenschaft und Technik“, „Medizin“, „Kunst“, „Portrait“, „Architektur“ und „Amateure“. Der zweite wichtige Bereich der WAP war die Ausstellung der Nationen auf dem Inseli, auf welchem sich die 20 teilnehmenden Länder in Freilichtpavillons präsentierten.[7]
Die Fotografieausstellung in Luzern hatte bis zu ihrer Schließung am 24. August 1952 den Anspruch, die diversen Facetten und Anwendungsbereiche der Fotografie, sowie ihre Verflochtenheit mit unserem alltäglichen Leben zu präsentieren, einem breiten Publikum ein Verständnis für die Fotografie zu ermöglichen und gleichzeitig über das Medium der Fotografie einen Blick auf die Welt zu werfen.[8] Der Begriff „Weltausstellung“ betonte außerdem die verbindende Botschaft eines friedlichen Miteinanders und eines interkulturellen Austauschs, was insbesondere im Kontext des Kalten Krieges eine zentrale Rolle spielte.[9]
Text: Alicia Grobholz & Cora Lou Gercke
Anmerkungen
[1] Steiger Kraushaar, Flavia: Weltausstellung der Photographie 1952: eine Weltausstellung in Luzern. Masterarbeit Kultur- und Sozialwissenschaftliche Fakultät Universität Luzern, 2011, S. 4.
[2] Siehe: Camera 31. Jahrgang Nr. 4, April 1952: Photokina und Deutschland. S. 134. (Vom äußeren Aufbau der Weltausstellung der Photographie).
[3] Camera 31. Jahrgang Nr. 4, April 1952: Photokina und Deutschland. S. 134. (Vom äußeren Aufbau der Weltausstellung der Photographie).
[4] Vgl. Willi, Muriel: Das imaginäre Museum. Die Zeitschrift Camera und die Weltausstellung der Photographie (1952), in: Holzer, Anton (Hg.): Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie, Heft 137, 2015, S. 40; Steiger Kraushaar, Flavia: Weltausstellung der Photographie 1952. Luzerns Experiment als Fotostadt, Luzern: o.a., S. 12.
[5] Siehe: Steiger Kraushaar, Flavia: Weltausstellung der Photographie 1952. Luzerns Experiment als Fotostadt, S. 2.
[6] Siehe: ebd., S. 3.
[7] Siehe: ebd., S. 4-6; siehe: Steiger Kraushaar, Flavia (2011), S. 21.
[8] Vgl. Steiger Kraushaar, Flavia: Weltausstellung der Photographie 1952. Luzerns Experiment als Fotostadt, S. 3 f.; Steiger Kraushaar, Flavia (2011),S. 18.
[9] Siehe: Willi, Muriel (2015), S. 40; Steiger Kraushaar, Flavia: Weltausstellung der Photographie 1952. Luzerns Experiment als Fotostadt, S. 9.
Literatur/Links
Weltausstellung der Photographie 1951, Fotodok.ch, URL: https://www.fotodok.swiss/wiki/Weltausstellung_der_Photographie_1952. Stand: 24. Januar 2024.
Schweizer Filmwochenschau (SFW), Das Bild der Welt (0525-2) vom 16.05.1952, SFW, 1952-05-16, aus: Schweizerisches Bundesarchiv, Cinémathèque suisse, Filmbestand Schweizer Filmwochenschau (1940-1975), Schweizerisches Bundesarchiv: J2.143#1996/386#525-1#2*, Online: https://memobase.ch/de/object/bar-001-SFW_0525-2, Stand: 24. Januar 2024.
1955
The Family of Man, MoMA New York
Die Fotografieausstellung The Family of Man war vom 24. Januar 1955 bis zum 8. Mai 1955 im Museum of Modern Art in New York zu sehen.[1] Die, von dem luxemburgisch-amerikanischen Fotograf und Kurator Edward Steichen, seit 1947 Leiter der fotografischen Abteilung des MoMA, kuratierte Ausstellung zeigte 503 Fotografien von insgesamt 273 Fotograf*innen aus 68 Ländern.[2]
Installationsansicht, The Family of Man, 24. Januar 1955–8. Mai, 1955. Photographic Archive. The Museum of Modern Art Archives, New York. IN569.2. Foto: Ezra Stoller.
Die Idee zur Ausstellung entstand aus früheren Ausstellungen im MoMA, wie z.B. Road to Victory (1942) und Power of the Pacific (1944), in denen Steichen bereits viele der in The Family of Man umgesetzten Gestaltungskonzepte erfolgreich umsetzte. Im Gegensatz zu der internationalen Ausrichtung der Ausstellung verfolgten diese jedoch einen dezidiert nationalen Fokus, ging es doch um eine Selbstvergewisserung im Zuge des US-amerikanischen Kriegseintritts nach dem japanischen Angriff auf Pearl Habour.[3] Die Kombination der innovativen Ausstellungsgestaltung Herbert Bayers, die Integration einstimmender Wandtexte und die Arbeit mit Vergrößerungen formte ein neues Genre der Fotografie-Ausstellung, dessen Anfänge in den Fotoessays von Magazinen und Fotobüchern wurzelte. Das zentrale Konzept bestand darin, ein universelles Porträt der Menschheit zu zeigen, um das Verständnis zwischen den Menschen in der Nachkriegszeit zu fördern und dabei gleichzeitig die Gefahr eines drohenden Atomkriegs zu verdeutlichen. Wie die Ansprache im Katalog formuliert, sollte das Medium der Fotografie als universelle Sprache dienen, um die gemeinsamen menschlichen Erfahrungen zu vermitteln.[4]
Die Auswahl der Fotografien erfolgte in einem aufwändigen, mehr als zweijährigen Prozess, bei dem über vier Millionen Bilder gesichtet worden sein sollen.[5] Einige der ausgestellten Fotografien gelangten über eine öffentliche Ausschreibung in die Ausstellung, da Steichen verlautbarte, Fotografien sowohl von Amateurfotograf*innen als auch von professionellen Fotograf*innen zu präsentieren zu wollen.[6] Tatsächlich stammte der Großteil der ausgestellten Werke überwiegend von renommierten Fotograf*innen. Auch der internationale Anspruch der Ausstellung wurde in Wahrheit nur rudimentär erfüllt. Viele der verwendeten Fotografien wurden „nur wenige Straßen vom MoMA entfernt“ über das Archiv des Life-Magazins und der Fotoagentur Magnum bezogen.[7]
Nach ihrer Eröffnung im MoMA 1955 tourte die Ausstellung acht Jahre lang durch 40 Länder, dabei sahen bis 1964 mehr als neun Millionen Besucher*innen die Ausstellung.[8] 1966 erhielt Luxemburg, das Geburtsland Steichens, die letzte noch bestehende Wanderversion der Ausstellung überreicht. Seit 1994 ist die restaurierte Version der Ausstellung dauerhaft im Schloss von Clervaux zu sehen. Seit 2003 zählt sie zum UNESCO Weltdokumentenerbe.
Installationsansicht, The Family of Man, 24. Januar 1955–8. Mai, 1955. entn. aus: Phillips 2008, S. 420f.
Text: Alexandra Schumacher, Elizaveta Kazantseva, Lea Lahr
Redaktion: Thomas Helbig
Anmerkungen
[1] Siehe die Dokumentation der Ausstellung mit zahlreichen Installationsansichten auf den Websiten des MoMA und der Steichen Collections, URL: https://www.moma.org/calendar/exhibitions/2429 (11.01.2024). Steichen Collections: The Family of Man, URL: https://steichencollections-cna.lu/deu/collections/1_the-family-of-man (11.01.2024).
[2] Lugon, Olivier: Die globalisierte Ausstellung. The Family of Man, 1955, in: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie, Jg. 29, 2009, Heft 112, S. 65.
[3] Darauf wies bereits der Untertitel der Ausstellung hin: „a procession of photographs of the nation at war“. Entsprechend formulierte Elizabeth McCausland in ihrer Ausstellungskritik: „art has been made a weapon of unmistakable intent and power“. Zit. n. Christopher Philips: Steichen’s Road to Victory, in: Jorge Ribalta (Hg.): Public Photographic Spaces. Exhibitions of Propaganda, from ‚Pressa‘ to ‚The Family of Man‘, 1928–55, Barcelona 2008, S. 367–378, hier S. 377.
[4] Steichen, Edward; Sandburg, Carl u.a.: The Family of Man: The Photographic Exhibition, Museum of Modern Art, New York 1955, S. 6.
[5] Giessen, Hans W.: „The Family of Man“: Konzeption, Rezeption, Medienwirkung, Heidelberg 2013, S. 1.
[6] Vgl. das entsprechende Dokument im Online-Archiv des MoMA: „Museum of Modern Art Plans International Photography Exhibition“, 31.01.1954, URL: https://assets.moma.org/documents/moma_press-release_325966.pdf?_ga=2.142087154.1554969830.1704965432-5 3063750.1702483752 (11.01.2024).
[7] Siehe hierzu die erhellende Verteilungsstatistik in Lugon 2009, S. 67f.
[8] Lugon 2009, S. 70.
Literatur
Barthes, Roland: Die große Familie der Menschen. In: Roland Barthes: Mythen des Alltags. Suhrkamp, Frankfurt/M, 1964.
Berlier, Monique: The Family of Man: Readings of an Exhibition, in Hardt, Hanno; Brennen, Bonnie, Picturing the past : media, history, and photography, University of Illinois Press, 1999.
Giessen, Hans W.: „The Family of Man“: Konzeption, Rezeption, Medienwirkung. Heidelberg 2013.
Green, Jonathan: American Photography. A Critical History, Harry N. Abrams, 1984.
Lugon, Olivier: Die globalisierte Ausstellung. The Family of Man, 1955, in: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie, Jg. 29, 2009, Heft 112, S. 65–72.
MoMA, URL: https://www.moma.org/calendar/exhibitions/2429 (11.01.2024).
Museum of Modern Art Plans International Photography Exhibition, 31.01.1954, URL: https://assets.moma.org/documents/moma_press-release_325966.pdf?_ga=2.142087154.155496 9830.1704965432-53063750.1702483752 (11.01.2024).
Philips, Christopher: Steichen’ Road to Victory, in: Jorge Ribalta (Hg.): Public Photographic Spaces. Exhibitions of Propaganda, from ‚Pressa‘ to ‚The Family of Man‘, 1928–55, Barcelona 2008, S. 367–378Sandeen, Eric J.: Picturing an Exhibition. Albuquerque, N.M. : University of New Mexico Press, 1995.
Steichen Collections: The Family of Man, URL: https://steichencollections-cna.lu/deu/collections/1_the-family-of-man (11.01.2024).
Steichen, Edward; Sandburg, Carl; Norman, Dorothy; Lionni, Leo; Mason, Jerry; Stoller, Ezra: The Family of Man: The Photographic Exhibition, Museum of Modern Art, New York, 1955.