NHU XUAN HUA. HUG OF A SWAN (2022/23)
Eine installative Fotografieausstellung entfernter Erinnerungen und ortspezifischer Herausforderungen im FFF
Blau-grüne Discolichter tanzen zum vietnamesischen Lambada, während eine sanfte Brise durch den Raum zieht. Sie macht entfernte Erinnerungen spürbar, die sich in den ausgestellten Fotografien zu manifestieren scheinen. NHU XUAN HUA. HUG OF A SWAN lautet der Titel der ersten Museumsausstellung der Künstlerin Nhu Xuan Hua, die international für Ihre Modefotografien bekannt ist.[1] Sie konzipierte die installative Fotografieausstellung für das Huis Marseille in Amsterdam (10.09.–04.12.2022), wo die einzelnen Räume der beiden Grachtenhäuser des 17. Jahrhunderts durch ihre diversen Wandfarben, Vertäfelungen, Bordüren und Vorhänge in ihrer Wohnraumästhetik eine ebenso private Atmosphäre eröffnen, wie in den ausgestellten Arbeiten evoziert. Hua verstand diesen Charakter als ein Echo „[…] von der Idee des Zuhauses und von Kindheitserinnerungen – jener Themen, die im Mittelpunkt ihrer fotografischen Narrative stehen.“[2] Die Ausstellung ist das Ergebnis ihrer Suche nach der eigenen Identität, familiärer Vergangenheit und verdrängter Erinnerung.[3] Ihre Familie floh nach dem Vietnamkrieg von Vietnam nach Frankreich, wo Hua 1986 in Paris geboren wurde. Ihre Serie Tropism, consequences of a displaced memory (Study 1 2016–2021) führt als roter Faden durch die Ausstellung: Hua bearbeitete Fotografien aus ihren Familienalben mithilfe eines Algorithmus‘, sodass sich die abgelichteten Personen in angedeutete Umrisse auflösen – zu unscharfen Erinnerungen werden –, ohne jedoch ganz zu verschwinden.[4] (Abb. 1) Der Serientitel bezieht sich auf Nathalie Sarrautes gleichnamiges Buch (frz. Tropismes 1957) und bezeichnet minimale, unterbewusste Gemütsregungen, die durch instinktive Assoziationen oder transgenerationale Weitergabe hervorgerufen werden können.[5] Solche Tropismen und persönliche Referenzen finden sich in ihren freien Arbeiten als auch in ihren Auftragsarbeiten, die einen gleichwertigen Platz in der Ausstellung einnehmen.
Die von Nanda van den Berg und Désirée Kroep im Huis Marseille kuratierte Ausstellung wanderte im darauffolgenden Jahr nach Frankfurt, wo die Kuratorinnen Celina Lunsford (Künstlerische Leitung FFF) und Esra Klein (Kuratorische Assistenz FFF) gemeinsam mit der Künstlerin der Herausforderung gegenüberstanden, die ortspezifische Ausstellung in den White-Cube-ähnlichen, umlaufenden Räumen des Fotografie Forum Frankfurt (10.02.–09.04.2023) umzusetzen. Bordüren und Wandvertäfelungen werden durch farbige Wandbemalung und Wandregale zitiert, die neben den wenigen Stellwänden und Vorhängen, die offene, um das Treppenhaus laufende Ausstellungsfläche in die fünf konzipierten Räume der Ausstellung gliedern.
Beim Betreten der Ausstellungsebene des FFF führt der Weg an einer pinken, mit einem einführenden Ausstellungstext bedruckten Stellwand vorbei in den Wedding Room, indem die Discolichter eine weiße Bühne beleuchten. Auf dieser ist die Arbeit Jupiter likes Karaoke (Serie Dear Wind, 2021) in einem silbernen Bilderrahmen, auf dem metallisch-spitze Serviettenschwäne thronen, positioniert. (Abb. 2) Eine von mehreren Fotografien, für die eigens skulpturale Rahmen als integraler Bestandteil der künstlerischen Arbeit angefertigt wurden. Die Serviettenschwäne finden sich auf den im Raum verteilten halbierten Rundtischen wieder, deren rosa Tischdecken sich auf geheimnisvolle Weise bewegen. Die Tische sind gedeckt für eine Person und repräsentieren den familiären Stellenwert gemeinsamer Mahlzeiten in der vietnamesischen Kultur, gleichzeitig aber auch die für Hua mangelhafte Kommunikation in diesen Situationen.[6] Über einen QR-Code können Besucher:innen Lieder aus einem von Hua zusammengestellten Soundtrack auswählen.
Lediglich eine durch blaue Farbe angedeutete Wandbordüre signalisiert den Übergang in einen neuen Raum: Der Celebration Room lädt zu einer Geburtstagfeier ein, die für Hua auch das Feiern von Mutterschaft bedeutet.[7] Selbstbestimmen Frauenbildern sind in diesem Raum besonders präsent: Über einem einheitlich in grau gedeckten Geburtstagstisch mit grauer Torte, grauen Bonbons und grauen Getränken hängt Huas Arbeit I’m home late, don’t you care where I’ve been? aus der Serie Honey Baby (2020). (Abb. 3) Demgegenüber wird eine für Gucci Beauty aufgenommene Fotografie der französischen Feministin Grace Ly in einem hervorgehobenen Wandschrein in lila Licht getaucht.
Räumlich abgetrennt durch eine Stellwand und einen Vorhang taucht man in den Red Room ein, der sich durch die roten Deckenleuchten in Kombination mit der roten Wandfarbe von dem bisher dominierenden Weiß unterscheidet. (Abb. 4) Schwarze Flächen zitieren die Wandvertäfelung des Huis Marseille und setzen mit Spotbeleuchtung einen Fokus auf die Fotografien, die neben Blumenvasen auf metallisch glänzenden Wandregalen stehen.[8] Diese verstärken eine häusliche Atmosphäre, die einen Gegenkontrast zu dem White Cube-Charakter des FFF eröffnet. Ventilatoren bewegen goldene Gräser, die auf dem Boden positioniert sind, und verweisen auf die Hitze in Vietnam.
Der kleinste Raum trägt den Titel Courtyard und zeigt vor weißen Wänden das großformatigste Werk der Ausstellung, ebenfalls aus der Serie Tropism. (Abb. 5) Auf zwei Liegestühlen im Freien sind die Umrisse zweier Personen mit knalligen Bikinis zu sehen, als würden sie in den durch die Fenster des FFF eintretenden Lichtstrahlen sonnen. An einer Stellwand vorbei eröffnet sich der fünfte und letzte Raum: Bel Etage. (Abb. 6) Eine weiße Parkbank steht auf hellgrünem Kunstrasen – eine Erinnerung an den Pariser Vorort ihrer Kindheit – und lädt Besucher*innen dazu ein, Platz zu nehmen und auf die Fotografien zu schauen, die in unterschiedlichen Rahmen und Formaten auf einem schmalen Wandregal oder dem Boden gegenüber platziert sind. Dazwischen Austernmuscheln, Monopolyfiguren und Souvenirs, die für Hua als „persönliche und assoziative Artefakte“ „materielle Bezüge zur Erinnerung“ bergen.[9]
Die Ausstellung verhandelt ein weitgefasstes Verständnis von Fotografie als persönliche Erinnerungsdokumente über Medien visueller Kommunikation bis zu digital produzierten Kunstwerken, die durch skulpturale Rahmen erweitert werden. Die fotografischen Arbeiten stehen zwar im Fokus der Ausstellung, sind jedoch in das Format einer Rauminstallation eingebunden.
Text: Laura Waas
Redaktion: Thomas Helbig
Literatur- und Quellenverzeichnis
Chichosch, Katharina: Kuss eines Schwans, in: taz, 15.02.23, URL: https://taz.de/Ausstellung-von-Nhu-Xuan-Hua/!5912600/ (12.02.2024).
Deschka, Katharina: Die Silhouetten der Vorfahren, in: FAZ, 14.02.2023, URL: https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/kultur/die-modefotografin-nhu-xuan-hua-im-fotografie-forum-18677893.html (26.02.2024).
Fotografie Forum Frankfurt: Zum kuratorischen Konzept von NHU XUAN HUA. HUG OF A SWAN im FFF, in: Pressemappe Nhu Xuan Hua. Hug of a swan, Frankfurt a. M. 2023, S. 1.
Fotografie Forum Frankfurt: Celebration Room, in: Pressemappe Nhu Xuan Hua. Hug of a swan, Frankfurt a. M. 2023, S. 1–2.
Fotografie Forum Frankfurt: Bel Etage, in: Pressemappe Nhu Xuan Hua. Hug of a swan, Frankfurt a. M. 2023, S. 1.
Fotografie Forum Frankfurt: NHU XUAN HUA. HUG OF A SWAN (Intro-Wandtext der Ausstellung), in: Pressemappe Nhu Xuan Hua. Hug of a swan, Frankfurt a. M. 2023, S. 3–4.
Hua, Nhu Xuan: Website der Künstlerin, URL: https://www.nhuxuanhua.com/ (12.02.2024).
Kroep, Désirée: Nhu Xuan Hua. Hug of a swan, 10.09.2022 — 04.12.2022, in: Website des Huis Marseille, URL: https://huismarseille.nl/en/exhibitions/nhu-xuan-hua/ (12.02.2024).
Moroz, Sarah: Nhu Xuan Hua distorts her family archive in an expression of her displacement and search for understanding of her past, in: British Journal of Photography, 17.11.2022, URL: https://www.1854.photography/2022/11/nhu-xuan-hua-distorts-her-family-archive/ (26.02.2024). Seitz: Sabine: Im persönlichen Gespräch, Frankfurt am Main, 25.01.2024.
Anmerkungen
[1] Hua wurde bekannt für ihre Arbeiten in Magazinen wie Vogue und The Wall Street Journal sowie ihre Aufträge für große Marken wie Dior, Levi’s oder Gucci. Kroep, Désirée: Nhu Xuan Hua. Hug of a swan, 10.09.2022 — 04.12.2022, in: Website des Huis Marseille, URL: https://huismarseille.nl/en/exhibitions/nhu-xuan-hua/ (12.02.24).
[2] Fotografie Forum Frankfurt: Zum kuratorischen Konzept von NHU XUAN HUA. HUG OF A SWAN im FFF, in: Pressemappe Nhu Xuan Hua. Hug of a swan, S. 1.
[3] Kroep: Nhu Xuan Hua, o. S.
[4] Ebd.
[5] Ebd.
[6] Seitz, Sabine: Im persönlichen Gespräch, Frankfurt am Main, 25.01.2024.
[7] Fotografie Forum Frankfurt: Celebration Room, in: Pressemappe Nhu Xuan Hua. Hug of a swan, S. 1.
[8] Die Kombination von Fotografien, Blumenvasen und Wandbordüren könnte als historische Referenz auf Alfred Stieglitz‘ Ausstellungsdesign in The Little Galleries of the Photo-Secession (1906) gelesen werden.
[9] Fotografie Forum Frankfurt: Bel Etage, in: Pressemappe Nhu Xuan Hua. Hug of a swan, S. 1; Fotografie Forum Frankfurt: NHU XUAN HUA. HUG OF A SWAN (Intro-Wandtext der Ausstellung), in: Pressemappe Nhu Xuan Hua. Hug of a swan, S. 3.