Brücklmeier_ Sinn & Unsinn

Der Essay „Dead zones of the imagination“ von Graeber (2006) basiert auf der Malinowski Memorial Lecture mit dem Titel „Beyond power/knowledge: An exploration of the relation of power, ignorance and stupidity“. Darin thematisiert Graeber strukturelle und staatliche Gewalt insbesondere im Hinblick auf die Bürokratie, welche für den Autor eine weitere Form der Gewalt darstellt, da sie marginalisierte Bevölkerungsgruppen zusätzlich belasten würde.

Dazu führt Graeber anfangs eigene Erfahrungen mit bürokratischer Gewalt an. Demnach sei die bürokratische Inkompetenz trotz ihrer gewalttätigen Eigenschaften gesellschaftlich akzeptiert und würde häufig erst gar nicht als solche war genommen. Jedoch, so betont Graeber würden mit dieser Form der Gewalt auch physischen Konsequenzen einhergehen im Falle einer Konfrontation. Das bisherige weitläufige Desinteresse an der Thematik erklärt sich Graeber durch mangelnde Interpretationsmöglichkeiten welche sich für Anthropologen offenbare würde.

Im Hinblick auf das Sitzungsthema Sinn und Unsinn von Gewalt lasst bürokratische Gewalt nur schwer einordnen. Bürokratie kann als lästige Mittel zum Zweck dienen ein gesellschaftliches Miteinander zu organisieren und strukturieren und ist deshalb für manche gerechtfertigt, andere sehen darin nur ein weiteres Mittel von oben herab einzuwirken und die Dinge unnötig zu verkomplizieren. Letztendlich bleibt es eine Frage der Perspektive. Es wäre daher interessant zu erforschen, ob und wie fern sich die Diskrepanz zwischen Sinn und Unsinn verkleinern lässt. Da wir im Fall von Bürokratie weder mit noch ohne sich auskommen zu scheinen

Akca_13_Artensterben

Juno Salazar Parreñas beschäftigt sich in dem Auszug seines Buches „Decolonizing extinction : the work of care in orangutan rehabilitation“ aus dem Jahr 2018, mit den Fragen, ob es möglich wäre in einer Ära ohne Auslöschung,  gewaltsame Herrschaften, Kolonisierungen über andere, insbesondere nicht menschliche Wesen, zu leben bzw. Diese Ära zu erreichen. Parreñas erläutert die Zustände und Erfahrungen der Orang Utans in den Reservaten, in denen er geforscht hat. 

Ist es möglich den Eindruck von Sicherheit unabhängig von Gewalt zu machen? Parreñas spricht den Leser direkt an, bezieht ihn ein und erläutert wie ‚wir‘ das Aussterben entkolonialisieren können.

Halbwild zu werden bedeutete, das Ziel zu erreichen ‚Bebas’ zu werden, oder die Freiheit der uneingeschränkten Lizenz, laut Parreñas. Juno Salazar. geht darauf ein, dass dies nicht die Freiheit des postkolonialen Nationalstaats ist, die offiziell als Nationalfeiertage merdeka auf Malaiisch gefeiert werden. Er führt als weiteres Argument an, dass es aber auch nicht die Bewegungsfreiheit ist, die in der Philosophie des Liberalismus vertreten wird, wo diese Freiheit auf die Rechte ‚vollwertiger‘ Bürger beschränkt ist und  auch nicht die Freiheit der Wüstlinge von wilden Partys, wildem Nachtleben und wilden Tieren (Lügner auf Malaiisch). Bebas ist die Freispruchsfreiheit, die Unabhängigkeit von Fabrikfrauen, die sich von den Anordnungen ihrer Väter lösen und die Befreiung der Jugend in Indonesien und auf der malaysischen Halbinsel. Diese Art von Freiheit hat meistens kein direktives Ziel oder Ziel ‚a priori‘,  doch ist sie offen für Möglichkeiten, Ungewissheiten und Experimente. Parreñas möchter mit seiner Arbeit das Gefühl der Befreiung und Unabhängigkeit in bebas bieten, eine Theorie der Dekolonisierung dicht beschreiben. 

Parreñas hebt die beiden Wildtierzentren von Sarawak hervor in denen halbwilde Orang-Utans leben und in denen wir sehen können, wie koloniale Hinterlassenschaften und postkoloniale Institutionen die Art und Weise beeinflussen, wie Orang-Utans leben und sterben. Über die Zeit seines Masterstudiums bemerkte er, wie sich das Batu Wildlife Center sich erst in einem 6,5 km2 großen staatlichen Naturschutzgebiet befand und in sich kurzer Zeit bis zu 15kms erstreckte. Das normale Verbreitungsgebiet eines einzelnen Orang-Utan-Weibchen beträgt 7 km2, jedoch soll dieses Gebiet eine ständig wachsende Population von Orang-Utans beherbergen. 

Ich finde es gut, dass er anregt, dass die Institutionen, die von früheren Kolonialregimen geschaffen und von einem postkolonialen Staat fortgeführt wurden, eine Theorie der Entkolonialisierung, Wildtierzentren von Sarawak stattfindet. Parreñas sagt, dass die Arbeit von Layang mit Lisbet sehen zu können bedeutet, die experimentelle Arbeit der Entkolonialisierung im heutigen postkolonialen Sarawak zu sehen, aber es auch wichtig ist, mit seiner Arbeit die Möglichkeiten zu erkennen, die das Wort bebas in sich trägt.

Er schägt vor, dass die Pflegearbeit bei der Rehabilitation von Orang-Utans ein Versuch ist, das Aussterben zu dekolonisieren und das Fürsorge nicht unbedingt Zuneigung ist,  aber für ihn  ist es die Sorge um die Behandlung und das Wohlergehen anderer, welches Arbeit und Entschädigungen fordert. 

Tariq_Sinn_und_Unsinn

In dem Text „Dead Zones of the imagination. On violence, bureaucracy, and interpretive labor“ von David Graeber aus dem Jahre 2006 geht es um Definition um Gewalt auf verschiedenen strukturellen Ebenen. Vor allem um die staatliche Gewalt und ihre Methoden unter anderem Bürokratie, wie sie das Leben von den Bürger*innen erschwert.

Es geht insbesondere um Gewalt die uns unbewusst ins Leben getragen wird. Graeber berichtet am Anfang das Beispiel anhand seiner kranken Mutter, die mit dem Ausfüllen der Formulare und den restlichen bürokratischen Papiere mehr als ihre Schwierigkeiten hatte. Des Weiteren führt Graeber auf, dass die Bürokratie Schuld unter anderem an sozialen Ungleichheiten sei (Graeber 2006: 109).

Graebers wichtigste Aussage in diesem Text ist, dass die strukturelle Gewalt eine Art Mittel zum Zweck ist, die von einer höheren Institution hervor kommt nämlich vom Staat selbst. Meiner Meinung nach würde ich Graeber teils zustimmen, da vor allem strukturelle und marginalisierte Gruppierung nochmals schwieriger mit der Bürokratie zu kämpfen haben und dieser Prozess einer Art Aussortierung von Menschen hervorruft. Versäumnisse und Missverständnis führen dazu, das Gelder gekürzt werden können und diese die Person in ihrer Existenz massiv einschränken kann. Weshalb ich Graeber nicht vollkommen zustimme kann ist, dass es mit höchster Wahrscheinlichkeit schwierig sein kann, die „Täter“gruppe ausfindig zu machen und aktiv eine Reform dort hineinzubringen.

Schenk_12_Sinn_und_Unsinn

In dem Text „Dead zones of the imagination. On violence, bureaucracy, and interpretive labor” (2006) behandelt Graeber den Gewaltbegriff auf struktureller Ebene und hinterfragt, ob Gewalt wirklich immer kommunikativ sein muss, wie häufig behauptet. Hierbei fokussiert er sich insbesondere auf Bürokratie als Teil struktureller Gewalt, welche in ihrer Simplifizierung und gleichzeitige Ausdehnung auf tiefster Ebene in das Leben der Bürger eingreift, ohne dass sie sich von dem Ausmaß bewusst sind. Das seien die sogenannten „dead zones of imagination“.

Graeber führt zunächst als persönliches Beispiel bürokratischer Gewalt eigene Erfahrungen an, welche ihm veranschaulichten, wie sehr auch die bürokratische Inkompetenz nicht nur das Leben der Bürger negativ beeinflusst, sondern trotz dessen weitläufig als Teileigenschaft der Bürokratie akzeptiert wird und teil des Gesellschaftsnarrativs sei. Obwohl strukturelle Gewalt nicht direkt physisch sei und deswegen nicht immer wahrgenommen und überhaupt als Gewalt akzeptiert wird, stehe hinter ihr immer eine physische Drohung und Sanktionen im Falle des Nicht-Gehorchens (Graeber 2012:105,106).


Weiterhin untersucht und beklagt Graeber, dass Bürokratie und genauer bürokratische Gewalt wenig bis gar nicht von Anthropologen behandelt wird. Er führt dies auf die fehlende Interpretationsmöglichkeit des Themas zurück, welche so wichtig für Anthropologen sei. Weiterhin sei es vermutlich nicht interessant genug (Graeber 2012:108). Außerdem seien Versäumnisse und Fehler der Bürokratie Schuld an der Verschlimmerung von Armut und weiteren sozialen Ungleichheiten (Graeber 2012: 109).

Graeber betont jedoch, dass obwohl er sich auf Bürokratie fokussiert, es weniger um diese an sich geht sondern um strukturelle Gewalt und Bürokratie als Teil dessen. Solch strukturelle Gewalt, als Form sozialer Ungleichheiten, bei welcher physische Drohung dahinter stehe, würden vorsätzliche Blindheit kreieren, welche sonst nur mit bürokratischen Prozeduren assoziiert würden (Graber 2012: 112).

Graebers Aussage, dass Ignoranz dieser strukturellen Gewalt mit Komplizenschaft gleichzusetzen ist, erscheint mir doch etwas drastisch, da ja wie er eigentlich selbst beschrieben hat, es so omnipräsent und durchdringend ist, dass sich nicht nur ein Schuldiger oder eine schuldige Gruppe ausfindig machen lässt, welche diese Form der Gewalt ausübt. Weiterhin, ist es nicht nur fast unmöglich gegen diese strukturelle Gewalt anzukämpfen, sondern mich erinnert auch die Betroffenen an der strukturellen Gewalt mitschuldig zu machen an „victim blaming“.

Suheda_Sinn & Unsinn

David Graeber beschäftigt sich in seinem Artikel „Dead Zones of the imagination On violence, bureaucracy, and interpretetive labor“, aus dem Jahr 2006 mit der Frage nach der Beschreibung oder Definition von Gewalt. Insebsondere geht er auf die strukturelle, staatliche Gewalt ein, dessen Haltung verschiedene Formen einnimmt und sich mit verschiedenen Methoden, systematisch und unbewusst oder bewusst in dem Leben der Bürger durchsetzt. 

Hierbei geht es um strukturelle Gewalt, die unser (Wohl) Befinden und auch unsere Existenz definieren. Wichtig ist das Graeber anmerkt, dass Bürokratie eine große Rolle spielt. Graeber führt wichtige Beispiele aus seinem Alltag und Leben an, wie das Beispiel seiner kranken Mutter, die allein nicht in der Lage war alle Formen, Formulare und Papiere auszufüllen. Er beschreibt das chaotische Verhältnis von Bürokratie, die an die Physik des Menschens gebunden ist, auch in Ausnahmesituation bestimmt die Genehmigung von Anträgen ohne den gesunden physischen Zustand immer noch der Notar, Banker oder Arbeiter, wie David Graeber dies in diesem Fall beschreibt. Bürokratie ist eine komplizierte Prozedur nach der anderen laut Graeber, welches er meiner Meinung nach sehr gut aus dem menschlichen Alltag ermitteln konnte, insbesondere aus dem westlichen Lebensalltag.


Graeber geht von Bürokratie als Mittel zum Zweck, also von struktureller Gewalt aus, die nicht den einzigen Fakor für strukturelle Gewalt darstellt, aber einen von vielen, als Mittel zum Zwang („Force“, denn Bürokratie wird vom Staat bestimmt. Sie bestimmt und formt das Leben. 

Bettinger_12_Sinn und Unsinn

            David Graeber hebt in seinem Text „Dead zones of the imagination. On violence, bureaucracy, and interpretive labor” den Gewaltbegriff, und insbesondere den strukturellen Gewaltbegriff, auf eine ausgedehntere Ebene. Er fokussiert dabei bürokratische Prozesse und wie diese mit ihren scheinbar unendlichen Weiten in das Leben der Gesellschaft eingreifen und mitbestimmen (Graeber 2012:112). Dabei scheint Bürokratie mit ihrer Simplifizierung Individuen in ihren Fähigkeiten einzuschränken und durch ihr überwältigendes Ausmaß blind für die strukturellen Eingriffe zu machen (Graeber 2012:108,112). David Graeber spricht hierbei von toten Zonen der Vorstellung, welche in der Gesellschaft ohne jeglichen Intepretationsraum wirksam werden (Graeber 2012:124).   

Im Kontext zu Sinn und Unsinn von Gewalt lässt sich Bürokratie, oder weiter gegriffen strukturelle Gewalt, nicht eindeutig einordnen. Ob aus einer Perspektive eine Tat beziehungsweise ein Eingriff Sinn ergibt oder auch nicht, lässt sich meiner Meinung nach nicht pauschal beurteilen. Für manche mag eine blutige Gewalttat einen Zweck erfüllen. Andere erkennen einen Sinn in ellenlangen Formularen. Für viele Weitere handelt es sich bei ersterem um ein Verbrechen und bei letzterem um unnötigen Papierkram. Bei gegebener Debatte darf nicht außer Acht bleiben, dass die Suche nach dem Sinn von Gewalt durchaus mit Rechtfertigungsversuchen einhergehen kann. 

            Darüber hinaus hält der Autor fest, dass Gewalt in jeglicher Form, drastische soziale Effekte haben kann, ohne dabei jedoch kommunikativ sein zu müssen. Dies scheint für Graeber auch auf bürokratische Prozesse zuzutreffen (Graeber 2012:116). Des Weiteren sollte die Frage gestellt werden, wer von dieser Art von Gewalt getroffen wird, beziehungsweise wie bestehende soziale Ungleichheiten von Bürokratie verstärkt werden können. Der Autor nimmt diesbezüglich auch die Gesellschaft an sich in die Verantwortung, welche in den gewaltvollen Strukturen eingegliedert ist (Graeber 2012: 123). Hierbei frage ich mich jedoch, wer tatsächlich in der Lage wäre, gegen diese Strukturen anzugehen, und so scheint mir, sollte diese Annahme Graebers mit Bedacht betrachtet werden.

Albrecht_12_Sinn und Unsinn

Im Artikel „Dead zones of the imagination. On violence, bureaucracy, and interpretive labor“, der im Jahr 2012 im „HAU: Journal of Ethnographic Theory“ erschien, argumentiert der Kulturanthropologe und Anarchist David Graeber, dass Bürokratie ein Ausdruck struktureller Gewalt ist. Der Begriff struktureller Gewalt, an dem er sich bedient, entstammt dabei vor allem feministischen Theoretiker*innen: Er begreift sie als Strukturen der Gewalt, die nicht unbedingt körperliche Gewalt beinhalten, aber stets mit ihr drohen (können) (Graeber 2012: 113). So könnten auch Rassismus, Sexismus und Armut nicht existieren, wenn sie nicht in einem Kontext der ständigen Gewaltandrohung herrschen würden (ebd.). Diese Definition von struktureller Gewalt im Zusammenhang mit der zentralen These Graebers, dass Bürokratie eine Form struktureller Gewalt ist, halte ich für einen spannenden, wenig erforschten Ansatz: Wie wird die Unterdrückung und Diskriminierung in bürokratischen Institutionen und Strukturen reproduziert?

Beim Lesen fiel es mir jedoch schwer, Graebers Überlegungen zu „interpretative labor“ (Graeber 2012: 116), die er in der zweiten Hälfte des Artikels ausführt, zu folgen beziehungsweise diese in Verbindung mit den vorherigen Thesen zu Bürokratie zu bringen. Hier hätte ich mir tendenziell eine kürzere Erläuterung zum Begriff der „interpretative labor“ und stattdessen eine ausführlichere Schilderung über die Rolle dieser Arbeit im Kontext von Bürokratie gewünscht.

Brücklmeier_11_Medizin

 Die Autorinnen Zaheera Jinnah und Lucy Lowe thematisieren in ihrem Artikel „Circumcising Circumcision. Renegotiating Beliefs and Practices among Somali Women in Johannesburg and Nairobi“ die Beschneidung somalischer Frauen.

Dabei stützen sie sich aufs Hobsbawms (1983) Konzeptionalisierung der Erfindung im Hinblick darauf, wie sich die vorgestellte Vergangenheit auf die Reproduktion und das Fortbestehen kultureller Normen auswirkt. Sie argumentieren, dass es wichtig sei, die Kultur in der sich der Körper befindet zu verstehen, um den Körper als solches zu verstehen. Demnach kommt in diesen diasporischen Gemeinschaften zu Auseinandersetzung zwischen ethnischer und kultureller Vorstellung einerseits und gesundheitlicher wie sexuellen Bedenken andererseits.

Als überraschend entpuppte sich die Feststellung, dass anders als vielfach Angenommen viele Frauen selbständig mit dem Für und Wider eine Beschneidung auseinandersetzen. Das Bild der Frau als Opfer, die sich dem kulturellen Erbe submissiv hingibt muss deshalb an dieser stelle berichtigt werden. Das ausrechnet NGO-Mitarbeiter, die sich in erste Linie der Unterstützung und dem Miteinander bemühen sollte abwertend auf die kulturellen Praktiken anderer Gemeinschaften herabblicken finde ich problematisch. Untergraben sie doch mit ihrem Verhalten ein vielleicht erstrebenswerteres Ziel, das Recht auf Selbstbestimmung.

Mergez_11_Medizin

Der Text von Jinnah und Lowe stellt eine interessante Forschung zur Praxis der Beschneidung in eingewanderten somalischen Bevölkerungen vor, die in Südafrika und Kenia leben und zeigt, wie der Migrationskontext diese starke kulturelle Praxis verändert haben könnte. Es ist wirklich interessant zu sehen, wie die Autoren die beiden Bevölkerungen durch ihre Lebensweise, die Nutzung des öffentlichen Raums, ihre Beziehungen zu NGOs, zu lokalen Medizinern und Gemeinschaften unterscheiden. Wir können sehen, dass die Beschneidung für beide Gemeinschaften immer noch eine sehr gängige Praxis ist, obwohl sich die Verwendung ändert, da sie etwas weniger extrem ist, besonders für die südafrikanische Gruppe, wo der Druck durch soziale Normen ein wenig schwächer ist und eine gewisse Opposition gegen die Beschneidung auftritt.

Wenn wir uns auf die Frage konzentrieren, lassen sich stigmatisierte und körperverletzende Praktiken wie die Beschneidung von Frauen wissenschaftlich rechtfertigen? Welche Vorstellungen stehen hinter dieser Praxis? Ist es schwer anzunehmen, dass die Wissenschaft Praktiken, die den Körper schädigen, als weibliche Beschneidung rechtfertigen könnte oder will. Ich würde sagen, das ist in keiner Weise gerechtfertigt aus meiner Sicht und aus dem, was der Text erklärt. Der Hauptakteur, die diese Praktiken rechtfertigen, sind Kultur, Glauben oder Religion.

Wir könnten sagen dass, die Wissenschaft diese Praktiken rechtfertigt, wenn wir sehen, wie Ärzte in Südafrika, in Kenia und wahrscheinlich anderen Ländern und Orten, wo Beschneidung noch praktiziert wird, durch ihre medizinischen Handlungen Frauen bei der Beschneidung helfen. Es wird im Text erklärt, wie einige Ärzte medizinische Operationen praktizieren, um Frauen mit Beschneidung zu helfen, die „Wunde“ oder die Vagina zu öffnen, wenn der Ehemann nicht in der Lage ist sie nach der Hochzeit zu öffnen, oder bei der Geburt zu helfen, oder auch die Frauen helfen, ihre Vagina nach dem ersten sexuellen Akt wieder zu Schließen für einige (Intime Handlungen, die Generell von Privatärzten in Nairobi und von öffentlichen Krankenhausteams in Johannesburg, gemacht werden abhängig vom Vertrauen von die Zwei Gemeinschaften). Durch die Ausübung einiger medizinischer Handlungen um Beschneidung Ärzte anerkennen die Existenz dieser Praxis, aber Ärzte hier helfen einfach Frauen mit Beschneidung sowie als normale Pflicht würden sie Wunden und Schmerzen heilen (Sie sind sogar als Problematisch gesehen für einige somalische Frauen, weil sie Fragen über ihre Intimität stellen, Befragung, Kritik an der Praxis der Beschneidung machen).

Wenn die Wissenschaft selbst diese Taten rechtfertigt, könnten wir sagen, dass die Beschneidung ein medizinischer Weg ist, um einige religiöse Praktiken zu verwirklichen. Tatsächlich sind sich somalische Männer (und Frauen überraschenderweise) darin einig, dass die Beschneidung der einzige effiziente Weg ist, die Fruchtbarkeit und Sauberkeit der Frauen bis zur Heirat zu gewährleisten und das schmutzige sexuelle Verlangen zu unterdrücken, wie es im Islam gesehen wird. Die Frage wäre dann, ob die Wissenschaft religiöse Handlungen rechtfertigt…

Aber wir können sehen, wie es im Text erklärt wird, dass zu keinem Zeitpunkt alle Muslime Beschneidung praktizieren, dass kein Text klar verlangt, dass Frauen genäht werden und dass ein großer Teil der muslimischen Gemeinschaft dagegen ist, und sagen, dass es nur ein kulturelles lokales Verständnis und eine Art und Weise ist, die Religion zu praktizieren. Diese Handlungen werden also durch lokale Überzeugungen und Kulturgeschichte gerechtfertigt (was von einem äußeren westlichen Standpunkt schwer zu beurteilen ist), Wissenschaft ist ein Weg hier (durch medizinische Praktiken) um diese Überzeugungen zu verwirklichen und zu ermöglichen, obwohl der medizinische Akt der Hauptpunkt dieser Praxis ist, ist es nicht derjenige, der sie rechtfertigt.

Klages_11_medizinische_Gewalt

In dem 2015 bei Routledge unter der Sparte Medizinischer Anthropologie erschienenen Artikel „Circumcising Circumcision. Renegotiating Beliefs and Practices among Somali Women in Johannesburg and Nairobi“ fokussieren sich die Autorinnen Zaheera Jinnah und Lucy Lowe auf die Beschneidung bei Somali-Frauen. Untersucht wurde in den im Titel erwähnten Städten in Südafrika und Kenia als Teil der jeweiligen Ausarbeitungen einer Doktorarbeit.

Dabei stellten sie fest, dass in den Diaspora-Gemeinschaften eine Diskussion über die Praxis geführt wurde. Diese fanden im Spannungsfeld von Bedrohung der Fruchtbarkeit, dem oft fehlenden Genuss des Geschlechtsaktes von den Frauen (S. 383) und überholten Wertvorstellungen auf der einen Seite (S. 381) und einer religiösen, kulturellen und ethnischen Identitätsfrage auf der anderen Seite (S. 382) statt. Eine stark gegenderte Vorstellung der gesellschaftlichen Rollen bildete die Basis (S. 375.377), Zugehörigkeit und Akzeptanz waren dann die Motivatoren (S. 378).

Wichtig erschien besonders die Aufrechterhaltung und Reinheit der Patrilinearität (S. 379), wobei die Beschneidung als Grund für eine Ehe wohl eher bei älteren Generationen eine Rolle spielte (S. 384). Eine zunehmende Abkehr von der besonders schwerwiegenden sogenannten Pharaonischen Beschneidung war zu verzeichnen, der gesamte Diskurs wurde grundsätzlich vor dem Hintergrund des Kindeswohls unter den Somali selbst geführt, nicht einfach nur in Schwarz-Weiß-Kategorien (S. 384). Einer Schuldzuweisung gegenüber älteren Frauen für eine erfolgte Beschneidung wurde grundsätzlich vehement widerstanden (S. 374).

Gerade diese letzten beiden Punkte sollten westlichen Beobachter*innen zu denken geben, denken sie doch allzuoft in diesen Kategorien. Auffallend war der Paternalismus, den eine Frau stellvertretend für die anderen den NGO-Mitarbeiter*innen vorwarf: „They don’t respect us!“ (S. 382). So waren es primär die Frauen selbst, die die Beschneidung wünschten (S. 383-384). Ob gefährlich, medizinisch kontraproduktiv, unästhetisch oder eben nicht, das Recht auf Selbstbestimmung und die Berücksichtigung der Faktoren, die zu Lebensqualität beitragen, sollte daher aufgeklärte individualistisch geprägte kampfbereite zumeist westlich geprägte Kampfhähne und -hennen zu einem Schritt nach hinten veranlassen.