Typisch Frankfurt (Maren Harnack)

Typisch Frankfurt (Maren Harnack)

Typisch Frankfurt

Als ich zum Wintersemester 2011 nach Frankfurt kam, war Gisela war eine der ersten Personen, die ich neu kennenlernte. Wir waren beide mit Studierenden an dem experimentellen und interdisziplinären Kulturprojekt „entlang der Mainzer“ beteiligt, das Christian Kaufmann mit der Evangelischen Akademie veranstaltete. Vieles war damals bei unserer ersten Begegnung so, wie ich es heute als typisch Frankfurt beschreiben würde: Wenn jemand etwas Interessantes macht, geht man einfach aufeinander zu, lädt sich zu einer Veranstaltung ein und geht irgendwann stillschweigend dazu über, sich zu duzen – ohne formalen Akt, feierliches Anstoßen, ohne dass man darüber reden müsste. Etwas später kann man sich dann auch mal gegenseitig nach Hause einladen und dabei auf durchweg positive Reaktionen vertrauen. Anders als in Hamburg, wo ich vorher gelebt habe, wird man in Frankfurt nicht abgecheckt und braucht auch nichts zu beweisen: nicht, dass man auf der richtigen Seite des Wassers lebt, nicht, dass man die richtigen Leute kennt; und schon gar nicht eine seit mindestens drei Generationen nachweisbare lokale Abstammung. In Frankfurt, so mein Eindruck, ist man darauf vorbereitet, dass neue Bewohner*innen in die Stadt kommen, und das findet man sogar gut. Keineswegs wird erwartet, dass die Neuen Frankfurt toll finden, aber man gibt sich alle Mühe, ihnen den Start zu erleichtern und freut sich auch über selbst zarteste Liebesbekundungen seitens der Neuen. In Hamburg hingegen, nur um den Unterschied deutlich zu machen, wurde ich im Allgemeinen bemitleidet, weil ich von einer halben befristeten WM-Stelle auf eine unbefristete Professur mit Verbeamtung wechselte („…dann musst du ja weg von Hamburg“). Wissenschaftlich untersucht haben wir diese anekdotische Evidenz dann nicht, obwohl das sicher ein interessantes, interdisziplinäres Forschungsprojekt abgäbe, aber trotzdem ist Gisela für mich zu einer wichtigen Instanz geworden. Sie bestärkt mich in meiner Arbeit, wenn ich mal wieder zu bescheiden bin und bremst mich, wenn meine Ansprüche an mich selbst absurd hoch werden. Und natürlich kennt sie die Fallen, in die man besonders als Frau gerne tritt – zumal mit einer protestantisch grundierten Erziehung im Hintergrund.

Seit dem Mainzer-Landstraßen-Projekt haben wir außerdem gemeinsam ein Theater-Abo, was den Vorzug hat, dass wir uns nicht mehr darum kümmern müssen, uns zu sehen, weil das so automatisch regelmäßig passiert. Wie es zu diesem gemeinsamen Abo kam, ist aber eine andere Geschichte, die hier nicht erzählt werden soll.