Annika Thormann
Der Hühnermarkt in Frankfurt am Main blickt auf eine bewegte Geschichte zurück – als belebter Marktplatz, historischer Schauplatz und heute als liebevoll rekonstruierter Teil der Altstadt. Ein Guckkastenbild aus dem 18. Jahrhundert, das sich im Depot des Frankfurter Romantikmuseums befindet, veranschaulicht eindrucksvoll das damalige Leben (Abb. 1). Die historische Darstellung lädt zu einer Zeitreise ein – in eine Epoche, in der der Hühnermarkt nicht nur wirtschaftliches Zentrum, sondern auch sozialer Treffpunkt war.

Der handkolorierte Kupferstich zeigt einen Marktplatz mit zahlreichen Menschen im Vordergrund: Einige handeln, andere unterhalten sich oder schlendern gemächlich über den Platz. Auf der rechten unteren Bildhälfte ist ein Brunnen mit achteckiger Einfassung zu erkennen. Der Marktplatz ist von Fachwerkhäusern mit steilen Giebeln und zahlreichen kleinen Fenstern umrahmt. Die Fenster im Guckkastenbild sind alle einzeln ausgeschnitten, wodurch bei rückseitiger Beleuchtung ein besonderer Lichteffekt entsteht. Besonders ins Auge fällt der hohe Kirchturm im Hintergrund, der deutlich über die umliegenden Gebäude hinausragt. Die erhöhte perspektivische Darstellung lenkt den Blick des Betrachters in das Zentrum des Platzes.
Guckkastenbilder wie dieses zeigten oft Stadtansichten, fremde Länder, aber auch historische Ereignisse und prägten das Weltbild von breiten Bevölkerungsschichten.[1] Eine weitere Kopie enthält – anders als der Druck im Romantikmuseum – unterhalb des Stichs noch eine kurze Beschreibung der Szene in mehreren Sprachen (Abb. 2).

Mitte des 18. Jahrhunderts war der Hühnermarkt ein zentraler Ort der Frankfurter Altstadt – gelegen zwischen dem Kaiserdom und dem Römerberg. Er war Teil des historischen Krönungswegs, den die römisch-deutschen Kaiser samt Gefolge nach ihrer Krönung vom Dom bis zum Festmahl im Römer beschritten.[2] Die Randbebauung bestand aus Bürgerhäusern, meist gotischen Fachwerkbauten mit charakteristisch weit auskragenden Obergeschossen. In der Mitte des Platzes befand sich der Freydhofbrunnen – ein Zierbrunnen, an dessen Stelle heute das Friedrich-Stoltze-Denkmal steht.[3]
Der Markt war nicht nur Ort des regen Handels – insbesondere mit Geflügel und anderen Lebensmitteln – sondern auch ein beliebter Treffpunkt für Händler, Bürger und Besucher. Die enge Bebauung, die reich bemalten Fachwerkhäuser und die verwinkelten Gassen verliehen dem Platz ein malerisches und zugleich geschäftiges Flair, das von Zeitgenossen wie Goethe als typisch für das „Nest“ Frankfurt beschrieben wurde.[4]
Heute präsentiert sich der Hühnermarkt als neu gestalteter Platz in der rekonstruierten Frankfurter Altstadt. Die Nutzung ist vielfältig: Neben Wohnungen gibt es Cafés, Restaurants, kleine Läden und kulturelle Angebote. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und einer Phase moderner Überbauung wurde der Hühnermarkt im Rahmen des Dom-Römer-Projekts zwischen 2012 und 2018 auf seinem historischen Grundriss wiederhergestellt. Dabei entstanden 35 Neubauten, darunter 15 originalgetreue Rekonstruktionen historischer Häuser und 20 Neubauten. Die Gestaltung orientiert sich eng an historischen Vorbildern, verbindet jedoch traditionelle Ästhetik mit modernen Anforderungen an Aufenthaltsqualität und urbanes Leben.[5]
Ein Vergleich des Guckkastenbildes mit heutigen Fotografien offenbart einige Abweichungen (Abb. 3 & 4). So erscheint der Hühnermarkt im Kupferstich, durch die leicht erhöhte Perspektive und die kleinen Proportionen der dargestellten Menschen, deutlich größer und offener, als es heute der Fall ist. Der Domturm erscheint auf dem alten Bild weiter links, während er heute eher rechts im Blickfeld steht. Auch die Architektur ist leicht anders. Heute ist sie teils originalgetreu rekonstruiert, teils zeitgenössisch interpretiert – mit glattem Putz, klaren Linien und regelmäßigen Fenstern statt Fachwerk.


Der Hühnermarkt spiegelt wie kaum ein anderer Ort den Wandel Frankfurts durch die Jahrhunderte wider: Vom geschäftigen Zentrum der Altstadt über die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg bis zur Rekonstruktion im 21. Jahrhundert. Das Kupferstichbild macht diesen Wandel greifbar – als Fenster in die Vergangenheit und als bleibende Erinnerung an den kulturellen Wert städtischer Räume.
[1] Vgl. Frank, Gustav: „Grabbes Guckkasten, Visuelle Kultur in szenischer Prosa“, in: Thomas Althaus (Hg.): Darstellungsoptik, Bild-Erfassung und Bildfülle in der Prosa des 19. Jahrhunderts, Bielefeld, 2018, S. 205.
[2] Vgl. Henkel, Laura: „Frankfurter Krönungsweg nimmt Gestalt an“, in: Frankfurter Rundschau, 2019, online abrufbar unter: https://www.fr.de/politik/spd-org26325/frankfurter-kroenungsweg-nimmt-gestalt-11018571.html (zuletzt aufgerufen am 16.07.2025).
[3] Vgl. Dreysse, Dietrich-Wilhelm [u.a.] (Hrsg.): Planung Bereich Dom – Römer. Dokumentation Altstadt. Stadtplanungsamt der Stadt Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 2006, S. 18.
[4] Vgl. Michels, Claudia: „Keine liebere Stadt“, in: Frankfurter Rundschau, 2019, online abrufbar unter: https://www.fr.de/rhein-main/keine-liebere-stadt-11315963.html (zuletzt aufgerufen am 16.07.2025).
[5] Vgl. Kirchner, Thomas: Perspektiven für die Frankfurter Altstadt, Frankfurt am Main, 2015, S.17, 31-33.