Kim Novak
Seit dem 18. Jahrhunderts ermöglichten Guckkästen neue Formen der Unterhaltung und visuellen Wahrnehmung.[1] Der Blick durch das Guckloch vermittelte neuartige Eindrücke. Dank der erläuternden Erzählungen des Schaustellers entwickelten sich die Bilder zu Geschichten. So könnte man den Guckkasten als frühe Form eines audiovisuellen Mediums bezeichnen. Zum festen Bestandteil der Dauerausstellung des Deutschen Filmmuseums Frankfurt gehören auch Guckkästen. Dies beruht auf der Annahme, dass Guckkästen in der Entwicklung audiovisueller Medien, wie Film und Fernsehen, mitspielten.
Damit die Schaulustigen das Interesse an der mit Hilfe eines Guckkastens vermittelten Geschichte nicht verloren, war neben den Erzählkünsten des Guckkästners eine fesselnde Gestaltung der Bilder von großer Bedeutung. Exemplarisch hierfür mag das Guckkastenbild stehen, in dessen Zentrum eine große Burg zu erkennen ist, welche sich auf einem Hügel befindet (Abb. 1). Aus der Perspektive der Betrachtenden wirkt sie noch größer, da diese eine Untersicht auf die Szene haben. An der linken und rechten Bildkante sind Bäume zu erkennen, die den Eindruck erwecken, dass die Betrachtenden sich am Rande des umliegenden Waldes befinden. Ein deutlich sichtbarer Treppenaufgang ist nicht zu erkennen, einige Treppenstufen, die sich im unteren linken Bildrand befinden, verschwinden hinter freiliegenden Steinen. Dadurch wird suggeriert, dass die Burg nur schwer zugänglich ist. Die zahlreichen Türme des Gebäudes ragen in einen dunkelgrauen Nachthimmel und scheinen am rechten Bildrand mit den Baumkronen des Waldes zu verschmelzen.

Die wichtigste Komponente für die Dramaturgie der Guckkastenbilder ist die Licht- und Schattennutzung. Hinter das Bild konnte beispielsweise ein Kerzenlicht gesetzt werden, wodurch bestimmte Bildelemente für die Schaulustigen zu leuchten begannen.
In dem hier vorgestellten Bild ist die Licht- und Schattennutzung von hoher Bedeutung, da sich der Bildinhalt erst durch den Lichteinfall erschließt. Sobald das Bild von hinten erleuchtet wird, richtet sich das Augenmerk auf einen gezackten Blitz, der sich senkrecht über die obere Bildhälfte erstreckt. Auffällig an der Ausführung des Blitzes ist, dass es zunächst scheint, als ob dieser unsauber in das Papier geschnitten wurde. Ohne das von der Rückseite durchscheinende Licht könnte man gar annehmen, dass das Papier gerissen sei. Doch der erste Blick täuscht, denn sobald das Bild beleuchtet wird, ist zu erkennen, dass die Zacken des Blitzes nicht willkürlich in das Papier geschnitten, sondern bewusst in das Bild gesetzt wurden.
Dieser Lichteffekt ist nicht der einzige, mit dem das Bild spielt. Beim genaueren Hinsehen werden durch das Licht links und rechts neben der Burg Schatten erkennbar, die menschliche Gestalt haben. Sie scheinen um das Gelände der Burg zu streifen. Eine dieser Figuren trägt Gepäck auf dem Rücken, was möglicherweise eine Andeutung eines Guckkastens sein kann. Wenn kein Licht durch das Bild scheint, verschwinden die Personen von der Bildfläche. Auf der Rückseite sind sie zu erkennen (Abb. 2). Anhand dieser Illusion wird das Potenzial für vielschichtige Erzählungen des Schaustellers erkennbar, denn Bildinhalt und Kontext können sich je nach Lichteinfall verändern.

Abschließend kann festgehalten werden, dass Licht bei diesem Guckkastenbild (Abb. 1) eine ausschlaggebende Rolle gespielt hat, um fesselnde Geschichten erzählen zu können. Durch die Licht- und Schattenverhältnisse eröffnete es einen großen Erzählungsspielraum. Interessante Darstellungen waren grundsätzlich ausschlaggebend für den Erfolg und das Einkommen des Schaustellers, denn gute Unterhaltung zieht auch heute noch Schaulustige an. Seine Beschreibungen und Erzählungen vermischten sich mit den Deutungen der Bilder und den Phantasien der Menschen. Daraus resultierten einzigartige Geschichten und neue Perspektiven.
Wie bereits zu Beginn erwähnt, ist die Faszination an Lichtästhetik bereits im 18. Jahr-hundert zu verzeichnen gewesen, als Guckkästen an Popularität gewannen. Das Guck-kastenbild der Burg selbst ist erst nach den 1850er Jahren entstanden und verdeutlicht, dass die Faszination an audiovisuellen Medien kein Einzelphänomen war. Auch heutzutage sind Menschen an bewegten Lichtbildern, wie denen, die in Fernsehern gezeigt werden, interessiert.
[1] Košenina, Alexander: „Schönheit im Detail oder im Ganzen? Mikroskop und Guckkasten als Werkzeuge und Metaphern der Poesie“, in: Peter Heßelmann [u.a.] (Hrsg.)„Das Schöne soll sein“. Aisthesis in der deutschen Literatur, Bielefeld 2001.