Eine Brücke als Rahmen des Imaginären

Thomas Scheld

Um die verborgene Welt innerhalb eines Guckkastens zu entdecken, mussten die Betrachtenden durch ein meist rundes Loch im Gehäuse des Kastens gucken. Dieses Guckloch nimmt dabei die Funktion eines Rahmens ein, der den Blick der Durchschauenden begrenzt und auf ein abgestecktes Motiv im Inneren des Kastens fokussiert.[1]

Abb. 1: Vue du pont Triomphal elevé à Rome par Jule Cezar, ca. 18. Jhd.
Guckkastenbild, Frankfurt am Main (Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg)

In dem kolorierten Druck Vue du pont Triomphal elevé à Rome par Jule Cezar scheint die Funktion des Gucklochs als Rahmen in einzigartiger Form rezipiert zu sein (Abb. 1). Der Brückenbogen, welcher an drei Bildränder (rechts, links, oben) vollständig abschließt, rahmt die dahinterstehende Architektur ein. Am unteren Bildrand schließt der Fluss auf der gesamten Bildbreite an. Die Form des Brückenbogens scheint dabei die runden Gucklöcher oder zumindest ihre Funktion zu zitieren. In Kombination mit einem Guckkasten ergibt sich also eine doppelte Rahmung, welche die Ferne des dahinterstehenden Motivs betont. Die scheinbare Zweidimensionalität des Brückenbogens unterstreicht den Verweis auf die Funktion der Gucklöcher. Die Blickachse des gesamten Bildes ist so gewählt, dass der Blick zentral durch den Brückenbogen hindurch geht. Obwohl die schattige Innenseite des Bogens darauf andeutet, dass der Blick nicht gerade auf eben diesen gerichtet ist, scheinen die Linien der Vorderseite der Brücke an den Seitenrändern der Druckplätte ausgerichtet zu sein. Diese „fehlerhafte“ Darstellungen der Blickachsen im Bild unterstreichen die Deutung des Brückenbogens als Verweis auf die Funktion der Gucklöcher im Guckkasten.

Eine solche Rahmung durch ein auf dem Guckkastenbild selbst gedruckte Architektur ist zumindest mit Blick auf die Sammlung der Universitäts-Bibliothek Frankfurt ungewöhnlich. Eine ähnliche Rahmung durch eine Architektur verwenden zwei weiter Drucke der Sammlung. Ein bedeutender Unterschied ist dabei jedoch, dass diese rahmende Architektur den Blick ins Innere des Bauwerks öffnet und nicht wie der Brückenbogen etwas hinter ihm Befindliches einrahmt (Abb. 2, Abb. 3).

Abb. 2: De L’Eglise De St. Roch,
Vue Perspective d l’interieur de l’Eglise Paroissiale de St. Roch de Paris prise dessons les Orgues, ca. 18. Jhd.
Guckkastenbild; Frankfurt am Main (Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg)
Abb. 3: [Vue] des trois Galleries, du Palais des Arts et des Sciences à Rome, ca. 18. Jhd.
Guckkastenbild, Frankfurt am Main (Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg)

Das Motiv in Kombination mit der Beschriftung am unteren Rand des Drucks wirft allerdings weitere Fragen auf. Ein ähnliches Motiv findet sich gleich in mehreren Sammlungen (Abb. 4-5).

Abb. 4: Giovanni Battista Piranesi, Imposante Brücke mit Loggien und Bögen / „Ponte magnifico con Logge, ed Archi“, ca. 1835, Radierung, Bildplatte: 23,8 x 35,8 cm, Textplatte: 1,8 x 35,8 cm, Blatt: 52,4 x 37,1 cm
Hamburg (Hamburger Kunsthalle)

Die Radierungen mit Kupferstich des italienischen Druckgrafikers und Architekten Giovanni Battista Piranesi (1720-1778), lassen sich eindeutig mit dem hier vorliegenden Druck aus der Sammlung der Universitätsbibliothek in Verbindung bringen, der Piranesis Motiv adaptiert. Während sich in den Drucken eindeutig der Bildausschnitt, die Perspektive und die Platzierung wichtiger Details überschneiden, scheint der Druck von Piranesi in seiner Ausführung deutlich filigraner. Gleichzeitig sind die Drucke von Piranesi auch nicht für einen Guckkasten hergestellt worden, sondern befinden sich teilweise in gebundenen Ausgaben (Abb. 5), die eine Vielzahl von Druckgrafiken beinhalten.[2]

Abb. 5: Giovanni Battista Piranesi, Ponte magnifico, 1743
Radierung mit Kupferstich und Kaltnadel, Bildplatte: 24,1 x 35 cm, Textplatte: 1,9 x 35,5 cm, Blatt: 37,1 cm 52,9 cm, Dresden (Staatliche Kunstsammlung Dresden)

Das Piranesis Kupferstich für die Vorführung in einem Guckkasten kopiert wurde, liegt nahe. Das suggeriert auch die konkretere, vermutlich aber fehlerhafte Bildunterschrift, welche die Brücke mit einer von Julius Caesar in Rom erbauten Brücke in Verbindung bringt.[3] Ein Vergleich mit einer bestehenden Brücke in Rom scheint bei der Suche nach dem Vorbild der gedruckten Architektur nicht zielführend.

Auch in den Drucken von Piranesi, scheint die Verbindung mit einem bestimmten Ort nicht ganz einfach, ist doch der Künstler für seine Fantasiearchitekturen bekannt,[4] Die Inschrift zu Piranesis Grafik verweist allgemein auf eine „Imposante Brücke mit Loggien und Bögen“[5], die von einem römischen Kaiser erbaut worden sei.[6] In seiner Analyse zu Piranesis Arbeiten und Einflüssen verweist John Wilton-Ely im Hinblick auf die Brücken-Darstellung auf Piranesis Ausbildung in Venedig. So scheint Andrea Palladios nicht realisierter Entwurf für die Rialto-Brücke Inspiration für Piranesis Druck zu sein (Abb. 6).[7]

Abb. 6: Palladio, Andrea: [Grafik zu] Von einer Steinbrücke, die ich entworfen habe, 1570

Von wem Vue du pont Triomphal elevé à Rome par Jule Cezar stammt und welche Geschichte bei der Schau der Grafik im Guckkasten erzählt wurde bleibt unklar. Klar ist dagegen, dass die Grafik in der Sammlung der Universitätsbibliothek Frankfurt eine Adaptation von Piranesis Stich ist, welcher wiederum an Palladios Entwurf inspiriert gewesen sein könnte. Die Darstellung und die Inschrift lassen vermuten, dass der Druck für die Vorführung in einem Guckkasten verändert wurde, um die Vorstellung für die Betrachtenden besonders spannend zu machen. Piranesis Druck und Vue du pont Triomphal elevé à Rome par Jule Cezar teilen sich allerdings die Verknüpfung aus Bekanntem und Imagination, was den Charme der beiden Drucke ausgemacht haben mag.


[1] Vgl. Kosenina, Alexander: „Das bewaffnete Auge. Zur poetischen Metaphorik von Mikroskop und Guckkasten“, in: Metaphoric.de, 11/2006, S. 72-74.

[2] Vgl. Giovanni Battista Piranesi, Ponte magnifico, 1743, Radierung mit Kupferstich und Kaltnadel, Bildplatte: 24,1 x 35 cm, Textplatte: 1,9 x 35,5 cm, Blatt: 37,1 cm 52,9 cm, Dresden (Staatliche Kunstsammlung Dresden), aus: Bilddatenbank der Staatlichen Kunstsammlung Dresden, URL: https://skd-online-collection.skd.museum/Details/Index/1121771 (06.07.2025)

[3] Vgl. Abb. 1.

[4] Vgl. Best.kat. Giovanni Battista Piranesi. Radierungen, Stuttgart 1999, S. 108-110.

[5] Giovanni Battista Piranesi, Imposante Brücke mit Loggien und Bögen / „Ponte magnifico con Logge, ed Archi“, ca. 1835, Radierung, Bildplatte: 23,8 x 35,8 cm, Textplatte: 1,8 x 35,8 cm, Blatt: 52,4 x 37,1 cm, Hamburg (Hamburger Kunsthalle), aus: Bilddatenbank der Hamburger Kunsthalle, URL: https://online-sammlung.hamburger-kunsthalle.de/de/objekt/kb-1915-629-10/imposante-bruecke-mit-loggien-und-boegen–„ponte-magnifico-con-logge-ed-archi“?start=50840&context=default&position=50857 (06.07.2025)

[6] Vgl. Ebd.

[7] Vgl. Wilton-Ely, John: Giovanni Battista Piranesi. Vision und Werk, München ²1988, S. 13f.