„Schaun Sie in das Loch hinein“ – oder dahinter. Der Guckkasten und sein Betreiber im 18. und 19. Jahrhundert

Laura Buchholz

Komm ik heute wieder her

mit die Raritäte,

leg sie an das Lock, mon cher

s’il vous plait, die tête.

Schaun Sie in das Loch hinein,

sehn sie Bilder schön und fein in die Guckekaste.[1]

Mit solchen marktschreierischen Worten machte ein sogenannter Guckkästner (auch Guckkastenbetreiber, Guckkastenmann; frz. montreur de vues d’optique) im späten 18. und 19. Jahrhundert Messe-, Volksfest- und Jahrmarktsbesucher:innen auf seinen hölzernen Apparat aufmerksam (Abb. 1).[2]

Abb. 1: Charles Nicolas Cochin: Foire de campagne, 1740, Kupferstich nach François Boucher, 33.6 cm x 40.5 cm, British Museum, 1933,0615.20 © The Trustees of the British Museum

Gegen einen Obolus durften Interessierte aller Altersklassen durch die Öffnung des zuvor angepriesenen Guckkastens spähen und einen Blick auf die in den Kasten eingelegten „Raritäte“ erhaschen.[3] Hierbei handelte es sich meist um handkolorierte Bilderserien, die sowohl profane Stadtansichten als auch mythologische Szenen abbildeten. Viele dieser Darstellungen waren mit mehrsprachigen Beschreibungstexten versehen, die der Guckkastenbetreiber mit durchdringender Stimme, übertriebener Gestik, musikalischer Untermalung oder einer Mischung aus Dialekt und fremd klingenden Worten vortrug (Abb. 2).[4]  

Abb. 2: Ambrogio Orio, Guckkastenszene, um 1800, handkolorierter Kupferstich, Sammlung Werner Nekes, in: Ausst.kat. Die Wunderkammer des Sehens. Aus der Sammlung Nekes, Graz (Landesmuseum Joanneum)

Was als Kupferstich im Inneren des Kastens lag, wurde durch die audiovisuelle Darbietung des Guckkästners lebendig. Er agierte als ein Vermittler zwischen Bild und Blick, zwischen Illusion und Information: Schon bevor die Jahrmarktsbesucher:innen einen Blick in den Kasten werfen konnten, erzeugte seine Sprache bereits ein imaginäres Bild davon, welch „Schöne Spielewerk, schöne Rarität!“ sich im Guckkasten verbergen mochte.[5] Auch die Gestalt des Guckkastenbetreibers tritt nicht unmittelbar hervor, sondern formt sich durch Inszenierung und Erzählung: In Reiseberichten, Illustrationen und satirischen Texten wird das Bild eines wandernden Schaustellers entworfen, das auf jene Figur neugierig macht, die hinter dem Guckkasten steht.

Eine der frühesten Charakterisierungen des Guckkästners findet sich in Johann Heinrich Zedler’s Universallexikon von 1741, welche nicht nur den Apparat, sondern auch den sozialen Habitus des Guckkastenbetreibers beschreibt:

[…] Es pflegen gemeine Leute, so mehrentheils Italiäner von Geburth mit solchen Kasten die Messen in Deutschland zu besuchen, mit den Gassen herum zu lauffen und durch ein erbärmliches Geschrey: Schöne Rarität! Schöne Spielwerck! Liebhaber an sich zu locken […].[6]

Eine ähnliche Rezeption des Guckkastenvorführers findet sich im Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm:

es gibt nur wenige solcher leute in Berlin, aber die wenigen sind so originelle käuze, besonders beim erklären ihrer bilder, dasz ich sie nicht unbeachtet lassen darf. abends, wenn die sonne untergegangen ist, und die gaslaternen aufgehen, stellen sie ihren schemel an eine straszenecke, … rufen sich mit lauter stimme einige kunstliebhaber heran, und geben den schlechten gemälden, welche man durch vergröszerungsgläser betrachtet, einen groszen reiz durch die beschreibung derselben.[7]

Die Kohärenz in den Darstellungen legt nahe, dass dem Guckkastenbetreiber eine bedeutsame soziokulturelle Rolle zugeschrieben wurde. Sie zeichnen das Bild eines reisenden Schaustellers, der mit einem tragbaren oder auf einem Wagen montierten Apparat von Ort zu Ort zog, um seiner zahlenden Kundschaft sorgfältig ausgewählte Bilder zu präsentieren (Abb. 3).

Abb. 3: David Herrliberger, Raritet schöni raritet. Das Blendwerck ist gemein fürwahr Und jeder heißt das seine rar, 1749, handkolorierter Kupferstich, 11.1 cm x 17.5 cm, Zentralbibliothek Zürich, in: Ganz, Thomas (Hrsg.): Die Welt im Kasten. Von der Camera obscura zur Audiovision, Zürich 1994

Die Motivwahl der Guckkastenblätter zeugte von einem nicht zu unterschätzenden ökonomischen Gespür: Je nach Ort der Zurschaustellung, Aktualität und Publikums-erwartung mussten Bilder gewählt werden, die das Interesse der potenziellen Kundschaft weckten. Diese stammten zumeist aus spezialisierten Verlagen in Augsburg, Paris, London oder Bassano del Grappa. Als intensiv genutzte Gebrauchsobjekte waren die Guckkastenbilder anfällig für Abnutzung; kleinere Beschädigungen dürfte der Guckkästner daher selbst ausgebessert haben. Trotz seiner vielfältigen Funktionen als Animateur, Kassierer, Kommentator, Bildbeschaffer und Konstrukteur war seine soziale Stellung prekär (Abb. 4).

Abb. 4: William Henry Pyne: The Halfpenny-Showman, 1808, handkolorierte Umrissradierung, Ders: The Costume of Great Britain, London 1804, in: Ganz, Thomas (Hrsg.): Die Welt im Kasten. Von der Camera obscura zur Audiovision, Zürich 1994

Als Angehöriger der mobilen Schaustellerkultur galt der Guckkästner zwar als Teil des öffentlichen Lebens, wurde jedoch oft mit Misstrauen oder Geringschätzung betrachtet.[8] In historischen Quellentexten des 18. Jahrhunderts wird er – zum Teil ungeachtet seiner tatsächlichen Herkunft – häufig als „welisch Mann“ oder aber als „Savoyarde“ bezeichnet, was die Anfänge des professionellen Guckkastengewerbes zunächst in Italien vermuten lässt.[9] Die Bezeichnung „Savoyarde“ fungierte als generisches Etikett für wandernde Unterhalter und Kleinverdiener die aus den Alpenregionen Savoyen, Piemont oder Norditalien stammten und in ganz Europa unterwegs waren. Die wiederkehrende Charakterisierung des Guckkastenbetreibers als Savoyarde oder „welscher Mann“ manifestiert sich nicht zuletzt in der Vorstellung einer Figur, die sich lediglich in gebrochenem Deutsch mit starkem Akzent mitteilen kann, wie bereits im Eingangszitat exemplarisch deutlich wird.[10] Was anfangs eventuell auf die mangelnden Sprachkenntnisse der welschen Vorführer zurückzuführen war, etablierte sich später als stilistisches Merkmal in diversen Liedern der Guckkastenbetreiber.[11]

Trotz solcher als negativ empfundenen Codierungen verfügte der Guckkastenbetreiber gegenüber den meisten seiner Kund:innen über ein außergewöhnliches kulturelles Kapital. Er reiste viel, kannte ferne Städte und ihre Darstellungen, wusste um politische Ereignisse, kannte exotische Tiere und war mit technischen Neuheiten vertraut. Insbesondere für die einfache Bevölkerung mag der Guckkästner daher ein Erzähler aus einer größeren Welt, ein wandelndes Medium gewesen sein. Mit dem Aufkommen konkurrierender Bildmedien wie Panoramen, Stereoskopen und Kinematographen geriet seine Rolle zunehmend unter Druck.[12] Dennoch hielt sich seine Figur bis weit ins späte 19. Jahrhundert – nicht zuletzt, weil seine Präsenz mehr bedeutete als bloßes Vorführen seiner Bilder.


[1] Füsslin, Georg: Der Guckkästner, in: Ders. u. a. (Hg.): Der Guckkasten. Einblick – Durchblick – Ausblick, Stuttgart 1995, S. 36-45, S. 36.

[2] Ebd.

[3] Vgl. Sztaba, Wojchiech: „Die Welt im Gcukkasten. Fernsehen im achtzehnten Jahrhundert“, in: Harro Segeberg (Hg.): Die Mobilisierung des Sehens. Zur Vor- und Frühgeschichte des Films in Literatur und Kunst, München 1996, S. 97-112, S. 100.

[4] Vgl. Kopp, Artur: „Schöne Spielewerk, schöne Rarität!“, in: Archiv für Kulturgeschichte, 2/3 (1904), S. 296-317, S. 297; Dewitz, Bobo von: „Eine mobile Bilderwelt“, in: Ausst.kat. Ich sehe was, was Du nicht siehst! Sehmaschinen und Bilderwelten. Die Sammlung Werner Nekes, Köln (Museum Ludwig), Göttingen 2002, S. 78-86, S. 81.

[5] Vgl. Schöne Raritäten-Kasten/ Schöne Spielwerck alles lebendig/ alles lebendig zu sehen In die Kasten von die Wellisch Mann/ vor ein viertel Grosch Vor der Meß/ in der Meß und nach der Meß, o.O. 1750.

[6] „Raritäten-Kasten“, in: Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschaften und Künste, welch bisher von menschlichem Verstand und Witz erfunden und verbessert worden, Halle/Leipzig 1732-1750, Bd. 30, S. 455.

[7] „Guckkästner“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Leipzig 1854, Bd. 4, S. 1044.  

[8] Monteyne, Joseph: From still life to the screen. Print culture, display, and the materiality of the image in eighteenth-century London, New Haven 2013, S. 135.

[9] Füsslin 1995 (wie Anm. 1), S. 36.

[10] Vgl. Zglinicki, Friedrich von: Der Weg des Films, Hildesheim 1979, S. 85-86.

[11] Füsslin 1995 (wie Anm. 1), S. 36.

[12] Ebd.