Trautmanns Jahrmarktszene. Der Guckkasten in der Medienwelt des 18. Jahrhunderts

Leonard Schwanig

Eine Theaterbühne mitten auf einem Dorfplatz, umringt von Schaulustigen; ein auf einem Fass stehender Musiker spielt für ein tanzendes Paar; ein Kupferstichkrämer, ein Brezelbub und ein Schmuckhändler bringen ihre Waren an das Volk; und ein Guckkastenmann bringt seine Attraktion zutage – Johann G. Trautmanns Jahrmarktszene (1759/63) (Abb. 1) zeigt die belebte Medienlandschaft eines dörflichen Jahrmarkts. Auffällig ist, dass neben den klassischen Jahrmarktsattraktionen wie Musik und Tanz eben auch eine Guckkastenvorführung dargestellt ist (Abb. 2).

Abb. 1: Johann Georg Trautmann, Jahrmarktszene, 1759-63, Öl auf Leinwand, 226,5 x 201,0 cm, Frankfurt am Main (Deutsches Romantik Museum)

Während die Theaterbühne im Zentrum des Bildes ausgiebig vom abendlichen Sonnenlicht erhellt wird, steht der Guckkastenmann im Schatten, leicht Abseits des Geschehens. Sein rufend geöffneter Mund und seine im Guckkasten verborgenen Hände zeigen, dass er sich mitten in einer Vorstellung befindet. Während er mit seinen Händen das visuelle Schauspiel, durch einen Wechsel von Bildern und Lichtverhältnissen, kreiert, dramatisiert er gleichzeitig die Vorführung durch Erzählungen. Drei Kinder drängeln sich um den Kasten, den er vor sich aufgebaut hat – nur der Reihe nach können sie die verborgenen Bilder bestaunen. Sein lautes Erzählen und der geheimnisvolle Kasten, dessen Guckloch nur ein Leuchten offenbart, scheinen auch die Blicke anderer Gäste auf sich zu ziehen – neugierig schauen der vorbeilaufende Brezelbub und der Galanteriewarenhändler auf das ungewöhnliche Schauspiel.

Abb. 2: Detail aus Abb. 1

Mit ihrer Neugierde sind die beiden Händler nicht allein. Auch Johann W. Goethe, der Trautmanns Jahrmarktszene sicherlich gekannt hat,[1] zeigte sich begeistert von der neuartigen Bildapparatur. So arbeitet Goethe in seinem Theaterschwank Jahrmarktfest zu Plundersweilen (1773) mit verschiedenen Lichtverhältnissen im klassischen Volkstheaterraum, die zwar nicht direkt vom Guckkasten, aber von dessen engem Verwandten, der Laterna Magica, inspiriert sind. Im Gegensatz zum Guckkasten beleuchtet die Laterna Magica die Bilder nicht nur, sondern funktioniert eher wie ein Diaprojektor, der mithilfe einer Lichtquelle und eines Objektives Bilder an eine Wand wirft (Abb. 3). In beiden Fällen handelt es sich jedoch um visuelle Apparate, die mithilfe von Lichteffekten funktionieren und mit diesen Effekten und erzählten Geschichten Bilder „beleben“. Wie Trautmann den Guckkasten als Jahrmarktsattraktion in sein Gemälde mit aufnimmt, baut Goethe eine Laterna Magica in sein Jahrmarktsfest ein. Dafür ließ er während seines Stücks den klassischerweise vollständig erhellten Theaterraum verdunkeln, um einen Schattenspielmann eine Projektionsvorstellung vorführen zu lassen.[2] Die Lichtsituation des Theaterraums wird der Bildprojektion angepasst. Gemeinsam haben Trautmanns und Goethes Werk dadurch nicht nur die Referenz von zeitgenössischen visuellen Apparaturen, sondern auch eine Medienreflexion, die sich den kontrollierten Lichtspielen des Guckkastens und der Laterna Magica widmet. Trautmann kontrastiert die hell erleuchtete Theaterbühne mit dem im verborgenen bleibenden Bild im Guckkasten, auf das nur durch neugierige Blicke und das künstliche Scheinen aus dem Kasten angespielt wird; Goethe auf der anderen Seite lässt den Theaterraum verdunkeln, um die Zuschauenden mit der Bildprojektion einer Laterna Magica in den Bann zu ziehen. Beide Apparaturen erscheinen somit als Faszinationsobjekte, die auf andere visuelle Medien – die Malerei und das Theater – abfärben.


[1]Der Werktext im Romantik-Museum weist darauf hin, dass das Werk von dem französischen Königsleutnant Francois de Theas de Thoranc in Auftrag gegeben wurde, während er im Zuge der französischen Besatzung Frankfurts im Siebenjährigen Krieg im Haus der Familie Goethe einquartiert war. 

[2] Denton, Eric Hadley: „The technological Eye: Theater Lighting and Guckkasten in Michaelis and Goethe“, in: Evelyn K. Moore (Hrsg.): The Enlightened Eye. Goethe and Visual Culture, Amsterdam 2007, S. 255ff.