Im Kerzenschein: Das Bankett der englischen Königin

Isabelle Wagner

Der Guckkasten bietet nicht nur eine Bühne für Ansichten von kolorierten Stichen, sondern mit der Hilfe einer Lichtquelle, wie einer Kerze, können Betrachtende unerwartete Überraschungen erleben. Ein schönes Beispiel für ein solches Lichtspiel ist das Bild „Protean view: Guildhall – London“, Nummer 24 aus der Serie der „Spooner’s Protean Views“, das sich in der Sammlung des Historischen Museums befindet.

Abb. 1: Spooner’s Protean Views Nr. 24, Guildhall – London. Exhibiting the civic banquet to the queen, c. 1838, Exeter (The Bill Douglas Cinema Museum)

Die „Spooner’s Protean Views“ [1] ist die zweite von drei Serien, die um 1835 von dem Drucker und Verleger William Spooner erstellt wurden. Die Guckkastenbilder aus dieser Serie zeigen meist stille Landschaften oder leere Räume, welche sich füllen, sobald eine Lichtquelle hinter dem Bild positioniert wird.[2] Die Ansicht mit der Nummer 24 zeigt den Innenraum der Guildhall in London. Die Betrachtenden blicken auf eine breite Wand mit bemalten, spitz zulaufenden Fenstern. Umrahmt wird dieser Blickfang durch zueinander symmetrisch stehende Wände, eingefasst von Halbsäulen mit korinthischen Kapitellen und dekorativen Spitzbögen. Auf beiden Seiten ist ein Balkon mit grüner Palisade zu erkennen, unter dem linken Balkon befindet sich ein Treppenaufgang und ein bogenförmiger Eingang und unter dem rechten Balkon ein Spitzbogen mit einer rechteckigen Tür, welche in einen Nebenraum zu führen scheint. In der hinteren rechten Ecke ist klein eine schwarz gekleidete Person zu erkennen und am linken vorderen Bildrand sieht man zwei weitere Figuren, die eine in schwarzem, die zweite in rotem Gewand (Abb. 2).

Abb. 2: Spooner’s Protean Views Nr. 24, Guildhall – London. Exhibiting the civic banquet to the queen, c. 1838, Exeter (The Bill Douglas Cinema Museum)

Sobald jedoch hinter dem Bild eine Lichtquelle positioniert wird, kann man ein schönes Farbspiel erkennen und der Schriftzug „Welcome VR“ kommt über den bemalten Fenstern zum Vorschein. Von der Decke hängen zwei große Kronleuchter und seitlich hängen mehrere Fahnen mit Wappen herunter, das untere Drittel der Wände ist mit roten Vorhängen geschmückt. Darunter stehen sechs lange Tische, von denen fünf senkrecht ausgerichtet sind und einer horizontal an der hinteren Wand steht. In der Mitte unter dem Schriftzug ist eine Krone zu erkennen und darunter thront Königin Victoria von England. Die Szene stellt ein Bankett dar, welches 1837 für die Königin im Rahmen der Krönungsfeierlichkeiten organisiert wurde (Abb. 3 und Abb. 4).[3]

Abb. 3: Spooner’s Protean Views Nr. 24, Guildhall – London. Exhibiting the civic banquet to the queen, c. 1838, Exeter (The Bill Douglas Cinema Museum)
Abb. 4: Spooner’s Protean Views Nr. 24, Guildhall – London. Exhibiting the civic banquet to the queen, c. 1838, Exeter (The Bill Douglas Cinema Museum)

Im klassischen Guckkasten war die Lichteinstrahlung und das Entdecken des neuen Bildes wohl eher vergleichbar mit dem Effekt, den  Abb. 3 wiedergibt. Abb. 4 zeigt den Effekt einer deutlich stärkeren Lichtquelle, dieser war in einem herkömmlichen Guckkasten sicherlich nur schwerlich zu realisieren. Hier wird aber deutlich, wie viele Details und Veränderungen von William Spooner vorgesehen waren (Abb. 4). Der erstaunliche Effekt war handwerklich recht leicht herzustellen: In der Werkstatt von William Spooner wurden die Bilder von hinten auf ein dickeres graues Papier geklebt, wo zuvor ein Rechteck ausgeschnitten wurde (siehe Abb. 5). Unter das Bild klebte er von vorne ein Rechteck mit seinem Logo sowie dem Namen der Serie, der Nummer des Bildes und dem Namen des Bildes mit einem kleinen Satz als Erklärung (siehe Abb. 1).[4]

Abb. 5: Spooner’s Protean Views Nr. 24, Guildhall – London. Exhibiting the civic banquet to the queen, Frankfurt am Main (Historisches Museum Frankfurt)

Die Protean Views von Spooner waren offensichtlich eher für den privaten Gebrauch gedacht und konnten in kleineren, privaten Guckkasten betrachtet werden. Die Betrachtenden konnten die dargestellte Szene in reduzierter Form entdecken, dabei wohl selbst mit dem Lichteffekt spielen, was für Spannung und Faszination sorgte.

Dass Lichteffekte den Innenraum der Guildhall auf besondere Weise zu verändern vermögen, wird in London heute noch als Werbestrategie genutzt, so etwa auf einer für ein touristisches Publikum gedachten Webseite.[5]


[1] Der Begriff « Protea »n verweist dabei auf ein Objekt, das kontinuierlich seinen Charakter wandelt. Vgl. « If you describe someone or something as protean, you mean that they have the ability to continually change their nature, appearance, or behaviour. » https://www.collinsdictionary.com/de/worterbuch/englisch/protean (letzter Aufruf: 24.07.2025).

[2] http://www.wernernekes.de/web/?page_id=65 (letzter Aufruf: 09.07.2025).

[3] https://www.meisterdrucke.uk/fine-art-prints/W.-Lake/287041/The-Common-Crier-Proclaiming-the-Toast-of-Health-to-Queen-Victoria-at-a-Banquet-held-in-the-Guildhall.html (letzter Aufruf: 09.07.2025).

[4] https://www.vialibri.net/years/books/626210041/1838-print-victoria-queen-of-great-britain-spooners-protean-views-nos-5-12 (letzter Aufruf: 09.07.2025).

[5] https://www.guildhall.cityoflondon.gov.uk/ (letzter Aufruf: 24.07.2025).