Virtuelle Ausstellung

Vom Sammeln und Wegwerfen. Auf Spurensuche nach Lehrmitteln in der Kunstgeschichte

Diese medienübergreifende Ausstellung will die Geschichte der Lehrmaterialien in der kunstgeschichtlichen Lehre in ihrer Bandbreite zeigen. Zu den ausgewählten Exponaten gehören Glas- und Kleinbilddias, Mikrofiches, Lehrbücher und Mappenwerke sowie Gipsabgüsse von dreidimensionalen Kunstwerken. Anhand der ausgestellten Objekte werden Antworten auf die folgenden Fragen gesucht: In welcher Weise wurde/wird kunstgeschichtliches Wissen vermittelt? Welche Materialien wurden/ werden dafür in der Lehre eingesetzt? Die Idee für diese Ausstellung stand lange vor der Corona-Pandemie, die die Änderungen in der Lehre durch Digitalisierung maßgebend beschleunigt hat, aber uns auch zwang, nach einer alternativen Form für die Präsentation der Objekte zu suchen, die ursprünglich in der Bibliothek des Kunstgeschichtlichen Instituts im Frühling 2020 hätte stattfinden sollen.

Mit den Lehrmitteln aus den späten 19. Jahrhundert bis zu unseren Tagen möchten wir die Veränderungen in der Lehre und den Wandel des Mediums Bild durch technischen Fortschritt, innovative Vermittlungsstrategien und vielfältige Lehrmethoden präsentieren. Aber auch denjenigen, die sich für die Geschichte des Kunstgeschichtlichen Instituts in Frankfurt interessieren, bietet die Ausstellung interessante Einsichten zu den Anfängen des Faches an der Universität. Anhand von Objekten werden bedeutende Geschehnisse aus der Institutsgeschichte und prägende Professoren von der Gründung 1915 bis zum Kriegsende vorgestellt.

Die ausgewählten Exponate sind in drei Kategorien – dreidimensionale Medien, Buch- und Bildmedien – unterteilt, die sich jeweils einer spezifischen Form von Lehrmitteln widmen. Es werden unter anderem Glasdias durch Lichtboxen reinszeniert, Mikrofiches in ihrer ursprünglichen Bedeutung erklärt, die hauseigene Bilddatenbank ConedaKOR vorgestellt und die ehemalige Gipsabgusssammlung des Instituts durch Fotografien und erhaltene Objekte fassbar gemacht. Die Anfänge der kunstgeschichtlichen Lehre im Frankfurter Institut werden dadurch mit historischen Dokumenten und Objekten präsentiert und der Umgang mit dem Medium Bild in Buchpublikationen veranschaulicht.

Besonders im Vordergrund sollen die Lehrmittel gerückt werden, die mittlerweile als outdated bezeichnet werden können, es gilt ihnen erneute Beachtung zu schenken und ihre einstige Bedeutung nachzuzeichnen. Einzelne Exponate sollen nicht mit ihrer jeweils individuellen Geschichte dargestellt, sondern als Teil einer Geschichte des Bildes und der kunstgeschichtlichen Lehre begriffen werden. Dabei wird auch die Frage nach dem komplexen Dialog zwischen Original und Kopie berücksichtigt. Ergänzend werden in Kooperation mit dem Institut der Kunstpädagogik Frankfurt künstlerische Arbeiten gezeigt, die sich in unterschiedlichen Fragestellungen mit dem Medium (Glasbild-)Dia auseinandersetzen und sich dem Thema mittels ihrer Materialität oder Historizität annähern. Aber auch Arbeiten von Mitarbeitern und Studierenden des Kunstgeschichtlichen Instituts Frankfurt kommen nicht zu kurz. Weitere Projekte stehen an, die wir hier kontinuierlich präsentieren wollen.

Die Kuratorinnen möchten all jenen herzlichen Dank aussprechen, die die virtuelle Ausstellung möglich gemacht haben. Zunächst Herrn PD Dr. Michael Maaser, dem Leiter des Frankfurter Universitätsarchivs, und Herrn Dr. Matthias Recke, Institut für Archäologische Wissenschaften Frankfurt und Kustos der Gipsabgusssammlung, die uns den Zugang zu ihren Dokumenten und Objekten gaben, dem Institut für Kunstpädagogik der Goethe Universität und besonders Prof´in Dr. Verena Kuni und Christina Zück für die fruchtbare Zusammenarbeit, die u.a. zu verschiedenen künstlerischen Projekten führte, die beim Rundgang der Kunstpädagogik 2019 gezeigt wurden und die von den Mitarbeiter*innen und den Studierenden geschaffen wurden.

Frankfurt am Main und Bonn im Januar 2021
Hilja Droste, Paula Günther und Doris Reichert

Buchmedien

Kugler, Franz: Handbuch der Geschichte der Malerei seit Constantin dem Grossen,  3 Bde.,  3. Aufl. Nach der von Dr. Jacob Burckhardt besorgten zweiten Auflage neu bearbeitet und vermehrt von Hugo Freiherrn von Blomberg, Leipzig: Duncker und Humblot, 1867 (Foto: Marlène Heinzinger)

1837 veröffentlicht Franz Kugler sein Werk Handbuch der Geschichte der Malerei seit Constantin dem Grossen in 2 Bänden.  Damit wurde eines der ersten Überblickswerke in der sich gerade formierenden universitären Wissenschaft der Kunstgeschichte veröffentlicht. Sein Verfasser Franz Kugler, Professor an der Berliner Akademie der Künste, erwarb sich in den folgenden Jahren besonders als Handbuchautor großen Ruhm. Es erschienen u.a. das Handbuch der Kunstgeschichte (1842) und die Geschichte der Baukunst (1856-1873). 

Kuglers Handbuch der Malerei ist in der Frankfurter Kunstbibliothek in der dritten Auflage von 1867 vorhanden und binnen 30 Jahren nach der Erstauflage auf 3 Bände angewachsen. Kein Geringerer als Jacob Burckhardt, ein Schüler von Franz Kugler, besorgte die Neuauflage von 1847 und Freiherr von Blomberg hat schließlich die neu bearbeitete und vermehrte 3. Auflage, die hier vorliegt, herausgegeben. 

Es ist auffällig, dass diese Gattungsgeschichte, außer einem Porträt Franz Kuglers, über keinerlei Abbildungen verfügt. Die Einordnung der vielfältigen Zeugnisse der Malerei in verschiedene Schulen und die damit verbundene Orientierungshilfe für den Leser erfolgte einzig und allein über das Wort. Das lag 1867 sicherlich nicht am Mangel technischer Möglichkeiten. Womöglich war der Verzicht auf illustrierende Abbildungen, dem Bewusstsein der Autonomie der Reproduktion gegenüber dem Original geschuldet. Jedes eingesetzte Medium zur Dokumentation oder Erklärung des Kunstwerks besitzt bereits qua seiner Materialität eigene Qualitäten und hat damit auch eine eigene Aussagekraft. Ein Aspekt, den die moderne Medientheorie wieder aufgegriffen hat. 

Anschauungsmaterial für kunsthistorische Seminare und ein Pferd ohne Kopf 

Gurlitt, Cornelius, Die Baukunst Frankreichs, Dresden: Gilbers’sche Verlagsbuchhandlung, 1850-1938, Taf. 40 (Foto: Marlène Heinzinger) [ConedaKor]

In den frühen Jahren der kunstgeschichtlichen Lehre waren großformatige Mappenwerke mit großen Abbildungen beliebt. Sie konnten in den Veranstaltungen so gezeigt werden, dass mehrere Seminarteilnehmer die Reproduktion betrachten konnten. Die einzelnen Blätter waren lose und daher, je nach Lehrinhalten, flexibel zusammenstellbar. Aber auch gebundene großformatige Werke wurden skrupellos auseinandergenommen, um eigene Ordnungsprinzipien wiederzugeben, nach Epochen, Schulen, ikonografischen Themenbereichen etc. 

Zunächst beherrschten Reproduktionsverfahren wie z. B. der Kupferstich oder die Lithographie den Markt. Der Einzug der Fotografie in die kunsthistorische Lehre war bahnbrechend, aber zu Beginn nicht reibungslos verlaufen. Sie wurde zunächst nicht als künstlerische Praxis anerkannt und damit wurde ihr die emphatische Beziehung zum Werk abgesprochen. Schließlich überzeugte aber die vermeintlich objektive Wiedergabe des Kunstwerks durch die Fotografie. Welchen Einfluss der Einsatz der Fotografie auf die Wahrnehmung des Kunstwerks hatte und damit auf den Fortgang kunsthistorischer Wissenschaft lässt sich heute nur ansatzweise nachvollziehen, da der Umgang mit fotografischen Reproduktionen seit über 100 Jahren zur kaum mehr hinterfragten, alltäglichen Praxis gehört. 
Unsere ausgewählte Abbildung (Tf. 40) befindet sich im Mappenwerk „Die Baukunst Frankreichs“ von dem Kunsthistoriker und Kunstsammlers Cornelius Gurlitt (Vater des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt). Sie zeigt den Chor von Saint-Pierre in Caen, eines der Hauptwerke von Hector Sohier, mit seinen reichen dekorativen Überformungen des gotischen Bauwerks. Die Szene im Vordergrund der Tafel 40 lenkt allerdings ab. Durch die langen Belichtungszeiten der frühen Fotografie entstanden häufig Geisterbilder. In unserem Beispiel gibt das Pferd ohne Kopf Anlass zu eigenen phantasievollen Bildgeschichten. 

Bildhunger und Expansion.
Druck- und Verlagswesen im 19. Jahrhundert

Im 19. Jh. fand eine regelrechte Revolution im Druckwesen statt. Eine technische Neuerung jagte die andere und lieferte so für die bildorientierte Kunstgeschichte immer mehr Material und Möglichkeiten für Forschung und Lehre. Um kostengünstiger produzieren zu können, gingen viele Verlage im 19. Jh. dazu über, eigene Werkstätten zu unterhalten. 
Die hier in der Abbildung gezeigte Räumlichkeit gehörte dem Verlag E. H. in Stuttgart, eine der größten Holzstechereien Deutschlands. Die zahlreichen Arbeitsplätze für die Xylographen und die durch Trennwände separierten Ateliers der ‚Artisten‘ zeugen von der boomenden Branche und der Wertschätzung ihrer Arbeit. Der Firmenchef Eduard Hallberger setzte bei seinen Produkten verstärkt auf das illustrierende Bild und war mit der, von ihm herausgegebenen Zeitung (Allgemeine Illustrirte Zeitung), sehr erfolgreich. Schließlich ermöglichte erst der Holzstich die Herstellung von detaillierten Abbildungen in großer Stückzahl. Ein weiterer Vorteil war, dass nun anders als beim Kupferstich, Text und Bild gemeinsam im Hochdruckverfahren hergestellt werden konnten.

Xylographen-Saal und Zeichenatelier des Verlages Eduard Hallberger 1878, Zinkätzung nach einem Holzstich, Abbildung aus:  Katharina Krause, Katharina (Hrsg.): Bilderlust und Lesefrüchte, Leipzig 2005, hier: S. 51, Abb. 33 [ConedaKor]

Weitere technische Entwicklungen, allen voran die neuen fotomechanischen Druckverfahren, die noch effizienter waren und noch detailgetreuere Abbildungen wiedergeben konnten, lösten den Holzstich Ende des 19. Jahrhunderts ab.

Nichts geht über das Original?
Handzeichnungen des Städels und ihre Reproduktionen

Einer der Gründe warum kunstgeschichtliche Seminare in ihren Anfangsjahren häufig an Kunstsammlungen angeschlossen wurden, lag sicherlich in der unmittelbaren Nähe zum Anschauungsmaterial, so war auch das Kunsthistorische Seminar in Frankfurt zu Beginn innerhalb des Städelschen Kunstinstituts untergebracht. 

Dennoch gab es Bestände, die besonderen Schutz benötigten, so zum Beispiel  die äußerst sensiblen Blätter der Handzeichnungen alter Meister. Die Direktion des Städels sah sich deshalb zu einem Lieferwerk mit Reproduktionen derselben veranlasst. Die Herausgeber der Blätter, die seit 1908 erschienen, versprachen originaltreue Abbildungen, hergestellt im zu dieser Zeit sehr beliebten Lichtdruck. Bei dieser Methode handelt es sich um ein fotomechanisches Flachdruckverfahren. Auf eine Glasplatte mit einer Chromgelatineschicht wird durch Lichteinwirkung ein fotografisches Halbton-Negativ kopiert. Die so hergestellten Druckplatten ermöglichten hochwertige und relativ kostengünstige Reproduktionen. Die Originale wurden vor allzu häufiger Benutzung geschont, während gleichzeitig die Kunstwerke bzw. ihre Reproduktionen eine weite Verbreitung im In- und Ausland erhielten – eine werbewirksame Aktion vieler Kunstgalerien. Der technische Fortschritt war aber nicht aufzuhalten:  auch der Lichtdruck wurde schnell durch andere Verfahren verdrängt, Ende des 19 Jh. stellte er aber eine revolutionäre Entwicklung in den Reproduktionstechniken dar, da ohne Rasterungen Halbtonbereiche wiedergegeben und große Auflagen gedruckt werden konnten.

Handzeichnungen alter Meister im Städelschen Kunstinstitut, originaltreue Lichtdrucke, hrsg. von der Direktion des Städelschen Kunstinstituts, Lieferung 1-6, Frankfurt a. M.: Selbstverlag, 1908/10 (Foto: Marlène Heinzinger) [ConedaKor]

Big is beautiful: Mappenwerke in der Lehre

Mappenwerke wie diese zu den Kunstschätzen des ehemaligen Dominikanerklosters  wurden um 1900 auch für die Lehre der Kunstgeschichte eingesetzt, denn sie ermöglichten durch ihr Größe das Anschauen von Bildern mit mehreren Personen ohne Lichtbildprojektion. Neben dem größeren Format sind für Mappenwerke die losen Blätter kennzeichnend. Meistens werden die Abbildungen noch durch eine Begleitpublikation ergänzt, so auch bei dieser Mappe, deren Textband von Heinrich Weizäcker verfasst ist. Trotz der teilweise schlechten Abbildungsqualität können diese Werke auch heute noch als wichtiges Quellenmaterial dienen, denn sie zeigen unter anderem den damaligen Zustand der Kunstwerke und lassen so Veränderungen am Werk nachvollziehen sowie Restaurierungen datieren.

Heinrich Weizsäcker, Die Kunstschätze des ehem. Dominikanerklorster in Frankfurt a. M., Tafelband, 45 Bl., München: F. Bruckmann A.-G., 1923 (Foto: Marlène Heinzinger) [ConedaKor]

Zur Farbigkeit von Abbildungen

Ein Werk, vier Versionen: Auf der Suche nach der passenden Reproduktion eines Werkes stößt man häufig auf Abbildungen unterschiedlichster Farbigkeit. Hier in diesem Beispiel ist es gut nachzuvollziehen, wie dasselbe Kunstwerk, Hans Holbeins Wurzel-Jesse-Darstellung aus der ehemaligen Frankfurter Dominikanerkirche, in Publikationen mit teilweise sehr voneinander abweichender Farbigkeit gezeigt wird: Gelbstich, Blaustich, Rotstich, Grünstich – aber welche Abbildung entspricht am ehesten dem Original? Diese Frage lässt sich letztlich nur durch einen direkten Vergleich mit – oder besser: vor – dem Original beantworten. Der Grund für dieses breite Spektrum in der reproduzierten Farbigkeit eines Werkes ist unter anderem häufig in der Drucktechnik zu finden. Da in der digitalen Welt oft Reproduktionen ebenso nach gedruckten Vorlagen produziert werden, finden wir dieses Phänomen auch hier.

Abbildungen aus: Cilleßen, Wolfgang P. (Hrsg.): Der Annenaltar des Meisters von Frankfurt, Kunststücke des Historischen Museums Frankfurt, Bd. 2, Frankfurt am Main 2012, S. 55, Abb. 42 (links oben); Samm.kat. Deutsche Gemälde im Städel 1500–1550, hrsg. von Bodo Brinkmann und Stephan Kemperdick, Mainz 2005, S. 388, Abb. 324 (links unten); Samm.kat. Alte Meister 1300–1800 im Städel Museum, hrsg. von Gabriel Dette und Jochen Sander, Ostfildern 2011, S. 35 (rechts oben); Ausst.kat. Hans Holbein d. Ä. Die Graue Passion in ihrer Zeit, Staatsgalerie Stuttgart (Stuttgart), Ostfildern 2010, S. 151, Abb. 124 (rechts unten). [ConedaKor]

Bildmedien

Seit der Erfindung der Fotografie steigerte sich die massenhafte Verbreitung des Bildes unaufhörlich. Bereits im 19. Jahrhundert fühlten sich viele Zeitgenossen von der ‚Bilderflut‘ überfordert. Der Bedarf an Reproduktionen in der Kunstgeschichte war und ist allerdings gewaltig und trotz digitaler Bildproduktion noch nicht gestillt. Mit dem Iconic turn (Wende zum Bild, ikonische Wende) in den 90er Jahren erhielt das Bild zunächst eine Aufwertung, die aber heute durch die explosiv angewachsene Kommunikation via Bild durch die social media wieder relativiert wird. 
Die für den Privatgebrauch als Arbeitsmaterial geordneten Bildersammlungen von Wissenschaftlern in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wirken heute in unseren Augen dilettantisch, sind aber Zeugnis dafür, dass Abbildungen damals noch ungenügend zur Verfügung standen. So schnitten Kunsthistoriker*Innen aus verschiedenen Publikationen Reproduktionen aus und brachten sie in eine für sie brauchbare, systematische Ordnung. Mehrere solcher Mappen befinden sich im Archiv des Kunstgeschichtlichen Instituts. Ausgewählt wurde eine Sammlung des Kunsthistorikers Curt Gravenkamp, der von 1945-61 den Frankfurter Kunstverein leitete. Er war mit dem Kunstgeschichtlichen Institut Frankfurt eng verbunden und hatte dort 1924 mit einer Arbeit über Ernst Fries promoviert. Die Bildermappe umfasst Abbildungen zur Kunstgeschichte des Mittelalters (11.-14. Jh.), von Flandern des 15. Jh. und von Italien des 15. Jh.