Professor for Criminal Law, University of Navarra (Pamplona, Spain)

Juni bis Juli 2022

In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Klaus Günther

Prof. Dr. Dr. Pablo Sánchez-Ostiz is Professor of Criminal Law. J.S.D. and PhD. He is Fellow of the Alexander von Humboldt Foundation and the DAAD and Vice-rector for Faculty Affaires at the University of Navarra. His Research topics are Concept of Imputation, Normtheory in Ccriminal Law, Practical Reason and Principles of Criminal Policy, Concept of Violence. (https://orcid.org/0000-0003-3461-904X)

Forschungsthema:
Normativism and Criminal Law: Empiricism as a Limit to Criminal Law

Projektbeschreibung:
In der Strafrechtslehre ist man der Ansicht, dass diese die Fähigkeit hat, die von ihr benötigten Begriffe (Person, bewegliche Sache, Entgelt, Mordlust…) zu erarbeiten. Man spricht dann von „Normativismus“. Auf diese Weise wird die Bedeutung der juristischen Ausdrücke bestimmt (zum Beispiel des Begriffs bewegliche Sache) und außerdem werden Urteile bezüglich der Zuweisung von Verantwortung zu Personen gefällt (zum Beispiel wer für die begangene Tat verantwortlich ist). Der Normativismus setzt voraus, dass die Begriffe in der Sprache der Juristen eine eigene Bedeutung haben; konkreter im besonderen Sprachgebrauch der Strafrechtler. Demnach würden die in der Lehre verwendeten Begriffe auf einer anderen Ebene als der des Faktischen oder Empirischen funktionieren und hätten einen eigenen, anderen methodologischen Status.
Obgleich man die Ursprünge dieses Ansatzes in weit zurückliegenden Zeiten untersuchen kann, ist er doch beim kantischen methodologischen Dualismus zu verorten (Noumenon vs. Phänomen). Während des 20. Jahrhunderts kam es dank der als Neukantianer bezeichneten Autoren zu einer Neubelebung dieses Dualismus. Und Jahre später war es G.H. von Wright, der die Debatte über den methodologischen Dualismus wiederbelebte. Heute sind normative Aussagen in der gesetzgeberischen, gerichtlichen und Lehrtätigkeit üblich.

Man muss sich fragen, ob die Normativisierung die einzige Art und Weise ist, wie das Recht funktionieren kann, oder eine bloße methodologische Option. Es kann behauptet werden, dass normative Aussagen zur eigenen Vorgehensweise der Wissenszweige der Praxis (das heißt der Wissenszweige, denen die Erkenntnis, nicht die bloße Erklärung zugrunde liegt) gehören, wie dem Recht. Insbesondere im Strafrecht sind zwei Gruppen normativer Aussagen mit unterschiedlichen Funktionen zu unterscheiden. Erstens diejenigen, die sich auf Begriffe beziehen, deren Bedeutung in einer eigenen Sprache dieses Rechtsbereichs geschaffen wird (so Begriffe wie bewegliche Sache, Entgelt und viele mehr). Zweitens die Urteile hinsichtlich der Zuschreibung von Verantwortung oder Zurechnung zu einem Subjekt aufgrund dessen Tat. In der ersten Gruppe ist die Normativisierung die Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Gesetze und ihrer Auslegung. In der zweiten Gruppe ist die Normativisierung die spezifische Art und Weise, Zurechnungsurteile zu fällen. Letzten Endes kann man sagen, dass die Normativisierung im Recht nicht eine mögliche Option ist, sondern sein eigener Modus Operandi.

Das Recht funktioniert mit Hilfe von normativ erarbeiteten Begriffen sowie mit Urteilen bezüglich der Zurechnung zu Personen. Man muss sich jedoch fragen, in welchem Maße die normativen Begriffe und Urteile von empirischen abhängen oder dadurch bedingt sind (Gewicht, Volumen, chemische Zusammensetzung… der Gegenstände; oder zum Beispiel durch die neuronale Grundlage des Subjektes, das verantwortlich gemacht wird). In der vorliegenden Mitteilung wird vertreten, dass das Empirische oft eine notwendige, aber nicht ausreichende Grundlage darstellt, dass aber manchmal selbst diese Grundlage nicht notwendig ist. Man kann sogar behaupten, dass es bei den Behauptungen des Rechts keine rein empirischen Wirklichkeiten gibt, sondern dass das Recht einen Prozess der Schaffung oder Gestaltung der Gegenstände und Aussagen ausführt, der auf einer anderen Bedeutungsebene wirkt.

Diese Normativisierung und deren Loslösung vom Empirischen zwingen uns wiederum dazu, nach ihren Grenzen zu fragen. Wenn alles normativ ist und das Empirische eine relativ schwache Rolle spielt, welche Grenzen muss man dann für die Behauptungen des Rechts ziehen. Es ist notwendig, die möglichen Grenzen für die Normativisierungstätigkeit zu untersuchen: Diese Grenzen können von den Beschränkungen des menschlichen Wissens sowie von der Funktion des Rechtsbereichs, in dem die normativen Aussagen wirken, herrühren.

Publikationen (Auswahl):

Rezension von Rainer Forst/Klaus Günther, Normative Ordnungen, Suhrkamp, ​​Berlin, 2021, 683 Seiten (von Pablo Sánchez-Ostiz)
– A vueltas con la Parte Especial (Estudios de Derecho penal), Atelier, Barcelona, 2020;
– Víctimas e infractores, cumplidores y héroes. La culpabilidad en clave de imputación, BdeF, Montevideo, Buenos Aires, 2018;
– La libertad del Derecho penal y otros estudios sobre la doctrina de la imputación, Atelier, Barcelona, 2014;
– Fundamentos de Política criminal. Un retorno a los principios, Marcial Pons, Madrid, 2012;
– Imputación y teoría del delito. La doctrina kantiana de la imputación y su recepción en el pensamiento jurídico-penal contemporáneo, BdeF, Montevideo, Buenos Aires, 2008