FRANKFURT Uwe Volkmann ermittelt bei wissenschaftlichem Fehlverhalten an der Goethe-Uni. Hier spricht er über sein Vorgehen in solchen Fällen, die höhere Sensibilität für Plagiate und das Risiko, handwerkliche und inhaltliche Kritik zu vermischen.

Herr Volkmann, Fehlverhalten an Hochschulen kann viele Gesichter haben: Plagiate, schlampige Laborarbeit, Fälschen von Forschungsergebnissen, aber auch Mobbing. Wofür ist die Kommission zuständig, der Sie vorsitzen?

Im Prinzip können alle Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens vor die Kommission getragen werden. Meistens geht es um Plagiate, aber auch unsaubere Verwendung von Daten oder Nutzung der Ergebnisse von Mitarbeitern, ohne dies kenntlich zu machen, sind Vorwürfe, mit denen wir uns beschäftigen. Mit Fällen von Mobbing oder gar sexueller Belästigung am Arbeitsplatz mussten wir uns gottlob noch nicht befassen.

Aber Sie würden es tun, wenn die Kommission davon erfahren würde?

Zunächst hätten wir dafür in der Universität andere Anlaufstellen. Aber wir könnten sicher tätig werden, wenn sich damit ein spezifisch wissenschaftliches Fehlverhalten – etwa mit Blick auf die Benotung von Arbeiten – verbindet.

Wie gehen Sie vor, wenn Ihnen ein Fehlverhalten gemeldet wird?

Ob wir überhaupt tätig werden, hängt davon ab, wie substanziell der Hinweis ist. Wenn jemand nur sagt: „Schauen Sie mal bei dem nach, der hat bestimmt irgendwo abgeschrieben“, dann reicht uns das nicht. Wir brauchen das, was man im Strafverfahren einen Anfangsverdacht nennt. Wenn es den gibt, versuchen wir zunächst, ihn in einem internen Verfahren zu erhärten. Bei einem Plagiatsverdacht können wir, sofern der Text digital vorliegt, eine Software darüber laufen lassen. Bei älteren Texten müssen wir uns die inkriminierten Stellen händisch vornehmen. Dazu kooptiert die Kommission oft ein Mitglied aus dem betreffenden Fach. Aufgrund dieser ersten Bewertung entscheiden wir, ob ein formelles Verfahren eingeleitet wird.

Wie geht es nach Eröffnung eines Verfahrens weiter?

Die Betroffenen haben einen Anspruch darauf, angehört zu werden; darüber hinaus wird wie in einem förmlichen Verwaltungsverfahren Beweis erhoben. Die weiteren Schritte hängen von der Art des Verstoßes ab. Wenn es um eine Dissertation oder Habilitation geht, stellt die Kommission gegebenenfalls das wissenschaftliche Fehlverhalten fest und empfiehlt anschließend dem Fachbereich, das Verfahren zum Entzug des Titels einzuleiten.

Kann die Kommission auch selbst Sanktionen verhängen?

Die Kommission kann etwa eine Rüge aussprechen. Das klingt erst einmal harmlos, ist aber für einen Wissenschaftler folgenschwer: Die Rüge kann dem Fachbereich und den Wissenschaftsorganisationen mitgeteilt werden, was dazu führen kann, dass der Betroffene keine Drittmittel mehr erhält. Eine mildere Sanktion wäre die Aufforderung, eine Veröffentlichung zurückzuziehen oder eine etwaige Übernahme der Forschungsergebnisse von Mitarbeitern kenntlich zu machen.

Mit wie vielen Fällen hat sich die Kommission an der Goethe-Uni in den vergangenen Jahren befasst?

Pro Jahr sind es etwa einer bis vier Fälle, auf die wir durch Hinweise aufmerksam gemacht werden. Das verteilt sich recht gleichmäßig auf Plagiatsvorwürfe, Datenmanipulation und Fälle, in denen Arbeitsergebnisse nicht richtig zugeordnet wurden oder eine Ko-Autorschaft nicht korrekt kenntlich gemacht wurde.

Wie lange dauert ein Ermittlungsverfahren Ihrer Kommission im Durchschnitt?

In der Regel ein halbes Jahr. Einen Doktorgrad oder eine Habilitation zu entziehen dauert noch einmal deutlich länger, weil dann auch oft Gerichte eingeschaltet werden. Solch ein Verfahren kann sich über zwei, drei Jahre hinziehen.

Spätestens seit dem Fall Guttenberg hat die Aufmerksamkeit für das Thema Plagiate stark zugenommen. Aktuell beschäftigen uns Vorwürfe gegen Springer-Chef Mathias Döpfner – einen Alumnus der Goethe-Uni -, die Soziologin Cornelia Koppetsch und die Politologin Ulrike Guérot. Wird wirklich mehr plagiiert als früher oder gilt: Wer sucht, der findet?

Seit dem Fall Guttenberg ist sicher die Sensibilität gewachsen. Aber es gibt ja auch eine Reihe von Plagiatsverfahren, die im Sande verlaufen. Denken Sie an den Fall von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: Da war einfach an den Vorwürfen nichts dran. Grundsätzlich hat die gewachsene Aufmerksamkeit insofern etwas Gutes, als sie die Wissenschaft an ihre eigenen Standards erinnert. Andererseits entsteht dadurch in der Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild von Wissenschaft: Es sollte ja nicht darum gehen, dass man überall etwas abschreibt und dies korrekt in einer Fußnote angibt. Wichtig ist doch, ob ein Text selbst eine neue Erkenntnis, eine neue Idee enthält und ob uns das weiterbringt.

Sehen Sie die Gefahr, dass Plagiatsvorwürfe häufiger genutzt werden, um unliebsamen Personen zu schaden?

Diese Möglichkeit besteht. Manche Plagiatsfahnder können Sie anonym und gegen Bezahlung beauftragen. Das hat schon etwas von modernem Kopfgeldjägertum.

Bei Koppetsch und Guérot verbindet sich der Plagiatsvorwurf mit Kritik an ihren Positionen: Koppetsch wurde vorgeworfen, sie habe zu viel Verständnis für Rechtsextremismus; Guérot ist wegen ihrer Thesen zu Corona und Ukraine umstritten. Besteht hier das Risiko, dass handwerkliche und inhaltliche Kriterien unzulässig miteinander vermischt werden?

Das ist ein Problem, weil Fälle so aus politischen Motiven oder persönlicher Abneigung heraus ausgewählt werden. So etwas ist aber für eine Kommission, wie ich sie leite, nicht überprüfbar. Wenn uns ein Vorwurf bekannt wird, müssen wir ihm nachgehen. Schlimm wäre es, wenn andere Fälle, die auch gravierend sind, deswegen unter den Tisch fallen.

Die aktuellen Vorwürfe gegen Koppetsch beziehen sich nicht auf eine Qualifikationsschrift, sondern ein Sachbuch. Laut der Darmstädter Untersuchungskommission haben auch in diesem Fall die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis zu gelten. Sehen Sie das genauso?

Prinzipiell ja. Wenn Hochschullehrer wie Bernhard Schlink Romane schreiben, ist das etwas anderes; auch ein Thomas Mann ist mit dem geistigen Eigentum anderer ja manchmal recht großzügig umgegangen. Aber Sachbücher müssen bestimmten Standards genügen, und dazu gehört, dass fremde Ideen als solche auszuweisen sind.

Wann sollte man beginnen, Menschen den richtigen Umgang mit geistigem Eigentum beizubringen? Schon in der Schule?

Die Schule ist das erste Übungsfeld. Wer ein Referat hält und dafür aus Wikipedia kopiert, sollte darauf hingewiesen werden, dass es so nicht geht. In der Universität wird heute auf die Vermittlung guter wissenschaftlicher Praxis mehr Wert gelegt als zu meiner Zeit. In meinem Fachbereich gibt es ein Angebot namens „Juristische Arbeitstechnik“, das die Studierenden schon im ersten Semester belegen können. Auch in den Tutorien und Doktorandenprogrammen wird erklärt, wie wissenschaftliches Arbeiten funktioniert.

Sind Juristen nicht immun gegen Schummelei, weil sie doch ein besonders ausgeprägtes Rechtsempfinden haben?

Das wäre schön, wenn es so wäre. Aber auch wir haben es mit Plagiatsfällen zu tun. Mir selbst wurde einmal eine Promotion vorgelegt, die nicht hinreichend gekennzeichnete Übernahmen fremden Gedankenguts enthielt. Aufgefallen ist das der Zweitgutachterin, weil sie an einer Stelle misstrauisch geworden war und dann auch andere kontrolliert hat. Aber man kann nicht jeden Verstoß entdecken. Und grundsätzlich müssen wir einander in der Wissenschaft auch vertrauen.

Die Fragen stellte Sascha Zoske.

Von Sascha Zoske. Aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 21.06.2022, Hochschule und Forschung ( Rhein-Main-Zeitung), Seite 34
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