Frankfurter Brasilianer stürmen die Villa Metzler

Rebecca Schmidt war nicht zu beneiden. Die Geschäftsführerin des Forschungszentrums Normative Ordnungen an der Frankfurter Goethe-Universität sollte einen charismatischen Politiker aus Brasilien im Zaum halten. Doch Eduardo Suplicy entzog sich mit zähnefletschendem Charme immer wieder der Moderation. Eine Podiumsdiskussion über „Demokratie im Aufruhr“ war in der Historischen Villa Metzler geplant, aber sie verwandelte sich in ein sozialpolitisches Plädoyer für ein weltweites bedingungsloses Grundeinkommen. Dafür nämlich ist der mittlerweile 80 Jahre alte Politiker zeitlebens eingetreten, voriges Jahr auch beim Papst. Seit 2004 ist das Grundeinkommen in Brasilien als erstem Land der Welt in der Verfassung verankert, wurde aber nur in Teilen realisiert und unter der Regierung Bolsonaros ganz „von der Landkarte des Hungers gestrichen“, wie Suplicy sagte.

Seit 40 Jahren ist er politisch aktiv und wurde erst unlängst als Abgeordneter des Bundesstaates Sao Paolo wiedergewählt. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der Arbeiterpartei, der auch der neue, alte Präsident Lula da Silva angehört. Nach dem Sturm auf das Regierungsviertel in Brasilia am 8. Januar sollte er nun berichten, wie es um die Demokratie in Brasilien bestellt ist. Aber nicht nur dort, auch in Peru und Bolivien ist die Demokratie im Aufruhr. „Wir müssen den eurozentrischen Blick überwinden“, so Rainer Forst, Direktor des Forschungszentrums, in seiner Begrüßung. Dafür sollte der Lateinamerika-Experte Jonas Wolff von der Forschungsinitiative „ConTrust: Vertrauen im Konflikt“ an der Goethe-Universität bürgen. Doch er kam kaum zu Wort. Das Publikum, das die Villa friedlich gestürmt hatte, bis sie fast aus den Nähten platzte, wollte Suplicy hören.

Diesem Verlangen kam der Gast aus Übersee ausgiebig nach. Im roten Pullover bot er eine bühnenreife Vorstellung revolutionärer Vitalität. „Trotz unterschiedlicher Sprachen müssen wir zu einem gemeinsamen Verständnis von Gerechtigkeit kommen“, setzte er an und zählte die „Instrumente“ auf: „Mit besseren Bildungsbedingungen, besserer Gesundheitsversorgung und besseren solidarischen Wirtschaftsformen erhöhen wir den Grad der Gerechtigkeit.“ Als die Moderatorin zum dritten Mal nach dem 8. Januar fragte, fing das Publikum an zu lachen. Überhaupt wurde viel gelacht und am Ende sogar gemeinsam gesungen. Bis dahin hatte Suplicy sein Herzensanliegen vorgetragen: „Würde und Freiheit für alle. Die Demokratie muss liefern, für die breite Bevölkerung.“ Aber er stellte auch klar, dass Lula nicht die linke Alternative zur Rechten sei, sondern ein breites Bündnis der Demokraten vertrete. c.s.

Von Claudia Schülke. Aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25.01.2023, Frankfurt (Rhein-Main-Zeitung), Seite 32.
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