Die Konferenz „Queer Islam“ in Frankfurt

Homosexualität im Islam ist ein Tabuthema. Das gilt auch für deutsche Universitäten. Wer die Konferenz „Queer Islam“ am Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam betreten wollte, musste zunächst die Sicherheitskontrolle passieren. Im Innenraum erinnerten Personenschützer daran, dass Wissenschaftler, die sich frei dazu äußern, ihr Leben riskieren. Im Internet hatte es die üblichen Anfeindungen gegeben, unter anderem von Studenten der islamischen Theologie.

Zunächst die Fakten: In 22 islamisch geprägten Ländern ist Homosexualität verboten, in zehn steht darauf die Todesstrafe. Die Islamische Republik Iran hat seit 1979 rund viertausend Todesurteile gegen Homosexuelle vollstreckt, die zur öffentlichen Abschreckung an Baukränen aufgehängt werden. Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam von 1990, die von 57 Staaten unterzeichnet wurde, stellt Homosexualität unter Scharia-Vorbehalt. Heißt: Schwule haben nicht die gleichen Rechte.

Nach der Darstellung von Mouhanad Khorchide, Professor für islamische Theologie an der Universität Münster, geht die Ächtung aber nicht eindeutig aus dem Koran hervor. Das entsprechende Wort für sündiges Triebverhalten tauche dort nicht auf. Von vielen Rechtsgelehrten würde Homosexualität dennoch als Sünde betrachtet. Der Deutung des Islamwissenschaftlers Thomas Bauer, die juristische Ächtung habe sich erst seit dem neunzehnten Jahrhundert durchgesetzt und habe in glattem Widerspruch zu einem sexuell freizügigen Alltagsleben gestanden, stieß bei Khorchide auf Skepsis. Es habe schon im neunten Jahrhundert Todesurteile wegen Homosexualität gegeben.

Anders ist es mit Transsexualität und Transgender. Beides wird in islamischen Ländern teilweise geduldet, weil es die traditionelle Geschlechterordnung wiederherstellt. Freilich gilt das nur für Männer, weibliche Sexualität hat keinen Platz im öffentlichen Leben. Susanne Schröter, die Direktorin des Forschungszentrums Globaler Islam, wies etwa hin auf die Hidschras in Pakistan, eine Gruppe von Transgenderpersonen, die religiöse Funktionen wie die Kindssegnung übernehmen und dafür sogar von den erzfundamentalischen Barelvi unterstützt werden, oder die Waria in Indonesien. Man darf in solchen Gruppen aber keine Vorkämpfer sexueller Emanzipation sehen. Sie werden von traditionellen Werten zusammengehalten. Die Waria distanzierten sich öffentlich von der LGBTQ-Bewegung. Solche Gruppen sind, wie Schröter herausstellte, nicht mehr als kleine Inseln am Rande der Gesellschaft und würden zunehmend angefeindet.

Der deutsch-israelische Psychologe Ahmad Mansour führte die Homosexuellenfeindschaft primär auf die patriarchale Tradition zurück, die mit der Religion in einem einträglichen Wechselverhältnis lebt. Im Patriarchat ist Sexualität tabu. Die Folgen seien sexuell komplett verunsicherte Menschen, die auf das Thema Sexualität mit heftiger Abwehr reagieren. Wer in diesem Umfeld (und das sind beileibe nicht alle muslimischen Familien, wie Mansour betonte) seine Homosexualität entdeckt, empfindet oft Scham und Ekel und riskiert, wenn er sie auslebt, schwere Zerwürfnisse und tiefe seelische Krisen.

Von ihnen erzählte Tugay Sarac, der mit der Aktion „Liebe ist halal“ homo- und transsexuellen Muslimen einen Schutzraum bietet. Viele von ihnen haben mit ihrer Familie gebrochen (oder diese mit ihnen), fühlen sich einsam und ausgestoßen. Bei seiner Aufklärungsarbeit an Schulen schlug Tugay Sarac teils hasserfüllte Ablehnung entgegen. Mit Morddrohungen muss das Projekt, das an der liberalen Ibn Rushd-Goethe Moschee angesiedelt ist, seit Beginn leben. Dass es vom Berliner Senat ignoriert wird, ist absurd und gefährlich. Homosexualität kann eine Radikalisierungsquelle sein: Man versucht, sich vom Makel des angeblich sündhaften Triebs zu reinigen, indem man sich dem Fundamentalismus zuwendet. Tugay Sarac weiß das aus eigener Erfahrung. Auch „Liebe ist halal“ ist bislang nur eine kleine Insel. Was muss geschehen, damit mehr daraus wird? Ahmad Mansour forderte die Politik auf, ihre Doppelmoral abzulegen und offen über die Homophobie in muslimischen Milieus zu sprechen, übrigens auch unter Studenten der islamischen Theologie, wie Khorchide hinzufügte. Auch die islamische Theologie könnte zur Aufklärung beitragen. Dazu müsste sie aber erst einmal bereit sein, überhaupt darüber zu sprechen.

Von Thomas Thiel. Aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 12.10.2022, Forschung und Lehre (Natur und Wissenschaft), Seite N4
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