Veranstaltungsreihe

Projektverantwortlicher: Prof. Dr. Christoph Menke

Projektbeschreibung

Dass das Verhältnis von Staat und Gesellschaft in der Krise ist, scheint als ausgemacht zu gelten. Die überkommene Gestalt politischer Institutionen, insbesondere der Nationalstaat, hat in den westlichen Gesellschaften weitgehend an Funktionsfähigkeit eingebüßt. Das betrifft nicht nur die politische Regulierungsfähigkeit gegenüber einer global integrierenden Wirtschaft, sondern zeigt sich auch darin, dass aktuelle politische Herausforderungen – wie etwa die sogenannte „Flüchtlingskrise“ und der Klimawandel – den nationalstaatlichen Rahmen sprengen. Diese Krise der Staatlichkeit äußert sich auch als Erosion der Demokratie, da demokratische Selbstbestimmung und Repräsentation bisher vornehmlich in nationalstaatlichen Institutionen organisiert sind. So werden etwa das Auseinanderfallen der Volksparteien, ein erstarkender, besonders rechtsnationaler und fremdenfeindlicher Populismus, die Auflösung der Zivilgesellschaft sowie der Vertrauensverlust gegenüber demokratischen Institutionen diagnostiziert.
An diese Krisendiagnosen möchte das Projekt anknüpfen. Die Ausgangsthese lautet dabei, dass die genannten Krisenphänomene auf ein grundlegendes Problem hinweisen, das den modernen Begriff des Staates selbst betrifft. Dabei handelt es sich um das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, in dem der Staatsbegriff erst seine Bestimmung erfährt. Dieses Verhältnis konstituiert seine Relata – außerhalb desselben gibt es weder Staat noch Gesellschaft – und darin ist es zugleich wesentlich instabil und krisenhaft: Es bringt seine beiden Seiten als zwei Entitäten hervor, die sich gegeneinander verselbstständigen und daher jeweils mit der anderen (und dadurch mit dem Verhältnis, das sie konstituiert) im Konflikt stehen.
Eine Reaktion auf diese Krise besteht darin, die Staat-Gesellschaft-Differenz selbst zurückzuweisen. Das geschieht etwa in Entwürfen zu einer Verfassung nach dem Staat: als „dynamisches Verfassungsverständnis“ (Habermas), „horizontale Konstitutionalisierung“ (Joerges) oder als „Globalverfassung“ (Fischer-Lescano). Ihnen ist gemeinsam, dass sie an die Stelle der Organisation des Sozialen durch den Staat Modelle der Selbstorganisation des Sozialen stellen. Das Projekt soll erörtern, welche Konsequenzen die Aufgabe der Staat-Gesellschaft-Differenz und damit die Zurücknahme des Staates in die Gesellschaft für die Idee politischer Freiheit haben. Die Hypothese lautet dabei, dass durch die Vereinseitigung des Politischen auf die selbstorganisierenden und -regulierenden Kräfte des Sozialen nicht mehr beantwortet werden kann, wie politische Freiheit in ihrer spezifischen Normativität – den Ideen der Allgemeinheit, Gleichheit und Solidarität – im Sozialen Wirksamkeit erlangen kann. Gerade um die Normativität des Politischen im Sozialen geltend machen zu können, bedarf es eines Denkens der Differenz des Politischen gegenüber dem Sozialen. Um diese These zu begründen, wird sich das Projekt insbesondere die Frage nach der spezifischen Existenz- und Operationsweise der Gesellschaft stellen, die ebenso in den eingangs genannten Krisendiagnosen wie in den soeben genannten Relativierungen der Staat-Gesellschaft-Differenz eigentümlich unanalysiert bleibt. Mit der – in der Hypothese formulierten – Differenz des Politischen gegenüber dem Sozialen geht daher zugleich und umgekehrt die Differenz des Sozialen gegenüber dem Politischen einher. Beide Differenzen müssen in ihrer Spannung zusammengedacht werden; sie bilden die Gelingensbedingung politischer Freiheit.

Veranstaltungen

Workshop
6. Juni 2019, 15 Uhr

„Politik in der Zeit der Legitimitätskrise: warum Carl Schmitt heute lesen, und wie?“
Mit Jean-François Kervégan (Université Paris, Panthéon-Sorbonne)

Workshop
11. Juli 2019, 16 Uhr

Der privatrechtliche Diskurs der Moderne revisited
Mit Marietta Auer (Gießen)

Workshop
28. November 2019, 15 Uhr
„Das Finanzregime“
Mit Joseph Vogl (HU Berlin)