Kostenloses Streamen

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Kostenloses Streamen

„(…) where does film end and theatre begin? What would be the criteria for online performance? Does it have to be live? Does it have to be happening somewhere that’s not my bedroom? Is it only theatre if I’ve had to put on trousers and leave the house?“ Tim Bano, Theaterkritiker

Fangen wir wieder mit der Oper an: Seit 2015 übertragen 15 Theaterhäuser aus ganz Europa einen Teil ihrer Aufführungen über die sogenannte Opera Plattform. Dank dieser Initiative sind Produktionen sechs Monate lang online abruf- und mit Untertiteln in sechs unterschiedlichen Sprachen verfügbar. Dazu gibt es Extramaterial wie Einführungen oder Interviews mit den Beteiligten. Die Komische Oper Berlin und die Oper Stuttgart nehmen am Projekt teil.

Die Bayerische Staatsoper stellt ihrerseits bestimmte Stücke auf StaatsoperTV zur Verfügung. Ihren Zahlen nach erreicht diese Plattform zwischen 40.000 und 100.000 User pro Stream. Also gar kein schlechtes Marketing … Doch nicht alle Häuser können sich auf hohe Auslastungen freuen und viele fürchten sich um einen potenziellen Zuschauer_innenverlust bei kostenlosem Streamen, der allerdings noch nicht geprüft worden ist.

In der Theatersparte gibt es seit 2012 eindeutig einen Vorreiter: Das Theater Ulm streamt einige seiner Aufführungen und erreicht dadurch ca. 4.000 Online-User pro Jahr, davon sind zwei Drittel überregional und aus einer weiten Altersspanne. Was die restliche deutschsprachige Theaterlandschaft angeht, abgesehen von vereinzelten Übertragungen, gibt es mehr Debatten als Versuche, wenn auch die Debatte an sich gar nicht so uninteressant ist …

Das Ganze fing September 2014 an, als der Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner von den großen Sprechtheatern und Opern Berlins forderte, sie sollten ihre Aufführungen „per Live-Stream“ übertragen. Renner relativierte drei Monate später:

„Nur Inszenierungen, bei denen es künstlerisch Sinn mache, sollten gestreamt werden. (…) Livestreaming sei kein Ersatz für das echte Theatererlebnis, sondern eine Ergänzung – auch für die, die nicht mobil sind, kein Geld haben, am falschen Ort wohnen oder aus Schwellenangst kein Theater betreten.“

Dennoch hatte er bereits eine wichtige – und notwendige – Debatte ausgelöst. Viele, wie der Geschäftsführer des Kulturrats, Olaf Zimmermann, erhoben sich dagegen und empfanden den Vorschlag als „kontraproduktiv“ unter der Perspektive der Urheber – und Leistungsschutzrechte. Wie kontrolliert man dann die Piraterie und die Ausbeutung der Darstellenden? Außerdem würde Renners Idee die ästhetische Erfahrung des Ins-Theater-Gehens und die Theaterkassen gefährden. Weitere Bedenken fokussierten auf die Konkurrenz zwischen Theaterhäuser: Ob die Theaterinteressierten in Rostock, Augsburg und Wiesbaden nicht weniger ins Theater vor Ort gehen, weil sie sich große Aufführungen aus der Weltstadt Berlin im Wohnzimmer angucken …?

Andere Stimmen nutzten die Gelegenheit, um für eine grundsätzliche und mutige Renovation der Einstellungen im Theaterbereich gegenüber der digitalen Welt zu plädieren und luden ein, sich mit den sowohl logistischen als auch ökonomischen Fragen in Ruhe auseinanderzusetzen. So die Theaterwissenschaftlerin und Mitglied der Piratenpartei Tina Lorenz bei nachtkritik.de:

„Das Theater als Router in einem Netzwerk sucht sich neue Wege zum Publikum (…), zum Austausch, zur dialogischen Kulturentwicklung. Es streamt, es zeichnet auf, es drängt in die neuen Medien und verortet sich selber in diesem wachsenden Netzwerk. (…) Regelmäßig gestreamte Premieren oder spätere Vorstellungen können außerdem dafür sorgen, dass sich die Branche besser vernetzt und alle viel schneller und direkter von den ästhetischen Entwicklungen und dem Vorantreiben des künstlerischen Diskurses der anderen profitieren. Ihr Theater werdet per Stream aus eurem rein regionalen Wirkungskreis gerissen und in den überregionalen Raum geschleudert – was das genau mit euch macht, muss man erst noch ergründen. (…) Rechte. Bezahlung. Equipment. Rückläufige Kartenverkäufe. (…) All diese Bedenken sind lösbar.“

Für einige ist das Streaming die demokratischste Theatererfahrung überhaupt, in der alle Menschen auf der Welt gleichzeitig den besten Sitzplatz haben können. Für andere hört sich das Ganze wie das Ende einer Ära an: „We must be careful that we don’t arrive at a situation where this type of thing is what people’s only experience of live theatre really is.“ Das sagt Stephen Wood, Generaldirektor des Stephen Joseph Theatre in Scarborough. Die gleiche Debatte kam schon im letzten Jahrhundert mit der Übertragung Musikkonzerte im Rundfunk …

Den Stand der Dinge kann man mit dem Bericht des Deutschen Bühnenvereins in der Jahreshauptversammlung von 2015 zusammenfassen: Er sieht das Streaming als eine große Chance, „um mit einem Publikum in Kontakt zu treten, das nicht zu den typischen Theaterbesuchern gehört, und um neue Kommunikationswege zu finden“. Trotzdem weist er darauf hin, dass es vielen Häusern an personellen, technischen und finanziellen Ressourcen fehlt, um digitale Projekte zu starten. Es hängt leider nicht vom künstlerischen Willen ab, sondern von den Mitteln, die den Häusern oder Gruppen zur Verfügung stehen, um sich in der digitalen Welt zu präsentieren. Der Verband empfiehlt außerdem, das Ganze eher für besondere Veranstaltungen und für speziell für das Netz produzierte Arbeiten zu nutzen, sodass ein Mehrwert gesichert werden kann.