Und dann wird’s wirklich spannend
Aber welche besonderen Veranstaltungen sollen das sein? Oder besser: Kann Streaming mehr sein als ein Übertragungsmittel? Welche künstlerischen Möglichkeiten können mit dem Digitalen erprobt werden?
Beim Stichwort „besondere Veranstaltungen“ könnte man an jegliche einmaligen Aufführungen, Gastspiele auf Festivals oder Festspielen denken. Aber auch die Übertragung offener Proben wäre eine durchaus spannende Möglichkeit, um das Konzept des Streamings weg vom Produkt und hin zum Prozess zu bewegen: als eine Art Live-Making-Of oder ein Blick hinter die Kulissen.
Das Pilot Theatre, eine Wandertheater-Ensemble aus dem Vereinigten Königreich, hat schon 2012 mit einem interaktiven Live-Stream experimentiert. Die User konnten mit der Übertragung von den York Mystery Plays live interagieren: Sie konnten zwischen sechs unterschiedlichen Kameraeinstellungen und drei Audiokanälen wechseln – dem der Bühne, dem der Anweisung der Inspizienz und dem einer Live-Audiobeschreibung – und sich dazu gleichzeitig die Textfassung anschauen. Marcus Romer, künstlerischer Leiter dieses Theaters, unterscheidet diese Erfahrung von den National Theatre Live-Streamings, „where the decisions of which shot you will see have already been predetermined by a director. In our work, the audience member is the one who chooses, and this gives a greater sense of creative intervention and participation in the event.“
Aber es geht nicht nur um eine magische Form zu finden, durch der die Zuschauende Zuhause am Ereignis (inter)aktiv teilnehmen können. Vielmehr geht es um andere Strategien des Sehens und des Wahrnehmens, mit den man experimentieren kann. Lyn Gardner, Redakteurin bei The Guardians Theaterblog, reagierte so auf eine der Übertragungen von Forced Entertainments Arbeiten:
„Speak Bitterness [eine sechsstündige Performance dieser englischen Company] proved that it’s possible to have a communal experience watching theatre in your own home. (…) What this (…) performance (…) did was to demonstrate conclusively that while watching a piece of live theatre on the internet is not the same as actually being in the theatre, it can be a hugely rewarding and different way of experiencing a show. One that can be as equally a communal experience via Twitter as actually being in the auditorium. (…) Live-streaming is not a replacement for being present at a performance, it is simply a different way of experiencing that performance.“
Forced Entertainment hat seit 2008 einige Aufführungen live übertragen – vor kurzem gewann die Gruppe große mediale Aufmerksamkeit durch das Streaming von ihren Shakespeares „Complete Works“ aus dem Theaterfestival in Basel – und ist vom Konzept überzeugt, vor allem was ihre Langzeit-Stücke angeht:
„In some ways, these durational works feel like they’ve been waiting for this means of remote distribution and the social media space that surrounds it. (…) The work (…) can be followed on the phone, at the dinner table, accompanying people’s lives as they do other things. Somehow this additional porousness works for it, creating odd juxtapositions and parallel tracks, even as it tries to suck people deeper into watching it.“ Tim Etchell von Forced Entertainment
Die Gruppe zieht sogar in Betracht, Stücke zu entwickeln, die sich zwischen dem Bühnen- und dem digitalen Raum entfalten können. Solche Mischformen stehen auch im künftigen Programm der Berliner Volksbühne. Für ihre noch aufzubauende digitale Bühne, Terminal Plus, plant Chris Dercons Team die Förderung von Streaming-Stücken, die von verschiedenen Künstler_innen extra für das Netz konzipiert werden. Wie könnte dieses Theater für das Netz aussehen? Hier ein – mittlerweile etwas alter, aber dennoch interessanter – Versuch von Herbert Fritsch: hamlet-x.