Louise Lawler
A Movie Will Be Shown without the Picture
Die Neonschrift des Kinos ›Aero‹ leuchtet hell in die schwarze Nacht. Die Anzeigentafel kündigt das abendliche Programm mit »A Movie without the Picture« an: »ein Film ohne das Bild« ist der etwas rätselhafte Titel, hinter dem sich eine Arbeit von Louise Lawler verbirgt, und der ohne einen weiteren Hinweis den Betrachter unwissend läßt, aber seine Neugierde weckt. Louise Lawler erfüllt die Erwartung einer anderen Wirklichkeit, der Kino-Fiktion, transportiert über die Koppelung von Bild und Ton im Film, nicht. Sie zeigt einen Film ohne die Glühbirne des Projektors, raubt ihm also das Licht und damit das Bild. Die Bindung des Wortes an die Bewegung des Films, das »Principle of Coexpressibility«[1] wie Erwin Panofsky es bezeichnete, wird aufgehoben. Bei der Auswahl des Films setzt die Künstlerin deshalb halb auf Filmklassiker, bei denen die Stimmen der Schauspieler dem Publikum soweit bekannt sind, daß es möglich wird, das Geschehen zu identifizieren. An der Umgebung ändert sich indessen nichts. Der abgedunkelte Raum, seine intime Atmosphäre und die leise schleifenden Geräusche des Filmprojektors in den Sprechpausen der unsichtbaren Akteure steigern das ›Kino-Gefühl‹.[2] Dem Zuschauer bietet sich eine akustische Vorstellung, aber kein Hörspiel. Der Ton bleibt von der bildgebundenen Dramaturgie abhängig und zwingt den ›Zuschauer‹ zu einem neuen Seh- und Hörverhalten. Zu den von außen einwirkenden Stimmen und Geräuschen stellen sich, wie in einem echten Traum, die eigenen, inneren Assoziationen ein. Das Kino als Hort vorproduzierter Träume gewinnt durch die Einfindung eigener Bilder eine neue Wertigkeit. »A Movie without the Picture« von 1979 steht am Beginn des photographischen Oeuvre von Louise Lawler. Diese Kino-Arbeit nennt die Künstlerin in ihrer Biographie als ihre erste Einzelausstellung. Heute, zwanzig Jahre später, könnte sie als konzeptioneller Grundstein ihres gesamten Werkes gesehen werden. Auch die Photographien von Lawler thematisieren Präsentationsformen von Werken anderer Künstler. Sie lenken die Aufmerksamkeit des Betrachters über die Kunst hinaus auf den Ausstellungsort, die Arrangements und privaten als auch institutionellen Kontexte von Kunst.
Doris Mampe
Entnommen aus: Dirk Luckow (Hg.), Moving images: Film – Reflexion in der Kunst, Ausst.kat. Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, München 1999, S. 132f.
Anmerkungen
[1] Bei Panofsky heißt es: „Im Film bleibt, im guten wie im schlechten, das Gehörte unlösbar gebunden an das Gesehene; der Ton, artikuliert oder nicht, kann nicht mehr ausdrücken als die gleichzeitig sichtbare Bewegung. Ein guter Film versucht das auch gar nicht. Kurz: das Stück, oder wie es richtig heißt, das Skript eines Films unterliegt dem, wie man sagen könnte, Prinzip des kombinierten Ausdrucks (principle of coexpressibility).“ Erwin Panofsky, Stil und Medium im Film, in: ders., Die ideologischen Vorläufer des Rolls-Royce-Kühlers & Stil und Medium im Film, Frankfurt am Main 1993, S. 17–51, hier S. 24. Siehe auch den Lektürebeitrag zu diesem Text [Link].
[2] Vgl. Barthes’ Beschreibung zur Phänomenologie der „Kino-Situation“ im dazugehörigen Lektürebeitrag [Link].
Valie Export
Tapp-und Tastkino
Abb. 1-4 Valie Export, Peter Weibel, Tapp und Tastkino, München, Karlsplatz (Stachus), 14. November 1968
Eine Frau steht mit einer kastenartigen Vorrichtung vor ihrer Brust auf dem belebten Marktplatz einer Großstadt. Neugierige Passanten tummeln sich um sie und werden dazu aufgefordert ihre Hände in den Kasten zu stecken.
Tapp-und Tastkino ist der Titel der Performance von Valie Export, die 1968 Methoden einer feministisch motivierten Aktionskunst mit Aspekten des Expanded Cinema verband. Export machte sich zur Hauptdarstellerin des „ersten Tapp-und Tastfilms,“ der „zugleich auch der erste wirkliche Film von und mit einer und über eine Frau“ war.[1] Einen Miniaturkinosaal in Form eines Kastens mit zwei Öffnungen vor die nackten Brüste geschnallt, wurden die Passanten auf einer belebten Einkaufsstraße von ihrem Partner Peter Weibel dazu ermutigt, eine ungewöhnliche Art der Kinovorstellung zu erleben. Während weibliche Nacktheit im kommerziellen Raum der Werbung und des Kinos opportun war, stellte das Tapp- und Tastkino eine Provokation dar, da die öffentliche Berührung einer nackten Frau ein Tabubruch war.[2] Mit ihrer Performance machte Export ihren Körper zur Leinwand und spiegelte den voyeuristischen Blick des Kinos. Während der Tastvorgang im Kasten verborgen bleibt, ist der Blick der Künstlerin in einer Eins-zu-Eins-Konstellation auf den ‚Betrachter‘ gerichtet, der mit seinem Blick ‚ertappt‘ wird.
Durch einen Akt selbstbestimmter Demonstration reflektiert Export die mediale Vermittlung des weiblichen Körpers, der zumeist als Objekt, nicht aber als Subjekt der Betrachtung ‚behandelt‘ wird.[3] Der strukturelle Gewaltzusammenhang zwischen Frausein und Zum-Bild-Werden wird in der Umkehr des Voyeurismus deutlich, da der Betastende aus seiner Rolle des körperlosen Auges heraustreten, und sich als Voyeur bekennen muss, um das Tapp-und Tastkino zu erleben.[4] Diese Umkehr schafft Export, indem sie vom weiblichen Körper als Raum ausgeht und ihre Brust zur Leinwand als gewölbte Fläche umdeutet und den distanzierten Wahrnehmungsvorgang des Sehens durch den Prozess der Nähe, des Tastens, austauscht und die Lichtverhältnisse konterkariert.[5]
Export selbst ordnet ihre Performance dem Expanded Cinema zu, ein Begriff, der in den 1960er Jahren eine neue Form der Multimedialität beschreibt, bei dem der projizierte Film von simultanen Aktionen begleitet wird. Exports Verlagerung des Expanded Cinema in den Bereich der Performancekunst offenbart die ‚Projektionen‘ einer kollektiven Zuschauerschaft, die nicht mehr im geschützten Raum des Kinos, sondern im öffentlichen Raum und unter Einbindung des Publikums verhandelt werden.
Diese diskursive Erweiterung des Kinos sollte ein neues soziales und künstlerischen Bewusstsein schaffen und den Einfluss der Medienkommunikation auf Sprache, Kultur und soziale Entwicklungen erforschen.[6] Exports Tapp-und Tastkino ist eines ihrer frühesten Arbeiten und zielt wie viele ihrer weiteren Werke auf die Sichtbarmachung einer gesellschaftlich getragenen Sexualisierung des weiblichen Körpers und der damit einhergehenden systematischen Ungleichbehandlung von Frauen.[7]
Text: Rebecca Ruhmann
Redaktion: Thomas Helbig
Anmerkungen
[1] Siehe die Website der Künstlerin: https://valieexport.at/
[2] Kaiser, Monika: Neubesetzungen des Kunst-Raumes. Feministische Kunstaustellungen und ihre Räume, 1972-1987, Bielefeld 2014, S. 85.
[3] Sicinski, Michael: Valie Export and Paranoid Counter-Surveillance, in: Discourse, 22/2 (2000), S. 80.
[4] Schmuckli, Lisa: Eine Ordnung ist eine Ordnung ist eine Ordnung, in: Olympe. Feministische Arbeitshefte zur Politik, 16 (2002), S. 14.
[5] Hentschel, Linda: Unwegsamkeiten auf dem Feld des Sehens. Raumwahrnehmungen, Sehirritationen und Geschlechtersituierungen bei Valie Export und Cindy Sherman, in: Frauen Kunst Wissenschaft 22 (1996), S. 60.
[6] Lamb-Faffelberger, Margarete: „The Experiment Is Not Yet Finished“: VALIE EXPORT’s Avant-garde Film and Multimedia Art, in: von Dassanowsky, Robert und Oliver C. Speck (hgg.): New Austrian Film, New York 2011, S. 24.
[7] Siehe die Website der Künstlerin: https://valieexport.at/ sowie das Valie Export Center Linz. Forschungszentrum für Medien- und Performancekunst: https://www.valieexportcenter.at/
Das C/O Berlin richtet aktuell eine Retrospektive der Arbeiten von Export aus: https://co-berlin.org/de/programm/ausstellungen/valie-export
Bildnachweis
Abb. 1, 3, 4 (links oben, links unten, rechts unten):
https://ruggiero.altervista.org/portfolio-item/tap-and-touch-cinema/#
Abb. 2 (rechts oben): VALIE EXPORT, TAPP und TASTKINO, 1968. Foto: Werner
Schultz. Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, London – Paris – Salzburg –
Seoul, © VALIE EXPORT / Bildrecht, Wien 2023, © Werner Schultz.
Dan Graham
Cinema
In den 1980er Jahren schuf Dan Graham verschiedenen Arbeiten, die sich zwischen Architekturmodell und Plastik bewegen. Sie waren nie dazu gedacht tatsächlich umgesetzt zu werden, sondern dienten laut Graham als Diskussionsgrundlagen und Arbeitshypothesen.[1] Die 1981 entstandene Arbeit Cinema projektiert, wie der Name bereits verrät, ein Kino, welches sich im Untergeschoss eines Bürogebäudeturms befindet. Es ist als gleichschenkliges Dreieck angelegt, wobei die Leinwand an der nach außen weisenden Ecke angebracht ist, die ähnlich einem Schaufenster, auf Höhe des Gehweges gelegen ist. Sowohl die Leinwand als auch die Wände rechts und links vom Publikumsraum bestehen aus Zweiwegspiegeln. Diese haben die Eigenschaft, dass diejenigen, die auf der dunkleren Seite stehen durch sie hindurch auf die andere Seite blicken können, diejenigen auf der helleren Seite jedoch die Scheibe als Spiegel wahrnehmen. Bei annähernd identischem Licht erscheint das Glas sowohl halbtransparent als auch halbspiegelnd. Wenn ein Film läuft (das Modell von Graham ist mit einem funktionierenden Projektor ausgestattet) ist es im Saal dunkel und die Zuschauer*innen können neben dem Film auf der Leinwand auch die Passant*innen durch die Glasfassade aus Zweiwegspiegeln sehen. Die Passanten wiederum sehen den Film in seitenverkehrter Perspektive, während sie zugleich in die Gesichter der Zuschauer*innen blicken können.
Graham reflektiert mit seinem Modell die metapsychologische Funktionsbedingungen des Kinos, indem er dessen „voyeuristische, narzisstische und exhibitionistische Erfahrungsdispositionen“ sichtbar macht.[2] Einerseits wird das Publikum dabei beobachtet, wie es einen Film schaut, andererseits wird es in die Lage versetzt, das fiktive Geschehen auf der Leinwand im Innenraum des Kinos mit dem realen Geschehen außerhalb des Gebäudes in Beziehung zu setzen, wobei sie (je nach Lichtverhältnis) zugleich auch mit dem eigenen Spiegelbild konfrontiert werden. Analog zu der Eigenschaft der Zweiwegspiegel, zwischen innen und außen oszillieren zu können, werden auch die sonst scharf voneinander getrennten Sphären von öffentlich und privat sowie real und virtuell einander angenähert.[3]
Der Eigenschaft der Spiegel vergleichbar, zwischen Reflektion und Transparenz zu changieren, weisen auch die Blicke der Zuschauer*innen in zwei Richtungen und schaffen darüber einen Moment der Intersubjektivität. Die Anordnung und Materialität der Kino-Architektur erzeugt somit Kreise und Rückkopplungen aus gespiegelten und intersubjektiven Blicken, die zusammen mit den (psychologischen) Imaginationen und Projektionen, die das Kino ermöglicht, zur Reflexion auffordert.[4] Dan Graham formuliert dies folgendermaßen: „im Gegensatz zum Kino, das die Blicke und die Projektionen der Zuschauer vor diesen verbergen muß [!] erlaubt die Architektur hier den Zuschauern drinnen und draußen, ihre Positionen, ihre Projektionen, Körper und Identifikationen wahrzunehmen.“[5]
Text: Anna Haaser
Redaktion: Thomas Helbig
Anmerkungen
[1] Graham, Dan: Cinema, in: Ausst.kat. Dan Graham: Werke 1965–2000, Kunsthalle Düsseldorf, Düsseldorf 2002, S. 199.
[1] Metzger, Rainer: Kunst in der Postmoderne. Dan Graham, Köln 1996, S. 185.
[2] Stemmrich, Gregor: Heterotopien des Kinematographischen. Die „institutional critique“ und das Kino in der Kunst Michael Ashers und Dan Grahams, in: ders. (Hg.): Kunst/Kino, Köln 2001, S. 194–216, hier S. 210.
[3] Metzger 1996 (wie Anm. 1), S. 174.
[5] Hatton, Brian: Dan Grahams Verhältnis zur Architektur, in: Ausst.kat. Dan Graham: Werke 1965–2000, Kunsthalle Düsseldorf, Düsseldorf 2002, S. 317–329, hier S. 322.
Literatur/Links
Centre Pompidou: Dan Graham. Cinéma 81. 1982, URL: https://www.centrepompidou.fr/en/ressources/oeuvre/cBenkp, (letzter Aufruf: 21.02.2024).
Graham, Dan: Rock my Religion. Writings and Art Projects 1965–1990, hg. von Brian Wallis, Cambridge 1993.
Graham, Dan: Ausgewählte Schriften, hg. von Ulrich Wilmes, Stuttgart 1994, S. 193–196.
Graham, Dan: Cinema, in: Ausst.kat. Dan Graham: Werke 1965–2000, Kunsthalle Düsseldorf, Düsseldorf 2002, S. 199f.
Haberer, Lilian und Annette Urban: Bildprojektionen. Filmisch-fotografische Dispositive in Kunst und Architektur, in: dies.(Hgg.): Bildprojektionen. Filmisch-fotografische Dispositive in Kunst und Architektur, Bielefeld 2016, S. 7–35.
Hatton, Brian: Dan Grahams Verhältnis zur Architektur, in: Ausst.kat. Dan Graham: Werke 1965–2000, Kunsthalle Düsseldorf, Düsseldorf 2002, S. 317–329.
Metzger, Rainer: Kunst in der Postmoderne. Dan Graham, Köln 1996.
Stemmrich, Gregor: Heterotopien des Kinematographischen – Die „institutional critique“ und das Kino in der Kunst Michael Ashers und Dan Grahams, in: ders. (Hg.): Kunst/Kino, Köln 2001, S. 194– 216.
Stemmrich, Gregor: Dan Graham „Cinema“, URL: http://www.medienkunstnetz.de/werke/cinema/, (letzter Aufruf: 21.02.2024).