Florence Declaration. Empfehlungen zum Erhalt analoger Fotoarchive
Ein analoges Foto und seine digitale Reproduktion sind zwei verschiedene, unaustauschbare Objekte. Keine Übertragung von einem Medium in ein anderes geschieht ohne Einfluss auf Zustand und Inhalt des Objekts. Es entsteht vielmehr ein neues, vom Original verschiedenes Objekt.
[…]
Jede Form von Digitalisierung tendiert dazu, Fotografien auf ihre visuellen Aspekte zu reduzieren.
Daher ist die Vorstellung von vollständiger Zugänglichkeit in Verbindung mit digitalen Formaten illusorisch; wo das Internet im Idealfall von Ort und Zeit unabhängig macht, reduziert es den Zugriff auf einen einzigen Aspekt des fotografischen Objekts, nämlich die Bildinformation.
[…]
Fotoarchive garantieren den fortdauernden Zugang zu Fotografien sowohl als Werkzeuge aber auch als Gegenstände der Forschung. Die systematischen Strukturen von Fotoarchiven sind damit gleichzeitig ein Ergebnis der Forschung wie auch ein Abbild der Wissenschaftsgeschichte.
[…]
Den Fotoarchiven fällt die Verantwortung zu, für die zukünftige Integrität des ihnen anvertrauten historischen Dokumentmaterials zu garantieren, und dies unabhängig von dessen jeweiligem Format. Das digitale Format kann in keiner Weise als „modernes“ Äquivalent zu analogen Formaten angesehen werden. Nur die Integration analoger und digitaler Formate kann einen angemessenen Erhalt des fotografischen Erbes auch für die zukünftige Forschung garantieren und gleichzeitig das Potential digitaler Werkzeuge kreativ ausschöpfen.
Costanza Caraffa
Florenz, 31. Oktober 2009
Über das Sammeln
Sammeln ist […] immer schon eine „Struktur der Objektzuwendung” und eine „erkenntnistheoretische Praxis“ zugleich, die jedoch nur bis zu einem bestimmten Grad der Kontrolle des Sammlers selbst untersteht. Vielmehr operieren Sammlungen in einer Zukunft, die offen und unsicher ist. Diese „Zukunftsoffenheit“ zu beherrschen ist die Herausforderung, der sich alles Sammeln stellt. (385)
Sammeln erscheint folglich als hinreichend weit gefasstes Tätigkeitsfeld, um höchst unterschiedliche, geschichtlich kontingente Praxisformen aufzunehmen. Das zeigt auch die Wortgeschichte von speichern, dessen technisches Profil sich mit sammeln berührt, das lexikalisch aber erst seit 1775 belegt ist und bis dahin vom allgemeineren Wort sammeln mit abgedeckt wird. Auch die wortgeschichtliche Verwandtschaft von sammeln und lesen (legere und collegere) besagt wohl nur, dass beide Begriffe von rudimentären Überlebenstechniken auf spezifischere Kulturtechniken übertragen wurden. Damit ist sammeln ein „Urtrieb“, und zwar in dem weiten Sinn, in dem es keine kulturgeschichtliche Gebrauchsgeschichte des Sammelns ohne eine entsprechende evolutionsgeschichtliche Anlage dazu geben kann. (387)
Sammlungen sind auch der Pflege und Kuratierung bedürftig. Das ist auch
im Zeitalter digitaler Datenbanken nicht anders (‚updaten‘), gilt aber schon
für das Sammeln von Subsistenzmitteln und für den logistischen Apparat von
Zeitkapseln, die sich dagegen rüsten müssen, zu verfallen oder vergessen bzw.
unlesbar zu werden. (391)In digitalen Sammlungen macht dagegen das Unsichtbare – Code und Algorithmus – den Inhalt der Sammlung – Daten und Informationen – sichtbar. So werden nicht mehr Texte gesammelt, wie im sogenannten Gutenberg-Zeitalter, sondern Hypertexte und Metadaten, die im Hintergrund von der Maschine gelesen werden, aus denen sich das, was ihre Benutzer sehen und verwenden, permanent regeneriert. Damit ist neben dem traditionellen Speicher-basierten Sammeln, das das Bild, den Text, die Sache sammelt, ein Retrieval-basiertes Sammeln entstanden, das in einer Art von Arche-Noah-Prinzip nur noch die Mittel sammelt, die nötig sind, um erstere, Bild und Text, fortlaufend zu reproduzieren. […]
Knapp sind nun nicht mehr die Objekte der Sammlung selbst, die sich, im Gegenteil, zu einer gigantischen Informationsflut vervielfacht haben, sondern die Erinnerungen, Bedeutungen, Affekte und Werte, die sich mit dem Inhalt von Sammlungen zu verbinden pflegen – und die (digitalen) Sammlungen nicht schon inhärent sind. In der Zukunft des Sammelns wird es daher auch um die Wiedergewinnung oder Produktion als sinnvoll erachteter Benutzungsstrategien gehen, ohne die das Sammeln seine entscheidende Dimension verliert: den Menschen. (397f.)
Johannes Endres, Sammeln
Historisches Wörterbuch des Mediengebrauchs
Kunstgeschichte als fotografische Praxis
Seit die Kunstgeschichte den Händen der Spezialisten zu entgleiten beginnt, ist sie eine Geschichte des Photographierbaren geworden,
André MalrauxGanz unbezweifelbar ist es, daß seit drei Jahrzehnten die gesamte Vervielfältigung unter dem Zeichen der Fotografie steht. (Meyer 1901, S. 206)
Die fotografische Herstellung von Druckplatten für jede der bekannten drei Druckarten und noch für zwei der Fotografie eigentümliche, Lichtdruck und Reliefdruck, bedeutet eine so gewaltige Konkurrenz und Erleichterung für die gesamte Reproduktion, daß dies nicht ohne Einfluß auf die Vervielfältigung selber und die ihr dienenden künstlerischen Techniken bleiben konnte. (Meyer 1901, S. 206)
Bei den künstlerischen Nachbildungen von Kunstwerken bis in die sechziger Jahre unseres Jahrhunderts hinein kann man ganz dreist behaupten, daß von einer Stiltreue im Einzelnen kaum die Rede war. (Meyer 1901, S. 207)
Die Fotografie bringt, wenn sie zur Nachbildung benutzt wird, keinerlei stilistische Voreingenommenheiten an die Aufgabe mit heran, sondern natürliche Vorgänge rollen sich ab, zu beeinflussen nur in ihrem technischen Verlaufe, nicht aber nach irgend einer Richtung, welche in Bezug auf die Formenwiedergabe in dem entstandenen Bilde von Belang sein auch nur könnte. […] [Die Kunstgelehrten] waren der irrigen Ansicht, daß die Hand eines hingebenden und mit Verständnis für die nachgebildeten Künstler begabten Menschen im Stande sei, eine bessere, d. h. getreuere Nachbildung zu schaffen als der »tote« Apparat. (Meyer 1901, S. 209)
So weit bei der fotografischen Reproduktion nicht rein fotografisch-technische Hinderungsgründe für die völlig befriedigende Treue der Wiedergabe vorhanden sind, wie dies beispielsweise bei Gemälden, namentlich schlecht erhaltenen, angesichts der bereits erwähnten kapriziösen Farbenauswahl der fotografischen Platte der Fall ist, steht die fotografische Reproduktion, weil sie weder bei der Anschauung des Originales noch bei der Gestaltung ihrer Wiedergabe durch irgendwelche besonderen »Gesichtspunkte« und nun gar etwa durch verschiedene Neigungen oder durch irgendwelche Beschwerlichkeiten und Unsicherheiten in der Erreichung ihrer Absicht gestört wird, rein als solche, als Reproduktion, betrachtet unbedingt unendlich hoch über jeder, wie auch immer gearteten und mit welcher Hingabe und Kunstfertigkeit auch gearbeiteten Nachbildung von Menschenhand. (Meyer 1901, S. 210)
Als ich an meinen zinkographischen Nachbildungen von Dürers vier großen Holzschnitt-Folgen arbeitete, da wählte ich unter den Originalen des Berliner Kupferstichkabinettes natürlich immer die allerbesten Exemplare aus, und ich darf mir wohl schmeicheln, daß ich für die Güte der Erhaltung und die Schönheit eines Abdrucks ein recht feines Gefühl besitze. Trotzdem passierte es mir eines Tages, daß ich in einem Negative, für dessen Prüfung man sich eben eine etwas anders geartete Manier des Sehens, eine andere Art von Aufmerksamkeit angewöhnt hat, einen schwarzen Fleck mitten in der Zeichnung fand, und nun erst gewahr wurde, daß das im übrigen herrliche Original tatsächlich einen weißen Fleck an dieser Stelle hatte, sicher hervorgebracht durch einen während der Druckmanipulationen zufällig zwischen Platte und Papier geratenen Gegenstand, vermutlich ein Stückchen Papier. Nun, ein reproduzierender Zeichner glaubt selbstverständlich, wenn er die Aufgabe gehabt hätte, den Dürerschen Holzschnitt mit faksimileartiger Treue nachzubilden, daß er den Druckfehler sicher gefunden haben würde, und das mag auch zugestanden werden. Ob er aber ganz geringe, kaum merkliche Modifikationen im Schwunge jeder einzelnen Linie bemerkt und sie ebenso nachgebildet haben würde, wie beides der fotografische Apparat tat, das ist doch sehr fraglich […]. (Meyer 1901, S. 210)
Vom Jahrmarkt in den Hörsaal. Quellen und Kommentare zur Geschichte des Lichtbildvortrags
Wann denn […] mit diesen Kunstgottesdiensten im stockdunklen Hörsaal vor zum Gutteil überaus scharfen Schwarzweiß-Aufnahmen, manchen ebenso Überzeugenden, aber auch recht miserablen Farbfotos begonnen wurde, wollte ich wissen. (Dilly 2009, S. 95)
Es fällt uns gemeinhin nicht auf, daß Zeichnungen, Kupferstiche und Fotografien die Kunstwerke fast immer in mehr oder weniger willkürlich verkleinertem Maßstabe erscheinen lassen und daß sie uns so im Gedächtnisse stehen. Der Grad dieser Verkleinerung wechselt und wird niemals auf dem Blatte besonders angezeigt, so daß dem Publikum von dem wirklichen Größenverhältnisse ihm sehr wohl bekannter Werke selten etwas sicher bekannt ist. Dagegen gibt das Skioptikon die Kunstwerke nicht nur meistens größer als die größten Originale, sondern verstärkt die Vergrößerung, auch bei ganz kleinen Werken, wenn man will, ins Kolossale. (Grimm 1892, S. 201)
Der Ideale Inhalt der Werke tritt in eindringlicher Art zu Tage. […] Die beim Vortrage herrschende Dunkelheit, fast Finsternis konzentriert die Aufmerksamkeit. Das zugleich ertönende Wort des Lehrers läßt Anblick und Gedanken sich in neuer Art verbinden. […] Das Skioptikon gewährt aber noch mehr. Eine Hauptaufgabe des Lehrers der Neueren Kunstgeschichte ist, Darstellungen derselben Szene seitens verschiedener Meister zu vergleichen: indem die Bilder nun zu gleicher Zeit sichtbar gemacht werden, tritt die vergleichende Betrachtung sofort in Wirksamkeit. […] Die einander rasch folgenden Anblicke fließen in der Erinnerung zusammen und bewirken eine Vertrautheit mit dem Kunstwerke, wie dessen wirkliche Betrachtung sie kaum hervorzubringen vermag. (Grimm 1892, S. 202)
Die Lichtbilder erscheinen an der weißen Wand, die dem Katheder gegenübersteht. Deshalb sind zur Bequemlichkeit der Hörer die Sitzreihen nicht aus festen Bänken, sondern aus lauter einzelnen runden Drehsesseln hergestellt, die sich, um einen am Boden festgeschraubten konischen Eisenzapfen in ihrem Standfuß kreisend, jeder leisen Wendung des darauf Sitzenden folgsam erweisen. Der Dozent steht während solcher Demonstration ad oculos hinter den Hörern, vermag selbst aber das drüben erscheinende Bild gleichzeitig mit allen Anwesenden und ebenso wie sie zu sehen, während er andererseits den Famulus am Apparat aus nächster Nähe durch seine Zeichen leitet, wie die Reihenfolge des Vortrags es irgend erfordern mag. Dies unmittelbare Zusammenwirken bei der Vorführung und das gemeinsame Schauen aller, oder bei Frage und Antwort die Gleichstellung unter einem und demselben Eindruck sind so entschiedene Vorzüge, daß die Abweichung von der sonstigen Gewohnheit, sich beim Austausch anzublicken, bald gar nicht mehr als Störung empfunden wird oder doch kaum ins Gewicht fällt. (Schmarsow 1909, zit. n. Dilly 2009, S. 93)
Ich habe in einer meiner letzten Vorlesungen von dem David Michelangelos gesprochen. Zuerst zeigte ich ihn, wie er an seiner alten Stelle, die ihm, als er das Atelier seines Meisters verließ, gegeben wurde, am Tor des Regierungspalastes zu Florenz stand. Ältere Fotografien machten es möglich, die Glasplatten hierfür zu schaffen. Während dies Bild den Studierenden vor Augen stand und zwar als hätten sie auf der Piazza selbst das Werk vor sich wurde die Entstehungs- und Ausstellungsgeschichte desselben vorgetragen. Nun trat ihnen in plötzlichem Wechsel die Statue im jetzigen Zustande vor die Augen: wie sie gereinigt und in einer schärferen als der früheren Tagesbeleuchtung in einem geschlossenen Raume der Akademie von Florenz steht. Ein abermaliger Wechsel ließ den modernen Bronzeabguß erscheinen, der auf dem neuen Piazzale di Michelangelo unter der Kirche von San Miniato aufgerichtet worden ist, wo Florenz und das Arnotal zu ihren Füßen rings um sie sich ausbreiten. […] Und endlich erschienen zwei Ansichten des Kopfes der Statue allein: einmal von vorn, das anderemal im Profil, beide in herrlicher Beleuchtung und in ungeheurer Größe, zugleich nun aber so in ihrem eigentlichen Formate gleichsam. Denn es schien, so groß das Werk ist, als habe es dem Geiste des Künstlers kolossaler noch vorgeschwebt. Die wunderbare Schönheit des Kopfes trat jetzt erst völlig hervor. Dieser Anblick zumal wird meinen Zuhörern unvergeßlich bleiben. (Grimm 1892, S. 202f.)
Bei der gewaltigen Vergrößerung dieser Zeichnung konnte auf die Art der Strichführung Michelangelos, wenn er mit der Feder nach dem nackten Körper zeichnete, hingewiesen werden. Bei den bisherigen Hilfsmitteln hätte ich, im allergünstigsten Falle, diese Dinge kaum in drei Stunden vorzeigen und besprechen können, und zwar höchstens vor etwa 15-20 Zuhörern, welche fortwährend vor- und zurücktretend und, in wechselnden Stellungen doch nur mehr oder weniger schlecht sehend, in der Aufmerksamkeit immer gestört, einen Teil der Ansichten und des Vortrages einbüßen mußten, während jetzt über hundert junge Leute (das Auditorium hat 120 Plätze) bequem und in tiefster Stille die Dinge in sich aufnehmen konnten. Jede der hier benutzten Glasplatten kostete mich drei Mark. Sie können, da in der Folge die Originalaufnahmen nach den Fotografien nicht mehr nötig werden, künftig fast um die Hälfte billiger geliefert werden. Der Anblick, den sie bieten, ist bei jedem der gewählten Maßstabe ein scharfer, zuverlässig exakter. (Grimm 1892, S. 203)
Marburger Studenten beim Aufnehmen der Hochschiffskapitelle von Vézelay [ConedaKor]