Gerade komme ich von der GML 2011 zurück, die in Berlin stattfand unter dem Dach von CeDIS, der eLearning Einrichtung der FU Berlin. Es war fast ein kleines OPCO-Treffen: Martin Lindner, Christian Spannagel und viele aktiv schreibende und lesende Teilnehmende von OPCO, ein echtes Gathering 😉 Interessant: viele Tagungsbesucher nehmen den OPCO wahr, lesen mit, er ist allseits bekannt. Hat mich überrascht.
Lernen unter Zwang
Nun zu den Inhalten der Tagung: ein echtes Highlight inhaltlich und im anschließenden Workshop der Beitrag von Petra Grell, der mich sehr zum Nachdenken anregte. Unter dem Titel „Partizipation unter Zwang? Herausforderungen durch Social Software in der Lehre“ ging es darum, ob wir unsere Lernenden quasi „zwingen“ sich zu beteiligen und mit ihrem Lernprozess „öffentlich“ zu werden – zumindest habe ich das für mich als zentrale Frage entwickelt. Ich glaube, wir wollen dies oft, um unsere Eitelkeit als Lehrende zu bedienen oder mangels besserer didaktischer Reflexion oder Wissens, einen „sichtbaren Erfolg“ unserer eLearning-Aktivitäten zu haben und zwingen sie dann etwas öffentlich zu machen, was Lernenden dann nur machen, weil wir es als Pflicht definieren. Ist etwas dann erfolgreich gelernt, weil wir es sehen? Ich glaube, wir müssen da sehr unterscheiden: welches Sichtbarmachen ist wirklich förderlich für den Lernprozess des Lernenden und welches Sichtbarmachen ist nur für mich als Lehrende wichtig aber nicht wirklich förderlich für den einzelnen Lernenden oder die Gruppe. Ich habe das schon oft in meinen Beratungen in Bezug auf Foren früher erlebt, die Web 2.0 Medien verschärfen das Problem: wir als Lehrende „zerren“ den Lernenden ins Scheinwerferlicht der Web 2.0 Medien, weil wir sehen und zeigen wollen, was gelernt wird und die Web 2.0 Medien uns die Instrumente an die Hand geben, die sichtbar zu machen (und sei es in der geschlossenen Gruppe des Seminars). Was passiert aber real: die Studierenden tauchen maximal lange ab und tauchen nur zu den verpflichteten Zeitpunkten ins Web 2.0 Medium auf (ich schreibe gerade an einem Artikel zur Wiki Nutzung in der Hochschullehre und auch da zeigte sich das Problem, das viele ihren in Word fertigen Artikel erst am Ende ins Wiki stellen, das kooperative Schreiben findet nur selten im Netz und wenn dann nur verpflichtet statt.) Mein Appell daher: man prüfe, wann das Sichtbar machen im Seminar wirklich wichtig ist und das heisst: lernförderlich. Ich glaube nicht, dass es per se schadet, aber es sollte nicht statfinden, nur weil wir als Lehrende jetzt mal Web 2.0 Medien ausprobieren wollen und mediengetrieben sind, sondern sich aus dem didaktischen Prozess heraus begründen, was sich gut konstruktivistisch begründen lässt z.B.:
- wann ist es lernförderlich, sichtbar machen zu lassen, was ein Lernender aus dem Gehörten (Vorlesung) macht,
- wann ist es lernförderlich, dass er/sie etwas verschriftlicht und ich als Lehrende Feedback geben kann oder die Gruppe es verarbeitet,
- wann ist es lernförderlich, dass ich sehe, wohin sich eine Gruppe in einem Projekt bewegt (z.B. durch das Sichtbarmachen von Zwischenständen und Meilensteinen
- etc.
Daher: „prüfe wer sich ewig bindet“, mein Appell: setzt Web 2.0 Medien nicht für den Selbstzweck ein, prüft, ob es dem Lernprozess wirklich dient und nicht nur uns selbst.
Unsere Eitelkeit als Lehrende
Christian Spannagel hat in diesem Kontext einen wunderbaren Beitrag auf der GML gehalten zu den Todesünden und Web 2.0 (Persönlichkeitsentwicklung im Web 2.0 – E-Learning zwischen Todsünde und Tugend?). (Abends in der Kneipe diskutieren wir unserer beider Lieblingstodsünde, die Eitelkeit ;-)) Christian bezog diese Aspekte zwar weniger auf sich als Person des Lehrenden sondern mehr auf sich als Wissenschaftler, aber ich möchte hier die Kurve machen und uns zur Reflexion als Lehrende im Web 2.0 einladen: wo machen wir etwas, weil wir etwas ausprobieren wollen, etwas sichtbar machen wollen: mein Appell: sanft mit unseren Lernenden im Web 2.0 umzugehen und sich nicht unserer selbst willen an die (uns sei es die im Seminar) Öffentlichkeit zerren. ich erfahre immer wieder: wenn ich so vorgehe, sind sie mehr als bereitwillig, ihre Ergebnisse ins Netz zu stellen, weil ich erst mal Vertrauen und eine gute Atmosphäre aufbaue und viel ins Lernklima investiere.
Unterstützung in der Selbstorganisation
Die Diskussion entspann sich hier auch am Thema der Autonomie des Lernenden und die Frage, wie viel Steuerung und wie viel Freiraum braucht es. Prof. Schulmeister und ich teilten die Erfahrung, dass Lernenden in der Erwachsenenbildung oftmals Taktung in langen online Phasen wünschen, eine Erfahrung, die er im Rahmen eines von den Teilnehmenden gewünschten Ansatzes zum forschenden Lernen im Rahmen des Master of Arts in Higher Education erlebte und die ich immer wieder im Rahmen einer 8wöchigen online Phase einer eLearning Experten-Ausbildungerlebe. Ich hatte diesen Aspekt schon mal in der Diskussion rund um „Wofür zahlen Lernende“ hier im OpenCourse eingebracht und dazu hatten wir ja auch einige Diskussionsbeiträge hier schon gehabt. Vielleicht eignet es sich auch als Thema für die nächste Woche: Qualität. Ích denke, die Lernenden zahlen in Weiterbildungskursen oftmals nicht für den Content, sondern für Taktung und Betreuung, also Unterstützung in der Selbstorganisation/Zeitmanagement – die Frage ist dann, welche Rolle dies als Qualitätskriterium in eLearning-Angeboten erhält. hier kam es zum Konsens in der Diskussion im Workshop von Petra Grell unter den Erwachsenenbildner und Betreuern langer online Phasen.
Motivation von Lernenden
Ich nehme die Teilnehmenden in der Teletutorausbildung (und auch sonst meine Teilnehmenden in der Uni, an Hochschulen usw.) allerdings hoch motiviert wahr, wenn sie online in Gruppen ein eigenes Konzept erstellen mit hohem Transfercharakter für ihre eigene berufliche Praxis. Die Motivation ist dann sogar so hoch, dass sie eher zu viel arbeiten als sie sollen – was nicht viele Lehrende auf der Tagung mit ihren Teilnehmenden so erleben. Ich würde hier irgendwie nochmals aufgreifen was Lernende motiviert und einen Versuch wagen, der Lernmotivation auf die Spur zu kommen.
Selbstreflexionsfähigkeit von Lehrenden
Die Motivation genau war dann auch Thema in meinem Track zur Medienkompetenz, wo wir in der Diskussion im Workshop nochmals auf das Thema Motivation kamen und vor allem aber die Kurve zu den Kompetenzen von Lehrenden nahmen, was sich ja auch hier in meinem Beitrag widerspiegelt: Ich halte dabei die Kompetenz zur Selbstreflexion der Lehrenden für sehr wichtig, die ja zum Glück auch im neuen hessischen Medienbildungskonzept aufgenommen wurde.
Weitere spannende Themen
Weitere spannende Themen auf der GML waren das Thema Vernetzung (Dr. Anne Thillosen, IWM), Dr. Martin Lindner mit dem Microlearning Vortrag aus dem OpenCourse, Prof. Dr. Debora Weber-Wulff zur Plagiatserkennung, Dr. Jens Bücking zu Qualität in eKlausuren, Dr. Christoph Igel zu Change Management rund um Innovationstechnologien und als Keynote Prof. Rolf Schulmeister zu kritischen Trends der Mediennutzung. Alle Vorträge stehen in Kürze auch als Videoaufzeichnungen auf der GML Webseite bereit.
2 Responses to Nachlese zur GML: Web 2.0 in der Lehre – Lernen unter Zwang … Appell: sanft zu den Lernenden sein ;-) oder: der Motivation von Lernenden auf der Spur …
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