Peter Tscherkassky (*1958 in Wien) ist ein österreichischer Avantgarde-filmregisseur. Nach dem Studium der Publizistik und Politikwissenschaft in Wien wurde er 1986 mit der Arbeit „Film + Kunst: Zu einer kritischen Ästhetik der Kinematografie“ promoviert. Zugleich entstanden erste Filme und Tscherkassky wurde als Kurator tätig. Von 1989 bis 2002 unterrichtete er künstlerische Filmgestaltung in Linz. Er ist Gründer von Sixpack Film, einer Organisation für den Vertrieb und die Verbreitung des nichtkommerziellen österreichischen Films und Autor sowie Herausgeber zahlreicher Schriften. Seine vielfach ausgezeichneten Filme (s. Filmographie) werden regelmäßig auf internationalen Festivals gezeigt. Sein letzter Film Train Again (2021) feierte 2021 in der Sektion Quinzaine des Réalisateurs auf dem Filmfestival in Cannes seine Premiere.
Literatur von/über Peter Tscherkassky
- Alexander Horwath, Michael Loebenstein (Hg.), Peter Tscherkassky, Wien 2005
- Peter Tscherkassky (Hg.), Film Unframed. A History of Austrian Avant-Garde Cinema, Wien 2012
- Alexander Horwath, Lisl Ponger und Gottfried Schlemmer (Hg.), Avantgardefilm. Österreich. 1950 bis heute, Wien 1995
- Peter Tscherkassky und Gabriele Jutz (Hg.), Peter Kubelka, Wien 1995
Peter Tscherkassky im Gespräch
Im Rahmen des Seminars „Die Eisenbahn als Motiv und Protagonist der Filmgeschichte“ (Wintersemester 2023/24, Kunstgeschichtliches Institut, Goethe Universität Frankfurt/M.) stellte sich Tscherkassky für ein Online-Gespräch mit den Seminarteilnehmer*innen zur Verfügung. Das aufgezeichnete Gespräch wird hier in Ausschnitten präsentiert (weitere Clips folgen).
Sein Film Train Again (2021) wurde innerhalb der Veranstaltung Montage, mon beau souci (15. Dezember 2023, Kunstgeschichtliches Institut, Goethe Universität Frankfurt/M.) sowie im Rahmen des Filmabends Film An – Zug Ab! (30. Januar 2024, Blauer Salon, HfG Karlsruhe) projiziert.
Train Again (2021)
Peter Tscherkassky, L’arrivée, 1997/98, 35mm, S/W, 2:09 Min.
Das strahlende Weiß einer leeren Fläche, ein dumpfes Rattern und ein schriller, beinahe schmerzhafter Ton dominieren den Beginn von Tscherkasskys L’arrivée aus dem Jahr 1997/98. Noch bevor die Bilder des wiederverwendeten Filmmaterials erscheinen, sind dessen Perforationslöcher zu sehen. Mehrere Filmstreifen derselben Szene wandern über die Bildfläche, öffnen sich wie ein Vorhang, bis sich schließlich einer der Kader mittig in den Fokus schiebt und die Sicht auf die Ankunft einer Eisenbahn im Bahnhof freigibt. Doch noch bevor sich die erste Szene weiter entfalten kann, zerfällt das Bild, Filmschnipsel überlappen, wirbeln quer durch- und übereinander, sodass kaum noch etwas zu erkennen ist.
Ein solches „Materialgewitter“[1] ereignet sich auch in Tscherkasskys neuestem Found Footage-Film.Peter Tscherkassky, Train Again, 2021, Filmtrailer
In Train Again (2021) nimmt uns die Eisenbahn als Protagonist des Films mit auf eine abenteuerliche Reise durch ihre außergewöhnliche Kinolaufbahn und veranschaulicht die unterschiedlichen Rollen, die sie dabei spielte. Vom Aufbau der Schienen, über spektakuläre Unfälle und Verfolgungsjagden, bis hin zu der Entgleisung und einem dramatischen Absturz in die Tiefe.
Einen besonderen Fokus legt Tscherkassky auf die Gefahr und Gewalt, die von der Bahnfahrt ausgeht, was insbesondere durch die rasante Geschwindigkeit der Züge und Bilder geschickt in Szene gesetzt wird. Als Mittel hierfür nutzt Tscherkassky die experimentelle Arbeit mit dem Filmmaterial, welche sich einerseits durch nahezu ikonoklastische ‚Züge‘ auszeichnet. Durch Beschädigungen an den Filmschnipseln, das bewusste Einblenden der Perforationslöcher, die „experimentelle Verwendung von Licht und Ton“[2], wie beispielsweise durch die gezielte Verwendung von Negativaufnahmen sowie einer epischen Geräuschkulisse[3], erschafft Tscherkassky andererseits eine Situation, in der das Erlebnis des analogen Films eine künstlerische Hommage erfährt.
Text: Malin Lohmann
Redaktion: Cleo Marie Timmermann und Thomas Helbig
Anmerkungen
[1] Christian Cargnelli, zit. n. https://www.tscherkassky.at/inhalt/films/dieFilme/LArrivee.html (14.11.2023).
[2] Teufel, Tina: Kunst im Lift: Peter Tscherkassky. Ballett 16, https://www.museumdermoderne.at/ausstellungen/detail/kunst-im-lift-peter-tscherkassky-ballett-16/ (14.11.2023).
[3] Den Soundtrack in Train Again verantwortet Dirk Schaefer.
Literatur
Blümlinger, Christa: Kinematografische Apparatur und technologischer Wandel, in: Stefanie Diekmann und Volker Wortmann (Hg.), Die Attraktion des Apparativen, Paderborn 2020, S. 81–94, DOI: https://doi.org/10.30965/9783846765098_007
Blümlinger, Christa: Kino aus zweiter Hand. Zur Ästhetik materieller Aneignung im Film und in der Medienkunst, Berlin 2009, inbes. S. 78–98.
Pantenburg, Volker (u. A.) im Gespräch mit Peter Tscherkassky: Kunst der Vermittlung. Aus den Archiven des Filmvermittelnden Films – Ein physisches Kino (2008), https://www.kunst-der-vermittlung.de/dossiers/filmvermittelnde-experimentalfilme/gespraech-tscherkassky/ (Stand: 14.11.2023)
Zahn, Manuel: Experimentalfilme als filmvermittelnde Filme, in: nachdemfilm.de, Nr. 13: Filmvermittlung, 2013), https://nachdemfilm.de/issues/text/experimentalfilme-als-filmvermittelnde-filme (Stand: 14.11.2023)
Ressourcen
Website des Künstlers: https://www.tscherkassky.at/
Peter Tscherkassky erklärt sein Verfahren (Auszug aus einem Fernsehbeitrag), https://www.kunst-der-vermittlung.de/dossiers/experimentalfilmvermittelnde-filme/ausschnitt-kurzschluss-tscherkassky/ (Stand: 14.11.2023)
Filmographie
Kreuzritter, 1979/80, Super 8, 15 min, Farbe, Ton Portrait, 1980, Super 8, 12 min, Farbe, Ton Rauchopfer, 1981, Super 8, 20 min, Farbe, Ton Aderlass, 1981, 16mm (S 8 blow up), 11 min, Farbe, Ton Erotique, 1982, Super 8, 1 min 40 sec, Farbe & s/w, Ton Liebesfilm, 1982, 16mm (S 8 blow up), 8 min, s/w, stumm Sechs über Eins, 1982, Super 8, 3 min, s/w, stumm Ballett N†3, 1982, 16mm, 7 min, s/w, Ton Urlaubsfilm, 1983, 16mm (S 8 blow up), 9 min 15 sec, Farbe & s/w, Ton Freeze Frame, 1983, 16mm (S 8 blow up), 9 min 38 sec, Farbe & s/w, Ton Partita, 1983, Super 8, 10 min, Farbe & s/w, stumm (lost) Miniaturen – viele Berliner Künstler in Hoisdorf 1983, Super 8, 15 min 45 sec min, Farbe & s/w, Ton Ballett 16, 1984, Super 8, 4 min, s/w, stumm Motion Picture (La Sortie des Ouvriers de l´Usine Lumière à Lyon) 1984, 16mm, 3 min 23 sec, s/w, stumm Manufraktur, 1985, 35mm, 2 min 54 sec, s/w, Ton kelimba, 1986, 16mm (S 8 blow up), 10 min, Farbe & s/w, Ton Shot-Countershot, 1987, 16mm (S 8 blow up), 22 sec, s/w, stumm Daniel Paul Schrebers Stimmvisionen and Schizo-Schreber (für Ernst Schmidt jrs. Trilogie Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken, Teil 1 & Teil 2) 1987/88, 16mm (S 8 blow up), á 4 min, Farbe & s/w Brehms tierisches Leben, 1988 , Super 8, 12 min, Farbe & s/w, Ton tabula rasa, 1987/89, 16mm (S 8 blow up), 17min02 sec, Farbe & s/w, Ton à jour, 1988/89, Super 8, 20 min, Farbe, Ton Parallel Space: Inter-View, 1992, 16mm, 18 min 20 sec, s/w, Ton Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken, Teil 3 (Regie), nach Ernst Schmidt jr. (posthum), 1993, 16mm, 30 min, Farbe & s/w, Ton Happy-End, 1996, 35mm (S 8 blow up), 10 min 56 sec, Farbe & s/w, Ton L’Arrivée, 1997/98, 35mm CinemaScope, 2 min 09 sec, s/w, Ton Outer Space, 1999, 35mm CinemaScope, 9 min 58 sec, s/w, Ton Get Ready (Viennale ’99-Trailer), 1999, 35mm CinemaScope, 1 min 04 sec, s/w, Ton Dream Work, 2001, 35mm CinemaScope, 11 min, s/w, Ton Instructions for a Light and Sound Machine, 2005, 35mm CinemaScope, 17 min, s/w, Ton Nachtstück (Nocture), 2006, 35mm, 1 min, s/w, Ton Coming Attractions, 2010, 35mm, 25 min, s/w, Ton The Exqusite Corpus, 2015, 35mm, 19 min, s/w, Ton Train Again, 2021, 35mm, 20 min, s/w, Ton |