Extensive Reading

Was ist Extensive Reading?

Hintergründe und Definition

Annika Kreft

 

Extensive reading gehört neben intensive reading, skimming zur globalen Texterfassung und scanning zur schnellen Informationsbeschaffung zu den vier Lesestrategien im Englischunterricht. Soll Ersteres charakterisiert werden, so kann dies beispielsweise durch Kontrastierung mit intensive reading erfolgen (vgl. Surkamp/Yearwood 2018: 105f.; Hedge 2000: 202). Intensive reading und extensive reading sollten jedoch nicht als gegensätzlich betrachtet werden. Vielmehr ergänzen sie sich, indem sie unterschiedliche Ziele verfolgen und komplementäre Bereiche abdecken (vgl. Renandya/Jacobs 2002: 296): Das intensive reading beinhaltet das Arbeiten mit kurzen Texten unter Anleitung der Lehrperson. Hierbei sollen detaillierte Textinformationen herausgefiltert, Lesestrategien gebildet sowie Grammatik- und Vokabelwissen gefördert werden (vgl. ebd.; Surkamp/Yearwood 2018: 106). Um die so trainierten Strategien losgelöst von Schulbuchtexten auf eine größere Anzahl von Materialien anzuwenden, ist extensive reading vonnöten (vgl. Hedge 2000: 202).

Die Geschichte des extensive reading geht bereits bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück. Im Jahr 1917 prägte Harold Palmer den Begriff des „extensive reading“ für sein Buch The Scientific Study and Teaching of Languages (vgl. Howatt/Widdowson 2004: 270ff.; Day/Bamford 1998: 5). Nach Palmer beinhaltet dieser Begriff das schnelle Lesen von Büchern, wobei nicht die Sprache, sondern der Buchinhalt im Mittelpunkt steht. Im Zuge dessen zielte auch sein Konzept auf die Freude am Lesen ab, indem „real-world reading“ (Day/Bamford  1998:  5) für pädagogische Zwecke genutzt wurde. Als einer der bekanntesten internationalen Vertreter auf dem Gebiet des extensive reading gilt Stephen D. Krashen. Er greift das Konzept in seinem Buch The Power of Reading (2004; 1993) unter dem Namen „free voluntary reading“ (FVR) auf.

Im Rahmen unseres Lesekoffer-Fortbildungsprogramms beziehen wir uns auf die Definition von Hedge (2000:202), die extensive reading folgendermaßen definiert.


Extensive reading is

  • reading of large quantities of longer texts,
  • reading consistently over time,
  • primarily for pleasure or interest,
  • during class time but also engaging in individual independent reading at home,
  • often of self-selected material.

Day und Bamford (1998: 7f.) führen in ihrem Buch Extensive Reading in the Second Language Classroom darüber hinaus die zehn wichtigsten Charakteristika eines freien Leseprojekts in Listenform an. Insbesondere der fünfte Punkt rückt mit „Reading as its own reward“ das Lesen an sich in den Vordergrund (ebd.: 8). Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass Schülerinnen und Schüler (SuS) während der Durchführung des Programms so viel wie möglich lesen sollen. Dies schließt sowohl das Lesen innerhalb als auch außerhalb des Klassenraums mit ein. Die SuS entscheiden, welche Materialien sie lesen möchten und wann sie damit aufhören, falls das Thema beziehungsweise der Inhalt ihre Erwartungen doch nicht erfüllt. Die Teilnehmenden lesen leise für sich und ihrem eigenen Tempo angemessen. Eine möglichst große und somit viele Interessen abdeckende Bandbreite an Themen sollte durch das ausgewählte Material angeboten werden. Der Lesestoff muss dabei die Mädchen und Jungen thematisch ansprechen und mit ihrem sprachlichen Niveau – Wortschatz, Wissen über grammatische Strukturen, u. ä. – übereinstimmen. So ist der Lesefluss tendenziell schneller, da die Lernenden Bücher und Materialien lesen, die ihrer Meinung nach einfach(er) zu verstehen sind. Wörterbücher stehen zwar während des Programms zur Verfügung, sie sollen jedoch nicht ständig verwendet werden, um den gewünschten Lesefluss nicht zu stoppen (vgl. ebd.: 93f.). Nur wenn durch das Material die Interessen der Rezipientinnen und Rezipienten vertreten werden, können die natürlichen Beweggründe für das Lesen, die Day  und Bamford (ebd.: 8) unter „pleasure, information, and general understanding“ zusammenfassen, erfüllt werden. Die Lehrperson führt die Lerngruppe in das extensive reading-Programm ein. Sie erklärt die Ziele und die Vorgehensweise, notiert, wer welche Bücher liest, und hilft den SuS, so viel wie möglich für ihre zukünftige Lesekarriere aus dem Programm mitzunehmen. Generell kommt der Lehrperson eine Vorbildfunktion zu, da sie sich als aktiver Leser präsentiert und die damit einhergehenden Vorteile aufzeigt.

 

WARUM EXTENSIVE READING FÖRDERN?


I will not claim that FVR is the complete answer. Free readers are not all guaranteed admission to Harvard Law School. What research tells me is that if children or less literate adults start reading for pleasure, however, good things will happen. (Krashen 1993: X)


Verschiedene Studien zeigen positive Effekte von extensive reading-Programmen auf Lernende. Einige dieser Studien wurden in Asien durchgeführt und untersuchten den Effekt von extensive reading auf das Lesen in Englisch als Muttersprache (L1), als Zweitsprache (L2) sowie in Universitätskursen. An jenen groß angelegten Studien aus den 1980er und 1990er wird sich bis heute orientiert. Im Laufe der vergangenen Dekade wurden zudem zunehmend die Effekte von extensive reading auf Fremdsprachenlernerinnen und -lerner untersucht. Folgende Ergebnisse können hinsichtlich extensive reading-Programmen festgehalten werden:

  • eine positive Haltung zum Lesen (Kreft/Viebrock 2014; Takase 2009; Biebricher 2008; Tanaka/Stapleton 2007; Mason/Krashen 1997; Lai 1993; vgl. Briggs/Walter für einen weiterführenden Überblick),
  • eine Verbesserung im Leseverstehen und der Leseschnelligkeit (Biebricher 2009; Takase 2009; Tanaka/Stapleton 2007; Mason/Krashen 1997),
  • eine Verbesserung der Schreibkompetenz (Lai 1993),
  • ein besseres Abschneiden in Tests (Biebricher 2009; Elley/Mangubhai 1996),
  • sowie positive Effekte auf globales und transkulturelles Lernen (Schaidt 2018).

Auf nationaler Ebene gibt es in Deutschland bereits Forschungsprojekte zu extensive reading-Programmen (vgl. Schaidt 2018; Kreft/Viebrock 2014; Hesse 2009; Biebricher 2008; Hermes 2009). Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass insbesondere in den Englischunterricht der Sekundarstufe I kaum freie Leseprojekte integriert werden (vgl. Appel 2009: 63; Hermes 2009: 21).

Zusammenfassend betonen die Studien die Vorteile, welche extensive reading im Gegensatz bzw. ergänzend zu anderen Unterrichtsmethoden haben kann. Die eher ‚informelle‘ Atmosphäre im Zuge solcher Projekte, die keine vorgegebene Anzahl an zu lesenden Büchern oder benotete Tests beinhaltet, führt zu einer positiven Haltung der Lernenden gegenüber dem Lesen und fördert, insbesondere bei schwächeren SuS, deren intrinsische Motivation. Da motivationale, soziale und kognitive Aspekte das Lesen wechselseitig beeinflussen (vgl. „The ‘triangle of reading‘“, Kreft/Viebrock 2014: 74), können positive Effekte ebenfalls in angrenzenden Kompetenzbereichen festgestellt werden. In diesem Zusammenhang weist Krashen (2004: 23) auf Folgendes hin:


Reading is good for you. The research supports a stronger conclusion, however: Reading is the only way, the only way we become good readers, develop a good writing style, an adequate vocabulary, advanced grammar, and the only way we become good spellers. Hence, ER programmes do not only affect reading but also related skills, and may positively influence participants’ reading motivation, if the material is adapted to the learners’ needs and an appropriate institutional context is provided.


 

(WEITERFÜHRENDE) LITERATUR

Appel, Joachim (2009). Fremdsprachendidaktische Positionen zum Lesen von Literatur. In: Jan Hollm (Hrsg.), Literaturdidaktik und Literaturvermittlung im Englischunterricht der Sekundarstufe I (S. 63-74). Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier.

Biebricher, Christine (2009). Extensives Lesen auf Englisch: Theoretische Grundlagen und praktische Auswirkungen im Rahmen eines extensiven Leseprojekts. In: Jan Hollm (Hrsg.), Literaturdidaktik und Literaturvermittlung im Englischunterricht der Sekundarstufe I (S. 89-109). Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier.

Biebricher, Christine. (2008). Lesen in der Fremdsprache. Eine Studie zu Effekten extensiven Lesens. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag.

Briggs, Jessica / Walter, Catherine (2016). Read On! Extensive Reading and Young Second Language Learners’ Motivation and Attitudes. Oxford University Press. Online: https://www.researchgate.net/publication/301453032_Read_On_Extensive_Reading_and_Young_Second_Language_Learners‘ _Motivation_and_Attitudes.

Day, Richard / Bamford, Julian (1998). Extensive reading in the second language classroom. Cambridge [u.a.]: Cambridge University Press.

Elley, Warwick B. / Mangubhai, Francis (1981). The impact of a Book Flood in Fiji Primary Schools. Wellington: New Zealand Council for Educational Research and Institute of Education, University of South Pacific.

Hedge, Tricia (2000). Teaching and Learning in the Language Classroom. Oxford: Oxford University Press.

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Henseler, Roswitha / Surkamp, Carola (2009). O This Reading, What a Thing It Is! – Lesekompetenz in der Fremdsprache Englisch fördern. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 43 (100/101), 4-10.

Hermes, Liesel (2009). ‘Reading can be fun if …’: Lektüren in der Sekundarstufe I. In: Jan Hollm (Hrsg.), Literaturdidaktik und Literaturvermittlung im Englischunterricht der Sekundarstufe I (S. 7-22). Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier.

Hermes, Liesel (2010). Mit simple novels ans Lesen heranführen. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 107, 44-47.

Hesse, Mechthild (2016). The English Teacher‘s Handbook of Youth Literature. Why, what and how to read in the classroom. Stuttgart: Klett.

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Howatt, Anthony P. R. / Widdowson, Henry G. (2004). A History of English Language Teaching. 2nd edition. Oxford: Oxford University Press.

Krashen, Stephen (2004). The Power of Reading. Insights from the Research (2nd ed.). Englewood, Colorado: Libraries Unlimited, Inc.

Krashen, Stephen (1993). The Power of Reading. Insights from the Research. Englewood, Colorado: Libraries Unlimited, Inc.

Kreft, Annika / Viebrock, Britta (2014). To read or not to read: Does a suitcase full of books do the trick in the English language classroom? CLELEjournal 2 (1), 72-91.

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Schaidt, Stefanie (2018). Ugandan children’s literature and its implications for cultural and global learning in TEFL. An Extensive Reading Project Study. Tübingen: Narr Francke Attempto.

Surkamp, Carola / Yearwood, Tanyasha (2018). Receptive Competences – Reading, Listening, Viewing. In: Carola Surkamp / Britta Viebrock (Eds.), Teaching English as a Foreign Language. An Introduction (pp. 89-108). Stuttgart: Metzler.

Takase, Atsuko (2009). The effects of SSR on learners’ reading attitudes, motivation, and achievement: A quantitative study. In: Andrzej Cirocki (Ed.), Extensive Reading in English Language Teaching (pp. 547-560). Munich: Lincom Europa.

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