von Julian Junk
Wer in den letzten Monaten die Zeitungen aufschlug, kam um Hiobsbotschaften über den Zustand des Euros und Europas nicht herum. Von Hilferufen diverser peripherer Mitgliedsstaaten war allerorten die Rede, gar vom Auseinanderbrechen der Gemeinschaftswährung. Die Regierungsspitzen, den Marktmechanismen scheinbar hilflos ausgeliefert, beraten sich auf Krisengipfeln, beginnend mit dem ersten Sondergipfel zur Eurokrise am 11. Februar. Rettungsschirme überall, die dann zu klein sind für die Menge an Mitgliedsstaaten, die man spekulativ noch darunter verorten könnte. Hermann von Rompuy sieht die EU gar in einem Überlebenskampf [Quelle].
Diesem elitären Krisendiskurs steht eine auch nur teilweise gelassene Öffentlichkeit gegenüber: zwar stehen 60% der Deutschen zum Euro und 76 Prozent sind mit ihrer privaten und beruflichen Situation zufrieden. Allerdings wünschen sich 49 Prozent der Menschen mit niedriger Bildung die D-Mark zurück (Menschen mit hoher Bildung sind zu 80 Prozent gegen eine Wiedereinführung der alten Währung) [Quelle]. Ein düstereres Bild zeichnet eine Emnid-Umfrage ebenfalls von Anfang Dezember, die den Euro in einer Vertrauenskrise sieht: 54 Prozent hätten ein sehr geringes oder ein eher geringes Vertrauen in die Zukunft der europäische Währung [Quelle].
Auch die Wirtschaft ist mittlerweile in Alarmstimmung: laut Ernst & Young fürchten 61 Prozent der befragten 700 Unternehmen, dass die Schuldenkrise den Aufschwung in Gefahr bringen könnte, im September seien es nur 35 Prozent gewesen [Quelle] - die Welt spricht gar von einem „Virus ohne Gegenmittel“ [Quelle].
Hat das Krisenmanagement der Bundesregierung versagt? Betrachtet man die politischen Ergebnisse der letzten EU Gipfel sowie die formulierten Erwartungshaltungen, so muss man diese Frage verneinen. Die deutsche Bundesregierung setzte es sich beispielsweise zum Ziel, eine Änderung der EU-Verträge herbeizuführen, um einen dauerhaften Rettungsmechanismus rechtlich so zu verankern, dass er potentiell auch vor dem Bundesverfassungsgericht bestand hat. Sie setzte sich damit beharrlich und mit nur wenigen Kompromissen gegenüber einer Mehrzahl von skeptischen EU Mitgliedsländern durch. Ähnlich durchsetzungsstark war sie in der Konditionierung der Kredite für Griechenland und, aktuell, in der Ablehnung europäischer Anleihen, der sogenannten „Euro-Bonds“. Aber politische Verhandlungen, hastige Notreparaturen und grundlegende Verrechtlichungen sind in einer solchen Situation nur die eine Seite. Denn zumeist handelte es sich in Wahrheit weniger um ein Bedrohungs- denn ein Risikomanagement und hier kommt der öffentlichen Kommunikation eine größere Bedeutung zu, da stärker mit Wahrscheinlichkeiten und Komplexitäten operiert wird. Unter einem Risiko versteht man die Wahrscheinlichkeit eines durch gegenwärtiges Handeln beeinflussbaren zukünftigen Schadens (siehe Daase 2002 Internationale Risikopolitik). Zentral ist hier das Erwartungsmanagement, die Risikokommunikation, um Vertrauen in öffentlichen Diskursen zu generieren, Unsicherheiten abzubauen und somit die Basis für politische Legitimität zu legen (siehe u.a. Renn 2008 Risk Governance. Coping with Uncertainty in a Complex World). Eine Risikokommunikation ist nie eine Einbahnstraße. Die Wirksamkeit von Kommunikations-Frames bemisst sich auch immer darüber, ob sie inhaltlich wie zeitlich auf einen fruchtbaren Resonanzboden fallen.
Wieso aber stellt sich kein Erfolgserlebnis ein, wie etwa im Falle der deutschen Garantie aller Einlagen nach der Lehman-Pleite? Bundeskanzlerin Merkel jedenfalls betont die Sicherheit der Gemeinschaftswährung in jeder Regierungserklärung. Drei Gründe lassen sich dafür identifizieren:
Erstens ist das Risiko diffuser und schwerer greifbar, denn die Folgen werden erst in einigen Jahren in Deutschland unmittelbar zu spüren sein, wenn die gewährten Kredite nicht mehr bedient werden und die gegebenen Bürgschaften in realen Verlusten münden könnten. Für die deutschen Urängste eines weichen Geldes und galoppierender Inflation gibt es ebenso wenig Anzeichen wie für Refinanzierungsprobleme deutscher Staatsschulden, auch wenn die Zinsen auch für deutsche Staatsanleihen zuletzt anstiegen (Anfang Dezember blieb das Schuldenmanagement der Bundesregierung selbst schon drei Mal bei einer Aktion von Bundespapieren ohne genügend Gebote). Zudem überlagert die schnelle Erholung der deutschen Wirtschaftsleistung unmittelbare Krisensymptome.
Zweitens ist eine offensichtlich bewusste Schwerpunktsetzung von Seiten der Bundesregierung auf die europapolitischen, durchaus öffentlich ausgetragenen Aushandelungsprozesse beobachtbar. Nicht nur der frühere Bundeskanzler findet dieses Vorgehen im Sinne einer Beruhigung der Finanzmärkte „nicht sehr geschickt“ [Quelle].
Drittens und damit unmittelbar zusammenhängend herrscht eine erhöhte Kommunikationskomplexität, da zumindest drei Öffentlichkeiten mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen bedient werden mussten: die nationale Öffentlichkeit und ihren Wunsch nach einem möglichst geringen kurzfristigen deutschen Engagement (überspitzt zusammengefasst durch die Bildzeitung und ihrer an Populismus kaum zu überbietenden Überschrift „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen...und die Akropolis gleich mit!“), die der anderen 26 EU Regierungen angesichts einer Logik nationaler Interessendurchsetzung in bevorstehenden Verhandlungen sowie die der internationalen Finanzmärkte, die nach strukturellen Veränderungen und langfristigen Investitionssicherheiten verlangten. Eine Kakophonie war die Folge. Beispielsweise forderte Bundeskanzlerin Merkel zunächst öffentlich einen Automatismus bei der Bestrafung von Defizitsündern, um dann bei einem Treffen mit dem französischen Staatspräsidenten Sarkozy im Seebad Deauville in der Normandie am 18./19. Oktober 2010 zurückzurudern. Doch nicht nur die Gegebenheit sorgte in Deauville für eine Verunsicherung der Finanzmärkte. Bei diesem Zweiergipfel wurde die Beteiligung privater Gläubiger, wie Fonds und Banken, bei einer drohenden Umschuldung von Ländern erstmals öffentlich auf eine Tagung thematisiert und die französische Regierung schien hier auf die Linie der deutschen Regierung einzuschwenken. Diese Forderung der Einbeziehung private Gläubiger blieb jedoch unspezifisch. In der Folge stiegen die Risikoaufschläge für die Schuldenstaaten steil an. Dieser, von den Medien schnell „Merkel-Aufschlag“ genannte Zinssprung betrug innerhalb eines Tages für Griechenland 38 Prozent, für Irland 65 Prozent und für Portugal 31 Prozent [Quelle]. Einige Wochen später sorgte auch Bundesbankpräsident Weber für einige finanzpolitische Verwirrung, indem er seinen Zweifel an der Größe des Rettungsschirms bekräftigte [Quelle].
Es bleibt festzuhalten, dass der Mut zu einer stringenten Risikopolitik politischen Opportunitäten nur allzu schnell geopfert wurde. Risikokommunikation im Falle der Eurokrise ist aber ein komplexes Unterfangen, da drei unterschiedliche, sich widersprechende Resonanzböden bedient werden müssen. Eine stärkere Ausbalancierung dieser drei scheint aber vonnöten zu sein und der Rückzug der europäischen Regierungskakophonie hinter verschlossene Türen. Nur so lässt sich das Vertrauen der Finanzmärkte und der nationalen Öffentlichkeit durch langfristige Lösungen wiedergewinnen und die Risiken für die Gemeinschaftswährung minimieren.