von Stefan Engert
"Aber bitte mit Sicherheit!" - und nicht mehr mit Sahne - müsste Udo Jürgens heutzutage eigentlich singen, denn das Etikett Sicherheit wird gerade im Globalisierungszeitalter sehr schnell auf viele low politics-Themen gepackt. Deren potenzielle Problemlösung, so die nachfolgende Argumentation, könnte ohne das high politics-Upgrade - also die Bedeutungsverschiebung in die Nähe des Bereichs militärischer, das staatliche Überleben gefährdender Bedrohungen –, vielleicht effektiver und/oder legitimer von statten gehen.
Die aktuelle National Security Strategy der USA ist dafür ein vitales Beispiel, indem sie z. B. Gesundheitsbedrohungen ganz offiziell einen substanziellen Sicherheitsstatus zuweist: "Pandemic disease[s] threaten the security of regions and the health and safety of the American people". [Quelle] Warum aber mit dem Sicherheitsupgrade nicht alles besser wird, kann man gut im Bereich der internationalen Pandemieprävention zeigen. Der Beitrag versteht sich als ein normatives Plädoyer gegen zu viel Sicherheit und möchte mit den folgenden zwei Punkten zum Nachdenken anregen.
Legitimitätsproblematik: Als die Infektionskrankheit SARS 2003 in Singapur ausbrach – von 206 festgestellten Infektionsfällen starben letztendlich 32 –, hat die dortige Regierung bzw. das Ministerium für Gesundheit am 24. März den sogenannten Infectious Diseases Act verabschiedet. Die Maßnahmen beinhalteten eine 10-Tage-Quarantänepflicht (zuhause) für alle Personen, die mit SARS-Patienten Kontakt hatten sowie eine 21-Tage-Quaratänepflicht für SARS-Patienten, die aus dem Krankenhaus entlassen wurden. Die Anwesenheit letzterer wurde per Telefon durch zufällige Kontrollanrufe sowie einem permanenten Kamera-Monitoring der Eingangstür von einer private Sicherheitsfirma überwacht. Verdächtige, die die Quarantäne nicht einhielten oder drei Mal telefonisch nicht erreichbar waren, bekamen elektronische Fußfesseln. Zudem konnten massive Bußgelder ohne vorhergehendes Gerichtsverfahren verhängt werden. Obwohl man nun entgegnen könnte, dass Singapurs parlamentarisches System einige autoritäre Elemente enthält, hat das demokratische Kanada ebenfalls Zwangsgelder sowie (allerdings) eine durch richterlichen Beschluss erlassene Zwangsisolierung für Quarantänebrecher verhängt. Zudem hat Singapur die Grenzen geschlossen und mittels Thermalscanner Ein- und Ausreisende an allen noch offenen gelassenen Grenzübergängen auf Fieberverdacht kontrolliert und entsprechende Ein- oder Ausreiseverbote ausgesprochen.
"Natürlich" haben Staaten die Pflicht ihre Bevölkerungen zu schützen. "Natürlich" war die SARS-Krise ein Ausnahmezustand, in dem schnelles Handeln geboten war, um größeren Schaden (Handels-, Reiseverkehr- und Tourismusausfälle, Erkrankung großer Teile der Arbeitnehmerschaft und dadurch bedingte Produktionsausfälle) zu verhindern. "Natürlich" kann es einen trade-off zwischen legitimen und effektiven Handeln geben. Die Frage ist nur: Wer ist dazu legitimiert über den Ausnahmezustand entscheiden? Und wie schnell oder massiv dürfen Bürger-, Menschen- und Freiheitsrechte zur Eindämmung der (von wem eigentlich?) festgestellten Gefahr eingeschränkt werden? Vielleicht gäbe es dem Bürger als permanentes Referenzobjekt von Sicherheit ja "mehr Sicherheit", wenn in dieser Grauzone nicht nur Exekutivorgane oder Ministerialbürokratien allein entscheiden dürften.
Effektivitätsproblematik: Im Jahr 2007 hat die indonesische Regierung ihre Zusammenarbeit mit der WHO aufgekündigt. In Indonesien aufgefundene Vogelgrippevirusstämme werden nicht mehr mit der internationalen Staatengemeinschaft geteilt. Das von der WHO ins Leben gerufene Global Influenza Surveillance Network ist eine internationale Plattform zum Sammeln aller Art von Viren, um präventiv Impfstoffe und Medikamente für den Fall einer Pandemie (vor-)entwickeln zu können. Der Vorwurf der indonesischen Regierung und von Gesundheitsministerin Siti Fadilah Supari ist, dass das Netzwerk ein unfaires Kooperationsinstrument ist, von dem die Länder der Ersten Welt einseitig als Informationsnehmer profitieren: Sie bekämen umsonst Virenproben und -sequenzen, mit denen sie Impfstoffe und Medikamente entwickeln könnten. Diese würden sie dann den Virengeberländern der Dritten Welt – aufgrund der klimatischen Bedingungen und schlechteren Gesundheitsinfrastruktur zumeist stärker von Pandemien betroffen – teuer verkaufen können. Die dazu nötigen Sicherheitslabors sowie das technische Know-how, um selbst marktfähige Impfstoffe zu entwickeln, fehlen den betroffenen Ländern.
Der tropische Regenwald ist mit seinen feucht-heißen Klimabedingungen das größte Erregerreservoir weltweit: Ca. 80% aller Mikroorganismen leben in den Urwäldern der Tropen, was nach der oben dargestellten Logik ein großer Standortvorteil von Entwicklungsländern bzw. im konkreten Fall für das Land Indonesien ist. Neben der sicherlich gerechtfertigten Grundsatzkritik bezüglich der oftmals fehlenden Reziprozität in Fragen der Nord-Süd-Kooperation allgemein sowie speziell in Gesundheitsfragen, zeigt der indonesische Fall aber vor allem, dass Staaten Viren nicht mehr nur als potenzielle Gesundheits- und kollektive Wohlfahrtsschädlinge begreifen, sondern auch als exklusiven, nationalen Rohstoff zum Erzielen von Handelsgewinnen durch Impfstoffproduktion. Wenn Supari dann noch den USA vorwirft, sie würden aus indonesischen Stämmen in Los Alamos Biowaffen herstellen [Quelle], hat das Sicherheitslabel dazu beigetragen, die Welt etwas unsicherer zu machen und internationale Lösungskooperationen für globalen Risiken zu erschweren. Das wäre im low politics-Bereich "mit Sicherheit" nicht passiert – oder?!