Wie wichtig sind Offline-Aktivitäten für Blogs? Das Ergebnis des Workshops, zu dem das Team des Theorieblogs am 9. April an die Humboldt-Uni eingeladen hatte, war eindeutig: Offline ist – trotz aller Blogeuphorie – unersetzbar.
Rund 15 BloggerInnen (plus sieben TheoriebloggerInnen) folgten der Einladung, sich über das eigene Tun auszutauschen und sich nicht nur virtuell, sondern auch ganz klassisch zu vernetzen. Drei thematische Blöcke
1) Was macht einen guten Blogbeitrag aus?
2) Blogs und ihre Leser
3) Blogs und Öffentlichkeit
strukturierten den Tag. Doch in den Diskussionen zeigte sich schnell, dass die drei Themen kaum voneinander zu trennen sind und um eine übergreifende Fragestellung kreisen: Wie verorten sich (Wissenschafts-)Blogs im Spannungsfeld von Wissenschaft und Öffentlichkeit, wie und mit welchem Ziel bloggen wir?
Blogs zwischen Wissenschaft und politischem Kommentar
Das geteilte Bedürfnis nach Selbstvergewisserung förderte jedoch ganz unterschiedliche Haltungen und Perspektiven zu Tage. Die eigene Verortung zwischen wissenschaftlichem und öffentlichem Diskurs wurde unterschiedlich definiert. Ulrike Spohn(Theorieblog) eröffnete den ersten Part mit dem Vorschlag, wissenschaftliches Bloggen als wissenschaftsaffines Bloggen zu begreifen und dabei sehr bewusst zwischen der eigenen Rolle als WissenschaftlerIn und BloggerIn zu unterscheiden. Sie plädierte dafür, Wissenschaftsblogs nicht als Plattform zur Veröffentlichung wissenschaftlicher Texte im Internet zu verstehen, sondern als Chance, das anspruchsvolle Schreiben jenseits wissenschaftlicher Standards zu erproben. Dabei könne und solle es durchaus das Ziel eines Wissenschaftsblogs sein, zwischen wissenschaftlicher Strenge und essayistischer Kreativität zu vermitteln, doch das funktioniere nur, solange die Welten getrennt blieben.
Max Steinbeis (Verfassungsblog) unterstützte dieses Trennungsgebot, machte sich aber für die Brückenfunktion von Blogs stark. Das freiere und kreative Schreiben könne durchaus einen direkten Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt leisten. Als Bild: Blogs verhielten sich zur Wissenschaft womöglich so wie das Gespräch in der Hotelbar zum eigentlichen Geschehen im Rahmen einer Konferenz. Andersherum könnten Blogs jedoch auch von der Wissenschaft in die Öffentlichkeit hinein wirken und wissenschaftliches Expertenwissen für eine breitere Öffentlichkeit übersetzen und so verfügbar machen. Eine wieder andere Position vertrat Leonhard Dobusch (governance across borders) : Das Schaffen von/Hineinwirken in Öffentlichkeit sei nicht unbedingt ein notwendiges Ziel eines Wissenschaftsblogs. Wissenschaftsblog könnten auch einfach dazu da sein, die eigenen Gedanken zu erproben und damit einem rein innerwissenschaftlichen Ziel folgen. Wünschenswert sei demnach eine Vielfalt der Formate auch innerhalb des Genres Wissenschaftsblogs.
Zur Systematisierung kann eine Typologie beitragen, die Cord Schmelzle und Daniel Voelsen (beide Theorieblog) anhand von Blogs in der Politischen Theorie vorstellten. Sie unterscheiden drei Idealtypen von Wissenschaftsblogs – 1) Wissenschaftliches Feuilleton (à la Crooked Timber), 2) Dienstleistungsblog (à la Pea Soup), 3) „bewusst persönlich gehaltenes“ Tagebuch (à la The Philosophy Smoker). Der Theorieblog selbst stellt hierbei eine Mischform dar, wie Cord weiter ausführte.
Blogs in der Fachdiskussion
Noch werden Blogs in den wissenschaftlichen Disziplinen wenig beachtet - zumal im deutschsprachigen Raum, dessen Blogger mit gutem Grund oft neidisch über den Atlantik schielen. Die Blogs sind vor allem nicht etabliert genug und die Skepsis überwiegt bisher: Blogs gelten, auch wegen eines fehlenden Standardverfahrens zur Sicherung der wissenschaftlichen Güte, (noch) nicht als zitierwürdig. Das ist einerseits vielleicht auch gar nicht unbedingt das Ziel, denn die Etablierung von Blogs als zusätzlicher, freierer Ebene des Wissenschaftsdiskurses würde möglicherweise eher gehemmt als gefördert, wenn jeder gebloggte Gedanke mit den gleichen wissenschaftlichen Maßstäben gemessen würde wie regulär Publiziertes. Andererseits: Solange Blogs in keiner anerkannten Form als wissenschaftliche Quelle dienen können, besteht ein gravierendes Problem für Wissenschaftsblogger. Die gebloggten Gedanken und Erkenntnisse sind gewissermaßen vogelfrei, da sie unkontrolliert von Dritten geentert und als eigene ausgegeben werden können. Einig war man sich darin, dass die Situation nur verbessert werden kann, indem auf längere Sicht das Vertrauen in die Qualität von Wissenschaftsblogs gestärkt wird. Schwieriger war jedoch die Frage zu beantworten, welche Möglichkeiten wir haben, dieses Vertrauen – der etwa durch Varianten eines „Gütesiegels“ – zu erzeugen. Die meisten dahingehenden Vorschläge, wie etwa ein Peer-Review-Verfahren, stellten sich als problematisch und kaum umsetzbar heraus – letzteres müsste zum Beispiel eine ohnehin oft mangelhafte Technik des Wissenschaftsbetriebs in eine völlig anders funktionierende Arena zu übertragen versuchen. Realisierbarer erscheint es, Vertrauen durch ein dem Medium Internet entstammende Praxis zu erzeugen: durch, wie könnte es anders sein, Vernetzung befreundeter und vertrauenswürdiger Blogs. Das gegenseitige Lesen und Kommentieren in einem Netzwerk aus Wissenschaftsblogs käme dann in gewisser Hinsicht auch einem Peer-Review-Verfahren nahe, ohne die Vorteile größerer Freiheit und höherer Geschwindigkeit zu opfern.
Blogs und Gegenöffentlichkeit
Können Blogs Gegenöffentlichkeit erzeugen und wie gelingt dies? Die Einschätzungen der versammelten BloggerInnen waren hier in der Regel positiv und optimistisch. Gerade Blogs seien viel besser dazu geeignet, die Öffentlichkeit zu erreichen als etwa ein kritischer Kommentar in einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Dies liege zum einen daran, dass wissenschaftliche Artikel einer breiten Öffentlichkeit nicht zugänglich seien, zum anderen daran, dass Fachjargon und disziplinäre Diskussionen in der Regel für „Laien“ unverständlich bleiben würden. Kritik und Meinungsbildung seien jedoch ohne den Faktor Öffentlichkeit kaum zu denken, ergänzte Ulf Buermeyer (Ijure).
Jens Olesen (Theorieblog) versprach sich vom Bloggen etwa die Wiederbelebung des philosophischen Essays als freier Form niedergeschriebenen Denkens, in Abgrenzung vom starren Korsett wissenschaftlichen Schreibens. Blogs erlauben es nicht nur, freier und kreativer zu schreiben, sondern auch, Wissenschaft als „Lebensform jenseits von Verwertungszwängen“ zu verwirklichen, wie Elmar Diederichs (Mind at Work) betonte. Er wandte sich aber gegen einen feuilletonistischen Stil.
Mut zur spitzen Feder zu beweisen, lautete auch die Aufforderung von Max Steinbeis (Verfassungsblog) und Nikola Richter und Rery Maldonado (von den Los Superdemokraticos). Blogs können und sollen Diskussion anregen, Gespräche entstehen lassen und Ideen hervorbringen – und stellen so Ressourcen bereit, die die Wissenschaft benötigt, aber nicht immer, und vielleicht nicht schnell genug, aus sich selbst heraus erzeugen kann. Gerade im Vermögen von Blogs, zeitnah auf aktuelle und relevante Themen einzugehen, ohne notwendigerweise unterkomplex oder verflachend über sie zu sprechen, könnte deren Beitrag nicht nur zu Wissenschaft, sondern zur öffentlichen Debatte liegen.
Das klingt als Anspruch wunderbar, ist jedoch nicht immer ganz so einfach einzulösen, wie die Erfahrung von Los Superdemokraticos, einem internationalen Blogprojekt, zeigt. Hier wird versucht kulturelle und sprachlichen Hürden vor allem zwischen deutschen und südamerikanischen LeserInnen zu überwinden und somit eine interkulturelle Öffentlichkeit für die vom Blogprojekt publizierten Texte zu schaffen (die mittlerweile sogar in Buchform veröffentlicht sind).
In diesem Zusammenhang drängte sich die Frage auf, was eigentlich Öffentlichkeit erzeuge und woran hier Erfolg ablesbar sei. Die direkte LeserInnenbeteiligung über die Kommentarfunktion wurde hier als ein gängiges Mittel diskutiert und problematisiert. Denn auch hier bietet sich weitestgehend unbekanntes Terrain, da es für den Prozess der teils schnellen Einbindung, kaum erprobte Standards gibt und die Kategorien von genuiner Autorschaft oder intervenierender Co-Autorschaft durch neue Praxen geprüft werden müssen.
So waren es am Ende zwei große Hoffnungen, die am Workshophorizont auftauchten: Die eine lautet, durch das Bloggen wissenschaftliches Schreiben, Publizieren und Kooperieren verändern, verbessern und wiederbeleben zu können. Die andere bewegt sich über den Rand der Wissenschaft hinaus und zielt darauf ab, einen neuen Ort für kritisches Engagement zu erschaffen. Das sind große Ansprüche und ein Workshop kann diese natürlich nicht einlösen, nur aufwerfen.
Befreundete Blogs in den Sozialwissenschaften
Und weil jede Revolution – auch eine kleine – einer guten Organisation bedarf, schloss die Tagung mit einer Runde zur künftigen Zusammenarbeit. Ins Auge gefasst ist eine Vernetzung sozialwissenschaftlicher Blogs: zur Schaffung von kritischen Öffentlichkeiten und als Instrument zur (Weiter-)Entwickung genuin wissenschaftlicher Arbeitsformen. Wenn dies gelingt, berichten wir bald mehr davon. Dieser gemeinschaftlich verfasste Tagungsbericht darf dabei durchaus als erster Schritt in diese Richtung gelesen werden.
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