Spundekäs’ statt Salat

Verantwortungsbewusste Risiko-Kommunikation am Beispiel der EHC-Epidemie

von Stefan Engert

So... jetzt also auch noch das so gesunde Gemüse. Nach Salmonellen in Geflügel, Glykol im Wein, Würmer in Fischen, Pestiziden im Tee, Schweinemast, Gammelfleisch, Dioxin in Eiern, Nitrofen in Futterweizen, HCH in Milch und BSE in Rindfleisch der nächste Lebensmittelskandal: Der Darmkeim EHEC kontaminiert frisches Gemüse und Blattsalate. Da stellt sich doch die Frage, was man heutzutage überhaupt noch essen kann, was nicht ausschließlich aus dem eigenen Garten kommt.

An Nierenversagen wollte ich gestern Abend jedenfalls dann dennoch nicht sterben. Also griff ich in der persönlichen Risikoabwägung zwischen dem Blutfett Cholesterin (langfristig) und dem Darmkeim EHEC (kurzfristiges Risiko) in der heimatlichen Straußwirtschaft doch lieber zu etwas Handfestem („Spundekäs‘ mit Brezel“) statt dem knackigen, vitaminreichen Blattsalat. Das eine Glas rheinhessischen Rotweins habe ich neben dem Geschmack dann auch sehr bewusst wegen den darin enthaltenen Polyphenolen ausgewählt. Letztere sollen angeblich das Herzinfarktrisiko senken; damit bin ich – den Cholesterin des Käses ausgleichend – hoffentlich auf der sicheren Seite. In Frankreich soll man mit dieser Kombination jedenfalls über Generationen hinweg gute Erfahrungen gemacht haben. Funktioniert übrigens auch mit rotem Traubensaft, was das Alkoholrisiko senkt, aber vielleicht nicht so elegant schmeckt.

Also kein Salat gestern Abend. Panik? Bloße Übertreibung? Nein! Im Gegensatz zum Atomrisiko von Fukushima, gegen das ich als Einzelner nicht viel machen kann, lässt sich das EHEC-Risiko individuell doch ganz gut kontrollieren. Die Gegen- bzw. Sicherheitsmaßnahmen wurden unlängst kommuniziert: Die „Gemeinsame Stellungnahme Nr. 014/2011“ des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) und des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 25. Mai 2011 rät, vorläufig auf „rohe Tomaten, Salatgurken und Blattsalate“ zu verzichten – „insbesondere in Norddeutschland“ [Quelle], weshalb man zurzeit auch noch von einer (lokal begrenzten) Epidemie und noch nicht von einer Pandemie spricht.

Aktuelle Umfragen zufolge verzichten 58 Prozent der Deutschen derzeit auf Gemüse, 41 Prozent tun das nicht [Quelle]. Was zeigt das? Erstens: Es liegt an jedem selbst, ob man sich dem Ernährungsrisiko EHEC aussetzt bzw. dem Rat des BfR und RKI folgt oder nicht. Zweitens: Risiken können in Zeiten der Globalisierung nicht zu 100 Prozent ausgeschlossen oder kontrolliert werden. Eine schlechte Risiko-Kommunikation ist es daher – ähnlich wie bei BSE in Großbritannien vor über 10 Jahren – den Menschen zu sagen, ihre Ängste seien unbegründet. Dem Ganzen das versicherheitlichende Etikett „Bioterrorismus“, also gezielte Lebensmittelvergiftung, aufzusetzen, mag zwar aufsehenerregend sein [Quelle], hilft aber in der Sache nicht weiter, weil es die Kommunikation unnötigerweise dramatisiert. Eine gute Risikokommunikation setzt demgegenüber, wie der Risikoforscher Gerd Gigerenzer hinweist, auf Information, Selbstverantwortlichkeit und Risikokompetenz [Quelle]: D. h. eine Aufklärung über das individuelle Risiko, sodass jeder auf kompetente und mündige Weise selbst darüber entscheiden kann, wie viel Risiko er oder sie auf sich nehmen möchte. Für nächsten Sonntag heißt das: ein Glas Weißwein zum Gemüseauflauf.

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