von Gabi Schlag
Nach den terroristischen Anschlägen in New York und Washington D.C. verkündete der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, George W. Bush in einem Gespräch mit Journalisten im Pentagon am 17. September 2001: "I want justice [...]. And there's an old poster out West I recall, that said, 'Wanted, Dead or Alive'". Fast 10 Jahre später ist Bushs Wunsch nach Gerechtigkeit in Erfüllung gegangen - mit einem neuen Präsidenten. Am 2. Mai 2011 teilte Präsident Obama der Öffentlichkeit mit:
Mit dem Tod von Osama bin Laden wird allem Anschein nach ein wichtiges Kapitel im Krieg gegen den Terror geschlossen. Präsident Obama verfolgt weiterhin aktiv das Ziel, die US-amerikanischen Truppen aus Afghanistan abzuziehen; Sicherheitsgesetze werden auch in Deutschland auf ihre Nützlichkeit und Verfassungskonformität überprüft.
Symbolisch für diese Zäsur mit dem Tod bin Ladens stehen zwei widersprüchliche Bilder: kurz nach der Aktion in Pakistan kursierte im Internet ein Foto, welches das gerade noch erkennbare, blutverschmierte Gesicht des toten bin Ladens zeigt.
Dieses Bild war jedoch eine Fotomontage. Wie Präsident Obama später gegenüber der Presse erläuterte, werde seine Regierung keine Aufnahmen des Toten veröffentlichen. Man wolle, so Obama gegenüber dem US-amerikanischen Sender CBS, dieses Material nicht als Trophäe auftischen; zudem sei die Leiche bereits auf hoher See bestattet worden. Keine Bilder, keine Grabstätte. Gleichsam kann man davon ausgehen, dass es Bilder des Toten gibt, die womöglich irgendwann bei Wikileaks auftauchen könnten.
Dem ikonoklastischen Akt der US-amerikanischen Regierung folgten jedoch eine Reihe an medienwirksamen Bildern: Neben den Aufnahmen aus bin Ladens Haus - Alltagsvideos, Aufnahmen des Tatorts – und den Bildern aus dem Situation Room publizierte das TIME Magazine wenige Tage später ein Special Issue mit einem symbolträchtigen Titel-Bild: Osama Bin Ladens Kopf, hinter einem roten X.
Während das "falsche" Foto des toten bin Ladens ihn als Opfer darstellte (und dadurch eine ikonographische Referenz zum Kriegsopfer-Diskurs herstellte), wählte TIME eine andere Bildpolitik: Mit dem roten X verweist das Cover auf vier weitere Bilder gleicher Art, die Abu Muzad az-Zarkawi (19 Juni 2006), Sadam Hussain (21. April 2003), die japanische Flagge (20. August 1945) und Adolf Hitler (7. Mai 1945) darstellen (TIME's 'X' Covers. Das Bild der japanischen Flagge ist insofern interessant, da hier gerade nicht eine Form der Personifizierung gewählt wurde). All diese symbolischen Bildakte - es handelt sich um gemalte Porträts - sind eingebettet in den Diskurs über "das Böse". Das "Ende" dieser Männer - entweder durch Selbstmord, ein richterliches Urteil zum Tod durch Strang oder im Kampf mit US-amerikanischen Special Forces - wird symbolisch und öffentlich durch das X vollzogen. Dieses X ist ein Akt des Auslöschens, der in einen Zustand der zurückgewonnen Sicherheit und Gerechtigkeit führen soll, in eine Welt ohne Despoten wie Hitler und bin Laden. Das X symbolisiert Handlungsfähigkeit und den Willen, den Opfern Gerechtigkeit zu bringen und jene zur Rechenschaft zu ziehen, die unvorstellbare Grausamkeiten zu verantworten haben. Erst durch diesen symbolischen Akt des X wird bin Ladens Tod erfahrbar - und kann als ein abgeschlossenes Kapitel anerkannt werden. Ihn gleichsam in einem bildlichen Zusammenhang mit Hitler zu inszenieren trägt dazu bei, Diskussionen über die Umstände der Tötung und deren Rechtmäßigkeit als völkerrechtliche Nebensache abzutun. Denn "das Böse" verlangt notfalls auch, Regeln zu überschreiten. Das "echte" Bild des toten bin Ladens wäre da nur hinderlich gewesen...
Sehr guter Beitrag.
Das mit den X-Covern der Time war mir gar nicht so bewusst.
Was ja ganz interessant wäre: Eine Nachforschung bzw. Untersuchung der Reaktionen in Form von LeserInnen-Briefe auf die jeweilige Ausgabe eines X-Cover-Mags., die sich auf das “Bild” bzw. die damit verknüpfte Thematik der Ausgabe (wenn nicht gar Programmatik) beziehen.
Sehr schön heraus gearbeiteter Blogbeitrag.
gruß
rené