von Martin Schmetz
Der Leak der Botschaftsdepeschen hat offensichtlich in den USA tiefe Spuren hinterlassen. Auch über ein Jahr nach dem Beginn der Veröffentlichung der Depeschen kommen immer neue Pläne ans Licht, Leaken in Zukunft zu erschweren.
Der neueste Plan sieht vor, die Datenbanken mit den als geheim klassifizierten Dokumenten mit echt aussehenden Fake-Dokumenten zu versehen, die nicht nur die Glaubwürdigkeit der geleakten Informationen untergraben, sondern zudem auch nach Hause telefonieren sollen – so soll der Leaker bei Betrachtung seiner Beute erwischt werden.Über die technische Seite dieses Plans ist vergleichsweise wenig bekannt. Die Problematik der Glaubwürdigkeit aber ist die meiner Meinung nach noch größere, und zwar für alle beteiligten Parteien. Die potenzielle Unglaubwürdigkeit zukünftiger Leaks könnte schwerwiegende Konsequenzen haben.
So könnte die historische Aufarbeitung Jahrzehnte später erhebliche Probleme damit haben, falsche von echten Dokumenten zu unterscheiden. Es ist davon auszugehen, dass es eine Möglichkeit geben wird, echte von falschen Dokumenten zu unterscheiden – ob dies aber Jahrzehnte später transparent und zuverlässig der Fall sein wird, ist nicht klar. Es ist aber davon auszugehen, dass die Unterscheidung zwischen falsch und echt möglichst schwierig sein sollte, sonst wäre ja das gesamte Unterfangen sinnlos. Gleiches gilt auch für eine rechtliche Aufarbeitung von Fällen, die Dokumente in Anklage oder Verteidigung zur Grundlage haben, die sich aus diesen Datenbanken rekrutieren. Sicherlich wird es eine Möglichkeit geben, auch hier klar zu machen, welche Dokumente echt und welche falsch sind. Dies aber öffentlich nachzuweisen, ohne gleichzeitig die anschließende systematische Erkennung von falschen Dokumenten zu erleichtern, dürfte nicht einfach sein. Zudem muss immer ein Restzweifel an der Authentizität der Dokumente bleiben, schließlich könnte ein Bedienungs- oder Programmierfehler in diesem Fall zu einem als echt wahrgenommen Fake (oder umgekehrt) geführt haben.
Auch Verschwörungstheoretiker und Staatsskeptiker werden sich bestätigt fühlen – denn nun sind nicht einmal mehr für den Staatsapparat unpassend und unkontrolliert veröffentlichte Dokumente zwingend glaubwürdig. Der Staat wird also noch intransparenter. Vor allem in den USA dürfte der von der Tea Party kultivierten Staatsskepsis Vorschub geleistet werden. Das untergräbt den Glauben in den Staat als solchen – mit allen negativen Folgen für die Legitimation des demokratischen Staatsapparats.
Noch unangenehmer muss aber sein, dass jeder „Feind“ der Amerikaner jedes geleakte Dokument zwangsläufig als ernst einstufen muss, es sei denn dieses ist ganz offensichtlich als unecht zu erkennen. Wenn die falschen Dokumente nicht allesamt gänzlich irrelevante Informationen enthalten (was schon im Sinne einer einfachen Mustererkennung zu vermeiden wäre), könnte dies dazu führen, dass Bedrohungen wahrgenommen werden, die auf reinen Fehlinformationen basieren.
Schließlich besteht auch noch eine andere Gefahr für die USA selbst. Die Kennzeichnung der falschen Dokumente in der eigenen Datenbank dürfte auch für die meisten eigenen Mitarbeiter nicht transparent sein – sonst könnten Whistleblower diese ja einfach selbst mitleaken. Entsprechend könnte sein, dass Informationen aus einem falschen Dokumente Jahre später scheinbar relevant werden und zumindest auf einer niedrigeren Ebene auf ihrer Basis gehandelt wird – im Glauben, dies seien richtige Informationen. In Anbetracht der institutionellen Komplexität des amerikanischen Verteidigungs- und Aufklärungsapparat bin ich zumindest mal skeptisch, dass dies sofort entdeckt würde.
Schlussendlich muss man sich auch schlicht fragen, was dieses Unterfangen ob der ganzen möglichen negativen Konsequenzen soll: Wenn das Ziel ist, die Kontrolle der Verifikation nur einem kleineren Kreis zugänglich zu machen und so dafür zu sorgen, dass Leaks nur von einem kleineren Kreis glaubwürdig durchgeführt werden können, muss man sich fragen, wieso nicht einfach so Dokumente sinnvoller klassifiziert und fallbezogen freigegeben werden können. So bleibt am Ende - wie viele andere Pläne dem Problem des Leakings zu begegnen - auch dieser unausgegoren.
Ich frage mich wirklich, wie das umgesetzt werden könnte. Mitarbeiter können wohl kaum mit Dokumenten arbeiten, von denen sie nicht wissen ob sie echt sind. Und irgendeinen Code zum Entschlüsseln/ Verifizieren muss es ja geben – wieso sollte also der nicht geleakt oder gehackt werden können? Und wenn es nur um die Diskreditierung der eigenen Dokumente geht – welche Regierung will so etwas? Und selbst wenn eine dieser Fake Depeschen geleakt wurde.. es wäre doch sehr interessant zu wissen, wie dieser Leak zurückverfolgt werden könnte. Aber vielleicht soll ja auch nur die Info, dass Fake Depeschen eingeschleust werden, für Verwirrung sorgen..?
Zum letzten Punkt: Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, aber der Punkt klingt ja schon fast verschörungstheoretisch – Fake News über Fake Depeschen… eventuell gibts ja später einen Leak dazu, der das aufklärt (vorausgesetzt der ist nicht auch unecht 😉 ).
Zur Umsetzung kann ich allerdings momentan auch nicht viel mehr sagen – das Abstract auf der DARPA Seite ist nicht sonderlich aussagekräftig und die Webseite des Forschungsprojekts wird gerade einem Upgrade unterzogen. Vielleicht mehr später?