Der Sicherheitsbegriff im Wandel

von Gabi Schlag

Sicherheit gilt vielen als ein politisch-gesellschaftlicher Kernbegriff mit weitreichenden (institutionellen) Konsequenzen für unseren Alltag: Sicherheitsorgane wie die Polizei und das Militär tragen für Sicherheit im In- und Ausland sorge, die Bundesregierung betreibt bi– und multilaterale Sicherheitspolitik. Weitere Behörden und Ministerien beschäftigen sich mit der Frage, wie Lebensmittel-, Verkehrs- oder Berufssicherheit erhöht werden können, kurz: Sicherheit wird immer noch - wenn auch nicht ausschließlich - als Aufgabe des Staates verstanden.

Während die Verbreitung privater Sicherheitsfirmen, failing states und security governance diese Monopolstellung zwar relativieren, so sind Staaten doch immer noch die zentralen Akteure, wenn es um die Herstellung kollektiv Verbindlicher Entscheidungen und deren Durchsetzung im nationalen und internationalen Bereich geht. In unserem heutigen Sprachgebrauch erscheint die Verbindung von "Staat + Sicherheit" (insbesondere im Konzept der "nationalen Sicherheit") essentiell, nicht nur in der politischen Praxis, sondern auch in der Disziplin Internationale Beziehungen. Doch was wir unter Sicherheit verstehen und welche Akteure Sicherheitsaufgaben legitimerweise übernehmen, so zeigt die Begriffsgeschichte, ist historischen, gesellschaftlichen und politischen Transformationsprozessen unterworfen. Um den Wandel von Sicherheitskultur zu verstehen, erscheint ein Verständnis für den gesellschaftlichen Gebrauch des Sicherheitsbegriffes erforderlich. Denn gesellschaftlicher Wandel ist immer auch ein begrifflicher Wandel.

Im Historischen Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland schreibt Werner Conze (1984), dass der Begriff Sicherheit mit dem Fürstentum der Neuzeit als ein affirmatives Abstraktum entsteht und so zu einem normativen, allgemein erstrebenswerten Begriff wurde (Conze 1984: 831). Das lateinische Wort securus (ohne Sorge) meint dabei einen "glücklichen Seelenzustand des Freiseins von Triebhaftigkeit und Erregung". Im 1. Jahrhundert nach Christus erfährt der Begriff securitas eine politische Bedeutung im Zusammenhang mit der Pax Romana und findet sich als Frauengestalt personifiziert auf römischen Kaisermünzen wieder. Unter Augustinus galten die Begriffe pax, securitas und libertas als allgemeine Beschreibungen seiner Herrschaft und führten zu einer Verschmelzung der politischen und biblisch-teleologischen Bedeutung: "Securitas […] bedeutete Fernsein von Sorge auf Grund von staatlicher Macht im großen Friedensraum des Reiches". Im Mittelalter entwickelte sich Sicherheit zu einem alltäglichen Begriff, der besonders in Eidesformeln und Schutzverträgen gebraucht wurde, um Personen, Gütern und Orten Sicherheit zu geben. Solch ein Schutzversprechen beruhte in der Regel auf Gegenseitigkeit. Mit der Abschaffung der Fehde und der Sicherung von Straßen und Handelswegen entwickelte sich bereits im 14. Jahrhundert eine "landesherrliche "Sicherheitspolitik"", in deren Zuge es zur ausdrücklichen Aufgabe der Obrigkeit erklärt wurde, für Sicherheit und Schutz Sorge zu tragen.

Mit der Konsolidierung von Territorialstaaten in Europa erhielt der Sicherheitsbegriff nun auch eine völkerrechtliche, nach außen gerichtete Dimension. Mit dem Abschluss des Westfälischen Friedens 1648 ist der Begriff Sicherheit, so Conze, "staats- und völkerrechtlich allgemein üblich geworden" im Kontext des "neuen (Militär) Staates". Mit der neuen Friedensordnung in Europa setzte nun auch die Trennung von innerer und äußerer Sicherheit (assecuratio) ein, die gerade für die Entstehung internationaler Beziehungen und die Disziplin(geschichte) der Internationalen Beziehungen wie wir sie heute kennen grundlegend war. Die Sicherung körperlicher Unversehrtheit, der Schutz von Eigentum und die Zentralisierung von Sicherheitsinstitutionen wie der Polizei und dem Militär bilden drei wesentliche Säulen dieser Entwicklung (Conze 1984: 846). Sicherheit, so Conze, ist spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhundert zum "vielgebrauchten Ziel- und Wertbegriff sowohl in nationaler Begrenzung wie in internationaler Ausweitung geworden".

Seine heutige Bedeutung in den Internationalen Beziehungen, so Ole Waever (2002), hat der Begriff Sicherheit jedoch erst im Laufe der 1940er Jahre gefunden. Sicherheit wurde nun zunehmend mit zwei anderen Begriffen verbunden: raison d’etat und necessitas. In dem Maße wie Sicherheit vor dem Hintergrund der Sicherung des Staates verstanden wurde, etablierte sich der Begriff der "nationalen Sicherheit", insbesondere in den USA (vgl. die Etablierung des National Security Council und National Security Act im Jahr 1947). Im Lichte des beginnenden Kalten Krieges, der weit über eine rein militärische Bedrohungswahrnehmung hinausreichte, diente der Verweis auf die nationale Sicherheit der Mobilisierung und Durchsetzung weitreichender Sicherheits- und Verteidigungsmaßnahmen. Die Sicherung der nationalen Sicherheit war somit immer auch dem Ziel verbunden, die andauernde militärische Präsenz der US-Amerikaner in Europa und alle damit verbunden verteidigungs- und wirtschaftspolitischen Initiativen zu legitimieren. Denn "nationale Sicherheit" richtete den Blick nicht nur auf militärische, sondern auch gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen. In den 1970er und 1980er Jahren erfährt der Sicherheitsbegriff dementsprechend eine kontinuierliche Erweiterung und wird auf Politikfelder jenseits des Militärischen übertragen: Energiesicherheit, menschliche Sicherheit, Umweltsicherheit, globale Sicherheit usw. Als Sicherheits-Probleme unterliegen diese Themen nun einer Dringlich- und Notwendigkeitssemantik, sich möglichst umgehend und umfassend ihrer anzunehmen.

Spätestens seit den 1990er Jahren, so haben viele Kommentatorinnen und Experten angemerkt, zeichnet sich jedoch eine erneute begriffliche Transformation ab: immer häufiger reden wir über Risiko und Vorsorge, über Gefährdungen als Folge von Modernisierung und Technologisierung unserer Gesellschafts- und Arbeitswelt. Die Risikosemantik, so Christopher Daase und Oliver Kessler (2008), rekurriere dabei auf eine Redefinition von Ungewissheit und Wahrscheinlichkeit und führe zu einem Sicherheitsparadox: Sicherheitspolitik reagiert nicht mehr nur auf Gefahren, sondern produziert gleichsam neue Sicherheitsprobleme. Die Ursachen und Folgen dieses semantischen Wandels sind bisher jedoch eher selten Gegenstand einer systematischen Analyse gewesen: Wie reagieren politische Akteure auf die Herausforderungen moderner Risiken? Welche institutionellen Konsequenzen sind mit der Risiko-Semantik verbunden? Wie lässt sich eine demokratische Risikopolitik gestalten? Dieses Wissen ist jedoch erforderlich, wenn es darum gehen soll, Strategien zu entwickeln, um alten und neuen Sicherheitsproblemen zu begegnen. Begriffe sind dabei keinesfalls irrelevant. Reinhart Koselleck (1979), ein Mitbegründer der Begriffsgeschichte, stellt fest: "Der semantische Kampf, um politische oder soziale Positionen zu definieren und kraft der Definition aufrecht zu erhalten oder durchzusetzen, gehört freilich zu allen Krisenzeiten, die wir durch Schriftquellen kennen. Seit der Französischen Revolution hat sich dieser Kampf verschärft und strukturell verändert: Begriffe dienen nicht mehr nur, Vorgegebenheiten so oder so zu erfassen, sie greifen aus in die Zukunft". Wenn Risiko der politisch-gesellschaftliche Kernbegriff der Zukunft werden sollte, müssen wir lernen, mit Ungewissheit umzugehen.

Leseempfehlungen

Conze, Werner (1984) Artikel "Sicherheit", in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischen-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck, Bd. 5, Klett-Cotta: Stuttgart, S. 831-862.

Daase, Christopher und Oliver Kessler (2008) From Insecurity to Uncertainty: Risk and the Paradox of Security Politics, in: Alternatives 33(2), S. 211-232.

Koselleck, Reinhart (1979) Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Suhrkamp: Frankfurt a.M., S. 107-129.

Waever, Ole (2002) Security: A Conceptual history for International Relations, paper to be presented at the annual meeting of the International Studies Association in New Orleans, 24-27 March 2002; unpublished.

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