von Georgios Kolliarakis
"Es geht darum, wie der Schutz der Bürgerinnen und Bürger erhöht werden kann vor Risiken, wie vor technischen Großunfällen, Extremwettereignissen sowie internationalem Terrorismus und organisierter Kriminalität", so Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung anlässlich der Eröffnung des Innovationsforums "Zivile Sicherheit".
Über 600 Wissenschaftler, Vertreter der High-Tech-Industrie und der Bundesbehörden haben sich am 17.-19. April in Berlin im Café Moskau im Rahmen der 2. Runde des Sicherheitsforschungsprogramms der Bundesregierung getroffen. In den Jahren 2012 bis 2017 will die Bundesregierung für das Rahmenprogramm rund 55 Millionen Euro pro Jahr bereitstellen. Im abgelaufenen Rahmenprogramm von 2007 bis Anfang 2012 hatte das BMBF über 278 Millionen Euro für die Förderung der zivilen Sicherheit bereitgestellt. Insgesamt wurden bisher über 120 Verbundprojekte mit über 600 Einzelprojekten gefördert. Allerdings gingen nur ca. 12 Millionen davon an Verbundprojekte mit explizit gesellschaftswissenschaftlichem Charakter, ansonsten spielten gesellschaftswissenschaftliche Fragestellungen eher marginal eine Rolle, überwiegend als Begleit- und Akzeptanzforschung.
Dem Beschluss der Bundesregierung über die 2. Runde des Sicherheitsforschungsprogramms vom Januar 2012 zufolge, sollten die geförderten Projekte zur Prävention von Schadensereignissen und zur Bewältigung von Krisen neue Technologien entwickeln. Staatssekretär Rachel sagte dazu: „In den nächsten fünf Jahren wollen wir verstärkt in die Erforschung gesellschaftlicher Aspekte ziviler Sicherheit investieren. Daneben wollen wir den Anteil der kleinen und mittleren Unternehmen an den Verbundprojekten erhöhen…“ (Quelle). Er hat dabei deutlich die volkswirtschaftliche Relevanz der Beförderung von kleinen und mittleren High-Tech-Unternehmen hervorgehoben: Die technologischen Lösungen sollten „bedarfsgerecht“ sowie „markttauglich“ sein.
Wie ist allerdings dieser semantische Spagat in sinnvolle Forschungspolitik umzusetzen? Technologische Innovationen lassen sich nicht automatisch in „Schutz der Bürgerinnen und Bürgern“ übersetzen. Die Erfahrung hat das Eintreten einer Paradoxie gezeigt: je mehr Sicherheit zustande kommt, desto unsicherer fühlen sich die Bürger und desto mehr Sicherheitsmaßnahmen werden vom Staat erwartet und angefordert. Technologische Innovationen werden also nicht ohne weiteres zu gesellschaftlichen Innovationen, die Sicherheitsprobleme mittels eines „High-Tech-Fix“ beseitigen. Genauso ist technische Resilienz von kritischen Infrastrukturen nicht gleich gesamtgesellschaftliche Resilienz angesichts einer sich wandelnden Bedrohungslandschaft. Es sind solche Fragen, die vom Sicherheitsforschungsprogramm der Bundesregierung schon längst nicht beantwortet werden, und vielleicht sogar dringlicher gestellt werden müssen. Das ist eine Art modernistischer Fehlschluss seitens politischer Entscheidungsträgern, wenn sie behaupten, dass mit mehr Technologie besserer Schutz und höhere Sicherheit für die Bürger zu gewährleisten sei, so dass der Staat seine traditionelle „Hobbes'sche“ Schutz-Rolle weiter spielen darf.
Sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung kann genau an dieser Stelle den Mehrwert der Reflexion über konkurrierende Definitionen von Bedrohungen sowie über Eignung von Sicherheitslösungen zeigen. Das Projekt „Sicherheitskultur im Wandel“ war am Innovationsforum „Zivile Sicherheit“ mit dem Poster „Sicherheitskultur und partizipative Kommunikation“ vertreten (Link folgt), das das Spannungsverhältnis zwischen beteiligten oder ausgeschlossenen Akteuren und der Priorisierung von Bedrohungen und Maßnahmen thematisiert hat. Dem fraglichen „High-Tech“-Schamanismus der aktuellen Sicherheitspolitik wäre demnach mit partizipativen Entscheidungsfindungsprozessen zu begegnen, die eine solidere Legitimität von Diagnosen und eine höhere Effektivität von Therapien hervorbringen könnten.