von Nicole Deitelhoff
Letzte Woche wurden unter Regie der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main 106 Wohnungen durchsucht und Computer, Mobiltelefone oder Tablets beschlagnahmt. Der Vorwurf lautet auf Computersabotage, strafbar nach Paragraf 303b Strafgesetzbuch. Vorangegangen war eine DDoS-Attacke (Distributed Denial of Service) auf die Seiten der Gema, der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, die die Urheberrechte der Musiktreibenden in Deutschland schützt. Der Aufruf wurde unter dem Namen von Anonymous auf Facebook und anderen Plattformen veröffentlicht und war mit einer weiteren Seite verlinkt, die dann direkt ein Programm ausführte, so dass der jeweilige Rechner automatisch an der Attacke teilnahm.
Die daraus resultierenden koordinierten Hausdurchsuchungen unter dem Vorwurf der Computersabotage folgen einem in den letzten Monaten immer deutlicher werdenden Trend nationaler Strafbehörden, das Aufkommen von Aktivismus im Netz mit immer stärker repressiven Mitteln zu begegnen. Ob es sich bei diesem konkreten Angriff auf die Gema um eine sinnvolle politische Aktion im Kampf um die Urheberrechte handelte, ist dabei erstmal nicht die Frage. Bezeichnend ist jedenfalls, dass die verdächtigen Personen, die laut BKA zielgerichtet an der Attacke mitgewirkt haben, größtenteils Jugendliche sind. So wirft der aktuelle Fall doch die Frage auf, wann Aktivismus im Netz eigentlich politisch ist und wie er sich von anderen Formen von Aktivismus im Netz unterscheiden lässt.
Was ist politischer Aktivismus im Netz?
DDoS-Attacken werden von den Einen als nunmehr in den virtuellen Raum des Netzes verlegte Sitzblockaden (also als eine Form zivilen Ungehorsams) verteidigt, die angesichts zunehmend transnationalisierter Unternehmens- und Regulierungsstrukturen notwendig sind, um überhaupt noch spürbar Widerstand zu üben. Weil die normalen Insitutionen politischer Willensbildung nicht mehr auf den Wunsch nach Veränderungen reagieren, müssen dramatische Aktionen gewählt werden, um die Institutionen und die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger wieder wachzurütteln. Von anderen werden sie dagegen als antipolitische, allein am Reiz der Illegalität und des Spektakels orientierte kriminelle Sabotageaktionen bezeichnet, die mit der vollen Härte des Gesetzes verfolgt werden sollten. Hier wird der Bezug zum demokratischen Handeln also genrell geleugnet. Woran erkennen wir also politischen Aktivismus im Netz, wenn wir ihn sehen?
Die Frage, wann Aktivismus politisch ist, ist als solche kaum neu, sondern begleitet alle Wellen neu entstehender Formen politischen Handelns und politischer Sphären. Das galt zuletzt für die karnivalesken Formen politischen Protests, für die die globalisierungskritische Bewegung bekannt wurde, die mit Straßentheatern, oder – wie die tute bianche in weißen Schaumstoffkostümen aufmarschierte. Das galt auch für die Zeit der Neuen Sozialen Bewegungen in Deutschland und die Debatte um die außerparlamentarische Opposition und den zivilen Ungehorsam, d.h. die Übertretung der Gesetze, um Aufmerksamkeit für politische Ziele zu erzeugen – ein Muster, das sich ganz grundlegend auch bei DDoS-Attacken im Netz nachzeichnen lässt. Es werden Gesetze übertreten, um politische Ziele zu propagieren (Freiheit im Netz und des Netzes).
Wenn Hannah Arendt dem zivilen Ungehorsam selbst demokratische Bedeutung zumaß, weil er das Gesetz übertrat, um die demokratische Teilhabe an der Gesetzgebung wieder einzufordern, so war das lange und ist vielleicht auch immer noch keine Mehrheitsmeinung. Es wurden lange Debatten – sowohl akademische als auch politische – um dieses Thema gefochten, die unter anderem an der Frage ansetzen, ob es nötig wäre, die Gesetze zu übertreten (gibt es wirklich keinen Weg über die normalen Institutionen der Willensbildung?) und ob eine solche Handlung tatsächlich politisch wäre (was sind die Motive)?
Montgomery Bus Boycott
Am 1. Dezember 1955 wurde Rosa Parks in Montgomery, Alabama festgenommen, nachdem sie sich geweigert hatte, ihren Platz für einen weißhäutigen Mitfahrer freizumachen. Dieser Akt des Widerstands gegen die rassistische Segregationspraktiken in den Südstaaten der USA gilt gemeinhin als Paradebeispiel des zivilen Ungehorsams und war mit verantwortlich für die Entwicklung der US-Bürgerrechtsbewegung. [weiter]
Es ist augenscheinlich, dass genau diese Fragen auch heute wieder im Raum stehen. Haben die Aktivisten tatsächlich keine Möglichkeit, Veränderungen auf den normalen, d.h. legalen Wegen der Willensbildung zu fordern und ist es nicht gerade die Lust an der Illegalität und am Spektakel, die sie treibt? Diese Fragen sind sicherlich nicht einfach zu beantworten und gerade die spezifische Form des Netzraums erschwert das einmal mehr. Nicht-virtuelle ältere Formen zivilen Ungehorsams verlangten ein klares Bekenntnis der Aktivisten zu ihrem Tun, das proaktive Handeln und das Einstehen für die eigenen Überzeugungen. Im Netz und insbesondere bei DDoS-Attacken wird das relativiert, wenn nicht teils unmöglich.
An DDoS-Attacken kann nahezu jeder und bei entsprechender Expertise zunächst auch ohne großes Risiko der Entdeckung teilnehmen. Mehr noch bleiben Aktivisten und das Ausmaß des Aktivismus im Dunkeln und schließlich - das zeigt der aktuelle Fall leider auch, lässt sich kaum verhindern, dass eigentlich Unbeteiligte, ohne Kenntnis oder überragendes Interesse an den politischen Zielen, in den zivilen Ungehorsam einbezogen werden. Das ist besonders perfide, zumindest wenn es richtig ist, dass bereits der Klick auf die verlinkte Seite ausreichte, um den eigenen Rechner für die DDoS-Attacke auf die Gema zur Verfügung zu stellen. Dass unter den Verdächtigen hauptsächlich Jugendliche und Heranwachsende sind, deutet zumindest in diese Richtung.
Demokratie ist ein offenes Projekt
Was heißt das nun? Wir können nicht die gleichen Maßstäbe, was Zurechenbarkeit und Nachhaltigkeit angeht, an web-basierten politischen Aktivismus anlegen wie an traditionelle Formen politischen Aktivismus; zugleich müssen wir aber eine Diskussion darüber beginnen, wo das Politische im Netz beginnt und wo es aufhört und in schlicht kriminelles Handeln umschlägt. Mit anderen Worten, was legitime von illegitimen Formen von web-basiertem Aktivismus unterscheidet. Diese Debatte darf weder den Strafverfolgungsbehörden überlassen werden, die der Natur ihrer Zuständigkeit nach den Bereich legitimen politischen Handelns eher verengen, noch den Aktivisten – seien es Anonymous oder anderen Gruppierungen – sondern benötigt wird eine größere Debatte der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger innerhalb und außerhalb des Netzes, die sich einmal mehr die Frage stellen müssen: was ist Demokratie und was wollen und müssen wir hinnehmen, um sie zu erhalten und immer wieder für Veränderungen zu öffnen?
Telepolis hat heute ein interessantes Interview mit einem Aktivisten der Antira-Bewegung, der seinerzeit an der deoprtation-class-Aktion beteiligt war: “Ein virtuelles Sit-in, sogar ohne Vermummung”. Hier greift der Sitzblockaden-Vergleich, weil die selbstentwickelte Software (Juni 2001!) explizit auf die Verschleierung der Teilnehmenden verzichtet hat. Dieser Weg scheint Anonymous qua Definition aber nicht offenzustehen…
http://www.heise.de/tp/artikel/37/37125/1.html
Im Rahmen der DDos-Attacke auf bundestag.de (#OpGermanRights) aufgrund des Meldegesetzes wird auf Netzpolitik.org über den Sinn und die Legitimität von DDoS-Angriffen diskutiert: https://netzpolitik.org/2012/opgermanrights-ddos-attacke-auf-bundestag-de-wegen-meldegesetz/
Dazu: Strafanwalt Udo Vetter kritisierte unter http://www.irights.info/?q=content/bka-vs-anonymous-die-hausdurchsuchungen-waren-gewagt – u.a. den Vorwurf der Computersabotage und die Legitimität der Hausdurchsuchungen. Er fordert stattdessen ebenfalls, “neu über die Legitimät von Protestformen im Internet nachzudenken”.
Gabriella Coleman asks:
1. Is it reasonable to compare a DDoS with civil disobedience or direct action?
2. What might be an appropriate legal response for those campaigns that are deemed by courts as political protest? (Perhaps not answerable)
3. How does the media and the public misunderstand these events? (and perhaps the media are the ones are responsible for the “success” of a DDoS campaign)
4. Is the political effect of the DDoS primarily symbolic and a way for people to very quickly and collectively express their position on a matter?
5. Is there anything lulzy about the DDoS? (Does that even matter?)
6. How might the DDoS be deployed more ethically as political protest? Under what conditions or configurations might it be more permissible, palatable or effective? Or i it just too noxious and problematic to use for political purposes?
http://www.concurringopinions.com/archives/2012/01/uncontroversially-controversial.html