von Andrea Jonjic
Während ich auf die finale Abstimmung des Europäischen Parlaments zum Anti-Counterfeiting Trade Agreement, ACTA, warte (Livestream), prophezeit die taz bereits den "Sieg der Straße". Fünf parlamentarische Ausschüsse rieten bislang dazu, das Handelsabkommen abzulehnen, die Wahrscheinlichkeit der heutigen Zurückweisung ist demnach hoch. Welches Fazit lässt sich nach 4 Jahren Verhandlungen und Protest ziehen?
2008 begannen die Verhandlungen um das internationale Handelsabkommen ACTA, an dem unter anderem die USA, EU, Japan und Australien teilnahmen. Kurze Zeit später wurden erste Proteststimmen laut, beispielsweise von Netzpolitik.org, den Piratenparteien Schweiz und Deutschland, La Quadrature du Net oder EDRi, European Digital Rights. In den folgenden Jahren gab es immer wieder Protestaktionen, Demonstrationen, Aufklärungsversuche der Aktivisten - doch der Tipping Point folgte erst vier Jahre später, im Januar 2012.
Plötzlich wurde ACTA medial aufgegriffen, in Polen fanden die ersten Massenproteste statt, am 11. Februar dann europaweit. Was dann folgte, war ein stetiges Aushöhlen der Mauer, die das Europäische Parlament um ACTA zu bauen versucht hatte. Briefe, Mails, Anrufe an Parlamentarier, Debatten, Erklärungen, Podcasts, Informationsveranstaltungen - die ersten Staaten setzten die Ratifizierung aus, die ersten Ausschüsse sprachen eine Ablehungs-Empfehlung aus.
Heute also die letzte Abstimmung. Es gibt einen Livestream, einen Live-Ticker, viele Menschen tauschen sich bei twitter aus. Eine "gemeinsame europäische Öffentlichkeit"? Eine internationale Zivilgesellschaft? Analysen der transnationalen Mobilisierung stehen noch aus. Interessant bleibt dennoch eine genaue Betrachtung der Ereigniskette: Nach 4 Jahren, in denen Aktivisten und NGOs versuchten, für die ACTA-Kritik zu sensibilisieren, folgte der Knall. Dass die anfängliche Euphorie nach dem 11. Februar abebbte, ist irrelevant - ACTA stand nun in der Öffentlichkeit.
Es war geglückt, ein Anti-ACTA-Netzwerk zu bilden, das Abkommen zu politisieren, Menschen, vor allem viele Jugendliche zu erreichen. Was dann folgte, war nicht absehbar: Erst die Massenproteste mit allein ca. 100.000 Demonstrierenden in Deutschland, Regierungschefs, die sich gegen ACTA ausprachen, Parlamentarier, die einräumten, das Abkommen nicht gelesen zu haben, und schließlich, heute um 12:57:
Das Ende von ACTA.
39 Parlamentarier stimmten für ACTA, 478 dagegen. Damit sei der "Weg frei für Reformen, die das Urheberrecht mit dem Internetzeitalter kompatibel machen" (Digitale Gesellschaft e.V.). Gleichzeitig wird jedoch wieder gewarnt - auch wenn ACTA abgelehnt sei, es wird bereits seit Monaten an einer Novellierung der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte an immateriellen Gütern, kurz IPRED gearbeitet, die "nicht nur konträr zu Forderungen der Netzgemeinschaft, etwa nach einem den neuen Medien angemessenen Copyrightrecht" ist, sondern auch "grundlegende Eigenschaften des Internets als solche in Frage" stellt. (Post Februar)
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