von Philipp Offermann
... dann wird das schon mit der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Dieser gut gemeinte Ratschlag öffnete das Feld für den gestrigen Themenabend der ARD zum Thema der Bundeswehr in Afghanistan. Mit "Auslandseinsatz" strahlte die Anstalt den ersten deutschen Fernsehfilm aus, "der den Krieg und den Einsatz in Afghanistan selbst zum Thema hat und auch dort spielt" - explizit keine Heimkehrergeschichte, wie die Pressemitteilung betonte, zur Abgrenzung von früheren eigenen Ausstrahlungen und wohl auch von Til Schweigers aktuellem Kinofilm. Gefolgt wurde die fiktionale Abhandlung von einer (extralangen?) Anne-Will-Sendung, in der unter anderem Verteidigungsminister de Maizière zu Gast war - ein interessantes Doppelformat von Fiktion und (Talkshow-)Realität, die immerhin von 3,7 bzw. 2,8 Millionen Menschen gesehen wurde.
"Auslandseinsatz" brachte uns dann tatsächlich mitten hinein in die schwierige Lage vor Ort (Kritiken hier, hier, hier und hier). Schon das Bundeswehr-Personal brachte einige archetypischen Charaktere zusammen: Der nachdenkliche Idealist, der keine Fehler machen will; der Draufgänger, angesichts einer echten Tötung Gewissensbisse kriegt; eine Frau ("Sanität, bald Ärztin") sowie ein Migrant, als Afghane einst Taliban-Opfer, nun als Bundeswehr-Soldat und Dolmetscher im Einsatz. Dieses Cimic-Team (Wikipedia) trifft auf einen Dorfvorsteher sowie eine deutsche Entwicklungshelferin - und auf die Einsatzrealität vor Ort, in welcher das Bemühen um sinnvolle Arbeit schnell mit der militärischen Befehlskette in Konflikt gerät. Alleine mit diesem setting wirft der insgesamt sehenswerte Film eine Vielzahl hochinteressanter Fragen auf, die im actiongeladenen Finale wieder etwas untergehen, was dem Film nicht zu unrecht den Vorwurf plakativer Machart und Hollywood-Stereotype einbringt (Deutschlandradio).
Dabei ist es vor allem die normative Frage nach Verantwortung, die nicht nur den Film durchzieht, sondern auch die etwas fahrige Anne Will-Debatte im Anschluß. Tatsächlich löst "Auslandseinsatz" zum ersten Mal ein, was man sich schon früher gewünscht hätte, nämlich eine genuin afghanische Perspektive wenigstens aufzuzeigen: "Wir benötigen keine Hilfe", sagt der Dorfälteste zur Verwunderung des engagierten deutschen Aufbauhelfers in Uniform - das Schulgebäude wird dann zwar trotzdem gemeinsam wieder aufgebaut, doch die Irritation bleibt: Kann es dem Dorfältesten überlassen werden, wie die Hilfsgüter im Dorf verteilt werden? Ob nur Jungen oder nicht doch auch Mädchen zugelassen sind in der wiedereröffneten Schule? Oder ob statt Opium nicht doch lieber Weizen angebaut werden könne? Dass der Film auf diese Fragen eine klare Antwort vermeidet und stattdessen der Tragweite individueller Gewissensentscheidungen viel Raum lässt, ist ein erfrischender Bruch zum bisher vorherrschenden Narrativ von der großzügigen deutschen Hilfe, die von undankbaren Afghanen zurückgewiesen oder gar bekämpft wird.
Tatsächlich kommt es auch erst durch die Einmischung der Bundeswehr zur Katastrophe. Das Bemühen der Entwicklungshelferin und der einzelnen Soldaten (entgegen ihrer klaren Direktive), ein einzelnes Mädchen auf die deutsche Schule in der großen Stadt zu retten, endet tragisch mit zwei Toten und vor dem Kriegsgericht. Auch der Dorfvorsteher ist, wie die FAZ richtig bemerkt, ein großer Verlierer der Ereignisse, stellvertretend für die afghanische Landbevölkerung, die "immer verliert, nicht nur in diesem Film". Nebenbei kann der plot auch als Allegorie auf das Problem der Militarisierung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gelesen werden, aber das würde an dieser Stelle zu weit führen.
Interessant war das Zusammenspiel von Fiktion und Wirklichkeit in der anschließenden Talkrunde bei Anne Will. Wie schon der Film wurde die Gesprächsrunde der Vielzahl der aufgeworfenen Fragen nicht gerecht. Die ganz große Koalition der Sicherheitspolitiker (CDU, Realo-Grün plus katholische Kirche) traf hier auf die Erfahrungen einer von PTBS betroffenen Familie und des Afghanistan-Reisenden Jürgen Todenhöfer. Hier wurde die Verantwortung für den gesamten Afghanistan-Einsatz verhandelt. Der einzelne Soldat solle gerade nicht schwer tragen an der Last seiner Erlebnisse oder friedensbewegter Debattenbeiträge: Die Verantwortung für den Einsatz trage immer das Parlament/die Politik, stellten der Minister und der Parlamentarier einmütig fest. Ein bemerkenswertes Zugeständnis machte Verteidigungsminister de Maizière gleich zu Beginn: "Wir wollten in drei Jahren unser westliches Demokratie-Modell einführen", sagte er, "das war naiv". Das die afghanischen Sicherheitskräfte bald die Sicherheitslage alleinverantwortlich regeln sollen: Dieser Widerspruch hätte eine weitergehende Diskussion verdient gehabt. Wo die feine Linie zwischen Verantwortung und Bevormundung verläuft - das war das wiederkehrende Thema dieses insgesamt spannenden und wichtigen Themenabends. Und das es weder im Kleinen, Konkreten noch im Großen, Abstrakten keine schnellen, einfachen Entscheidungen gibt...