von Martin Schmetz und Andrea Jonjic
Vorgestern wurde ein Bericht des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) mit dem Titel “The use of the Internet for terrorist purposes” veröffentlicht. Dort wird, im Namen der Terrorbekämpfung, unter anderem zu Vorratsdatenspeicherung und Identifizierungspflicht aufgerufen. Es ist interessant, dass dieser Vorstoß nun auf UN-Ebene kommt, nachdem er unter anderem in der EU vorher gescheitert war. Aus politikwissenschaftlicher Sicht hingegen ist dies kaum überraschend - schließlich wird hier das Mehrebenenspiel gespielt.
Dazu muss man ein wenig ausholen und sich mit dem Begriff der Mehrebenenpolitik und des Mehrebenenspiels auseinandersetzen. Diese sind grundsätzlich wertneutral – sie beschreiben lediglich Politik und Problemlösungsproblematiken von Akteuren auf unterschiedlichen Ebenen, z.B. der nationalen Exekutive, die auf EU-Ebene Dinge aushandelt. Man möchte herausfinden, wie diese Art von Politik funktioniert und wie man Verhandlungen besser (und vielleicht auch legitimer) gestalten könnte.
Leider hat sich dabei ein unangenehmer Trend eingeschlichen, der viel damit zu tun hat, wer Länder auf internationaler oder supranationaler Ebene in Verhandlungen vertritt: Meist nämlich Vertreter der Exekutive. Diese können die inter- oder supranationale Ebene benutzen, um dort Initiativen voranzutreiben, die bei der eigenen, nationalen Legislative unpopulär sind - diese würden dann, so das Kalkül, angesichts der EU- oder gar weltweiten Dimension die Sache schon durchwinken.
Auf nationaler Ebene wird ein solcher Gesetzesvorschlag aber nicht nur in den Parlamenten diskutiert, häufig gibt es auch erhebliche nationale Aufmerksamkeit. Netzsperren und Vorratsdatenspeicherung waren genau solch ein Thema in Deutschland und es gab gute Gründe der Opposition und auch der Regierung, derart unpopuläre Vorhaben nach der öffentlichen Ablehnung zu unterlassen - auch wenn man (wieder)gewählt werden wollte (auch wir berichteten damals ausführlich).
Damit sollte die Exekutive, selbst wenn sie diese Idee weiterhin befürwortet, es eigentlich dabei belassen, denn sie ist demokratisch auf nationaler Ebene gestorben. Aber, dank inter- und supranationaler Institutionen gibt es nun die alternative Möglichkeit, die Sache außerhalb der Reichweite von nationaler Legislative und eventuell auch der nationalen Öffentlichkeit durchzusetzen: Man begibt sich auf EU-Ebene und versucht es dort noch einmal. Überraschenderweise gab es im Fall von ACTA bei diesem Versuch starken Gegenwind im EU-Parlament und, obwohl es ein EU-Thema war, auch viel Aufmerksamkeit in den jeweiligen Länderöffentlichkeiten. Die Taktik, es auf EU-Ebene durchzusetzen um dann auf nationaler Ebene sagen zu können „Wir wollten es ja nicht, aber die böse EU hat uns nun dazu gezwungen“, ging hier nicht auf.
Aber es gibt ja noch die Vereinten Nationen. Ein weiteres Forum, um das gleiche Spiel noch mal zu versuchen, noch weiter entfernt von der nationalen Öffentlichkeit und der Legislative. Natürlich kann letztere ein etwaiges internationales Abkommen schlicht nicht ratifizieren, den Inhalt aber kann sie nicht beeinflussen.
Während also in Deutschland zum Beispiel zarte Bestrebungen sichtbar werden, sich der Störerhaftung und öffentlicher WLANs anzunehmen, wird in dem Bericht der UNODC eine Identifizierungspflicht bei öffentlichem Internetzugang in Cafés und Bibliotheken vorgeschlagen sowie die Überwachung des dortigen Internetverkehrs. Den Personalausweis zu kontrollieren wird begrüßt - ein klarer Schritt zurück.
Gegen die Vorratsdatenspeicherung wird national noch erfolgreich protestiert, gegen die EU-Richtlinie 2006/24/EG. Wie netzpolitik schreibt, gehen die Forderungen der UN hier noch darüber hinaus:
Man begrüßt die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, bedauert aber, dass diese nicht überall gilt. Daher fordern die Autoren einen “weltweit vereinbarten Rechtsrahmen zur Vereinheitlichung der Datenarten und Fristen, die Provider über ihre Kunden speichern müssen”. Auch Provider sollten “Nutzer verpflichten, sich zu identifizieren, eh sie Internet-Inhalte und Dienste nutzen können”.
Das Timing des Internet-Papers legt den Schluss nahe, dass hier eine Mehrebenen-Eskalationstaktik gefahren worden sein könnte, ebenso die anwesenden Politiker, darunter z.B. die österreichische Innenministerin Johanna Milk-Leitner, UNODC Exekutivdirektor Yury Fedotov, der ungarischer Innenminister Sandor Pinter, der Sicherheitsminister des britischen Innenministeriums James Brokenshire und Georg Maaßen, Präsident des deutschen Bundesamts für Verfassungsschutz.
Letzterer argumentiert auch gleich auf Basis des UN-Berichts, wieso es wichtig sei, "geschlossene Foren, in denen Jihadisten sich verabreden, Terroranschläge zu begehen" zu beobachten:
Maaßen verwies auf virtuelle Trainingslager, Online-Handbücher und Kampfsimulatoren, die zum Instrumentarium der elektronischen Jihadisten zählten. Hochtechnologisierte Gesellschaften, wie etwa die Bundesrepublik Deutschland, seien "in hohem Maße störanfällig." Zudem gehe vom Internet die Gefahr einer unsichtbaren Radikalisierung aus, der man nur durch nationale Kompetenzbündelung und verstärkte internationale Kooperation begegnen könne. "Ohne offensive nachrichtendienstliche Arbeit kann man nicht wissen, wer sich in der Cyberwelt verabredet, um gegen uns Anschläge durchzuführen", so Maaßen.
Es wird also versucht, Ideen, die auf nationaler und europäischer Ebene bereits nicht mehr relevant sind, politisch wieder salonfähig zu machen – nur dieses Mal außer Reichweite von störenden Parlamenten und nationalen Öffentlichkeiten. Es erweckt den Anschein, dass dieses Spiel mit den verschiedenen Ebenen der internationalen Politik der nächste Schritt im Konflikt um die zukünftige Form des Internet ist. Und es ist äußerst fragwürdig, ob zwischen Institutionen und Projekten wie dem Internet Governcance Forum, dem Weltgipfel zur Informationsgesellschaft, der ICANN, der Internationalen Fernmeldeunion, den Londoner Prozessen und weiteren Playern, die Zivilgesellschaft und ihre Interessen ausreichend repräsentiert sind (mehr dazu hier).