von Janusz Biene
Nach Monaten der Marginalisierung durch den „Arabischen Frühling“, den Bürgerkrieg in Syrien, aber auch den Konflikt um das iranische Atomprogramm, haben Gewalt und Diplomatie den Fall Palästina zurück auf die Agenda der internationalen Krisendiplomatie gebracht.
Ausgangspunkt Mitte November war die gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas in Folge dessen Letztere internationale Anerkennung durch Ägypten, Katar und Saudi-Arabien gewann. Am Donnerstag der vergangenen fand das Streben der Fatah-Bewegung unter Palästinenserpräsident Abbas nach Anerkennung Palästinas durch die Vereinten Nationen (UN) mit der Entscheidung der UN- Generalversammlung Palästina als Nicht-Mitgliedsstaat mit Beobachterstatus anzuerkennen ein vorläufiges Ende. Die rechtlichen Konsequenzen der Anerkennung Palästinas sind klar und begrenzt. Aber die politischen Folgen beider genannten Entwicklungen sind schwer abzuschätzen. Setzt Israel seine restriktive Politik (Siedlungsbau, Einbehaltung von Steuergeldern) weiterhin durch? Strebt die PLO eine Untersuchung des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Israel an? Gewinnen die moderaten Gruppen der Hamas (Interview mit Khaled Meshaal) die Oberhand und führen ihre Bewegung unter den Schirm der PLO? Wie gehen die USA und Europa weiter vor? Und: Wie geht es weiter mit dem Friedensprozess?
Jenseits dieser Fragen, weist die Entscheidung der Generalversammlung auf etwas Grundsätzliches hin: die Rolle internationaler Anerkennung in asymmetrischen Konflikten. Nicht nur in Palästina, auch im Kontext des „Arabischen Frühlings“ oder auch in Kolumbien, Nordirland, Indonesien ist dieses politische Instrument zur Anwendung gekommen. Aktuell wird es im Hinblick auf die Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte diskutiert.
Es gibt also eine gewisse Praxis internationaler Anerkennung in asymmetrischen Konflikten. Doch in der politikwissenschaftlichen Analyse globaler Politik findet diese nur wenig Niederschlag. Dabei bedürfte es einer systematischen und theoriegeleiteten Auswertung aktueller und historischer Fälle, um zu identifizieren, unter welchen Umständen welche Formen internationaler Anerkennung in asymmetrischen Konflikten welche Wirkung zeitigen. Nur so lassen sich fundierte Politikempfehlungen entwickeln.
Ein Blick auf die Historie des Nahost-Konflikts bietet sich an, um das Potential einer auf internationaler Anerkennung fokussierten Analyse asymmetrischer Konflikte zu unterstreichen.
Gegründet 1959, bemühte sich die Fatah vor Beginn des bewaffneten Kampfes um internationale Unterstützung. Tatsächlich erlaubten zwischen 1962 und 1964 Algerien, Syrien und China der Gruppe in ihren Hauptstädten Repräsentanzen zu eröffnen. Desweiteren unterstützten sie Fatah mit Waffen und Logistik. Allmählich gab auch Ägypten seine anfangs ablehnende Haltung auf und unterstütze die Wahl des Fatah-Vorsitzenden Yasser Arafat zum PLO-Vorsitzenden 1969. All diese Ereignisse sind Manifestationen internationaler Anerkennung. Da die benannten Staaten das Interesse der Fatah am bewaffneten Kampf teilten, trug ihre Anerkennung zur Fortführung und Eskalation desselben bei.
Ganz anders 1973 und 1974: Nach Jahren des transnationalen Terrorismus eines geheimen Fatah Ablegers, gewährte die Arabische Liga im November 1973 der PLO die Anerkennung als alleinige Vertreterin der Palästinenser. Dies aber nur geheim und unter der Bedingung, dass sich die Bewegung in Zurückhaltung übe. Die Sowjetunion versprach in demselben Monat die gleiche Form der Anerkennung, wenn sich die PLO mäßige und einen Palästinensischen Mini-Staat in den Grenzen von 1967 akzeptiere. Angesichts ihrer internationalen Isolation infolge der transnationalen Terrorkampagne, der Angst vor Marginalisierung und dem Druck ihrer Verbündeten beschloss die PLO 1974 die Gewalt zu de-eskalieren und die Ziele zu de-radikalisieren.
In der Folge sprach die Gruppe der blockfreien Staaten, die Organisation für Afrikanische Einheit, die Sowjetunion und die Arabische Liga der PLO die Anerkennung als alleinige Vertreterin der Palästinenser aus. Im November desselben Jahres gewährte die Generalversammlung der PLO den bis vor wenigen Tagen gültigen (und 1998 etwas erweiterten) Beobachterstatus. In diesem Fall löste die in Aussicht gestellte Anerkennung durch die Arabische Liga und die UDSSR die Moderation der PLO aus, während die breite internationale Anerkennung in der Folge diesen Wandel belohnte und stärkte.
Obgleich Vertreter aller Palästinenser wurde die PLO in der Folge vor allem seitens der (anderen) zentralen Akteure im Nahost-Konflikt, nämlich den USA und Israel, vom Verhandlungstisch ausgeschlossen. Die PLO reagierte mit der Wiederaufnahme von Terrorismus. Es ist plausibel anzunehmen, dass die Nicht-Anerkennung bzw. Missachtung der PLO zu dieser Eskalation der Gewalt beigetragen hat.
Alles in allem deuten diese kurzen Episoden an, dass Anerkennung und Nicht-Anerkennung zu De-Eskalation und Eskalation asymmetrischer Konflikte führen können. Ihre Folgen hängen dabei nicht nur von ihrem Grad, sondern auch von den Umständen ihrer Gewährung ab. Eine gründliche Analyse des Falls Palästina sowie anderer Fälle von Anerkennung und Nicht-Anerkennung in asymmetrischen Konflikten (IRA, FARC, MILF, LTTE etc.) kann Aufschluss geben über notwendige und hinreichende Bedingungen. Zur theoretischen Grundierung der Analyse bietet sich der Rekurs auf anerkennungstheoretische Studien symmetrischer – also zwischenstaatlicher – Konflikte (wie beispielsweise Lindemann 2010) an. Schließlich ist es plausibel anzunehmen, dass nicht-staatliche Akteure sowohl strategisch als auch psychologisch motiviert nach Anerkennung streben.
Gelingt es anerkennungstheoretischen Studien zu zeigen, unter welchen Umständen internationale Anerkennung zu De-Eskalation oder Konfliktlösung und Nicht-Anerkennung zu Eskalation führen können, würde daraus eine weitere Aufweichung der häufig proklamierten, doch faktisch obsoleten „no engagement“-Doktrin vieler Staaten gegenüber nicht-staatlichen (Gewalt-) Akteuren folgen.
Zurück zur Anerkennung Palästinas durch die UN und der Anerkennung der Hamas durch die arabischen Staaten: Was wird also (zum Fall der Hamas: ein Interview mit Prof. Dabashi)? Und wie soll mit der Fatah und der Hamas in Zukunft umgegangen werden? Diese (und andere) Fragen lassen sich an dieser Stelle sicher nicht ansatzweise beantworten. Um mittelfristig sprechfähiger zu werden, stünde es der politikwissenschaftlichen Analyse globaler Politik gut an, auf das politische Instrument internationaler Anerkennung zu fokussieren und es nicht links liegen zu lassen.
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