Von Andrea Jonjic, Philipp Offermann, Martin Schmetz und Thorsten Thiel
Das Internet ist ja per definitionem ein eher unordentlicher Ort. Das finden alle genau dann gut, wenn sich 14jährige Mädchen in Pakistan dadurch ausdrücken und emanzipieren können (auch wenn sich hinter einer solchen internet persona gerne mal ein alter weißer Mann verbirgt). Eher schlecht findet man es dagegen, wenn sich auch Fundamentalisten jeglicher couleur diese Freiheit im Netz zunutze machen. Da wollen die Innen- und Familienminister dieser Welt gleich regulieren, überwachen und strafen, doch... siehe oben. Zwischen diesen beiden Extrempolen pendeln sich die meisten Debatten über das Für und Wider der Internetnutzung ein. Auch in der Geisteswissenschaft - und dies hieß im konkreten Fall überwiegend: der Geschichtswissenschaft, wie wir auf einer Tagung in München feststellen konnten.
Die Welt hat das Bloggen für sich als Phänomen bereits akzeptiert, nur in der Wissenschaft und besonders im deutschen Biotop wird hier und da noch eingehend darüber debattiert, wie das alles funktionieren könnte und sollte. Anlässlich des Geburtstages von recensio.net fand in München eine Tagung unter dem Motto 'Rezensieren, Kommentieren, Bloggen' statt, und schon das setting war alles andere als unordentlich - in der Siemens-Stiftung am Schloss Nymphenburg öffnete ein Butler die Eingangstür. Auch der Start des deutschsprachigen Blogportals de.hypotheses.org hatte in der Akademie der Wissenschaften und damit in einem sehr feierlichen Rahmen stattgefunden. Ein Unterschied zu vorherigen Konferenzen war gleich zu erkennen - das Publikum war im Durchschnitt eher gesetzteren Alters, und trotz einzelner hochenthusiastischer Vorträge überwog doch eher die Skepsis.
Rezensieren
Das Unordentliche, das Unregulierte: Die Bedenken dagegen waren mit Händen zu greifen, als "Unsicherheitskonferenz" wurde die Veranstaltung gar in der SZ betitelt [SZ, vom 4.2., S. 9]. Historikerinnen sorgen sich nunmal um die Beständigkeit von Quellen - was ja auch erstmal richtig ist im schnelllebigen Internet, wo sich viel zu viele auf das Google-Gedächtnis oder die time machine zu verlassen versuchen. Aber: Dies befördert auch ein Denken, dass annimmt, dass bevor nicht ein paar Millionen lockergemacht werden von Förderer x oder Stiftung y, das nackte Chaos herrscht. Erst wenn ein großes Portal geschaffen ist, ein sicherer Anlaufhafen in der unordentlichen Netzwelt, kann überhaupt (Geschichts-)Wissenschaft im Internet beginnen. Wem dieses Argument nun arg feuilletonistisch-flockig erscheint, wurde offenbar noch nie von einem Podium voller Forschungsfunktionäre als "Anarchoblogger" bezeichnet. Darin wusste sich die versammelte Historikerzunft sogar mit Valentin Groebner einig, der sich ansonsten größte Mühe gab, mit seiner Keynote für Dissenz zu sorgen (der auch nachwirkt, siehe die Antwort von Klaus Graf). Dass er der geballten Gremienkompetenz einen Hang zum "weichen, warmen Hippie-Quatsch" unterstellte, war von außen betrachtet dann doch arg komisch.
Denn darin trafen sich doch die Einschätzungen im Raum und auf den Panels (von einigen Ausnahmen abgesehen): Dass Bloggen ein schönes Hobby für den Geisteswissenschaftler mit zu viel Freizeit sein könnte, niemals aber die etablierten Medien ersetzen oder sich gar zur Erstveröffentlichung wissenschaftlich ausformulierter Ideen eignen würde. Dem Medium Blog und an sich dem Internet wurde vorgeworfen, dass dort nichts jemals fertig sei, da immer im Nachhinein editiert werden könne: "[J]ene, denen der feste Aggregatzustand von Texten am besten schmeckt", wie Lilian Landes das in ihrem Fazit so treffend ausdrückt, waren in der Mehrzahl. Hinweise aus dem Publikum über die im Raum aufgestellte Twitterwall, oder dass man Änderungen z.B. in Wikis sehr genau nachvollziehen kann, wurden eher selten zur Kenntnis genommen. Das flüchtige Element des Bloggens kombiniert mit der ewigen Unfertigkeit eingestellter Artikel sorge dafür, dass wissenschaftliche Präzision verloren geht, so der Tenor.
Kommentieren
Die offene, eher unregulierte Kommentarkultur wurde ebenfalls nicht geschätzt - daraus könne sich kein ernsthafter wissenschaftlicher Diskurs entspinnen, denn jeder, auch Laien, könnte sich unerkannt in die Debatte einschleichen. Der Begriff 'Expertendämmerung' wurde hier eingeworfen und scheint, obwohl wohl niemand wirklich denkt, dass Experten obsolet werden, doch Stimmung gegen einen allzu offenen Zugang machen zu können. Wenn Kommentare von außen zugelassen werden, dann am besten unter Klarnamen und stark moderiert. Ein Vorgeschmack auf die dabei zu erwartende Debattenkultur ließ sich auch in den Tagungsdiskussionen beobachten, wo Fragen aus dem Publikum nur zu gerne zunächst mal vom jeweiligen Moderator kommentiert und halb beantwortet wurden.
Gerade das Thema Open Access wurde sehr lang und ausgiebig diskutiert. Interessanterweise überwog auch hier die Skepsis. Spezifisch hatte man Angst vor dem Verlust wissenschaftlicher Qualität, vor allem aber vor den hohen Kosten von Open Access. Insbesondere die Tatsache, dass in Zukunft die Autorinnen für die Publikation in Open Access-Journals zahlen müssten, wurde immer wieder als großes Problem angeführt. So ergab sich aus der Diskussion der Eindruck, dass das aktuelle Modell mit Zeitschriftenabos von großen Verlagen über Universitätsbibliotheken das billigere, also zu bevorzugende Modell sei. Erst eine Wortmeldung aus dem Publikum von einem Bibliothekar konnte die Idee in die Diskussion einbringen, dass auch Zeitschriftenabonnements bezahlt werden müssen - nur eben nicht aus den Professur-Etats.
Bloggen
Für eine Konferenz zum Thema Bloggen wurden diesen Themen skeptisch, ja fast schon feindselig behandelt. Wenn das Internet der Welt etwas zu bieten habe, dann höchstens entweder unfertiges oder unbrauchbares - immer eine Stufe schlechter als das analoge Äquivalent. Es überwog bei großen Teilen der Panels und aus dem Publikum Skepsis gegenüber offeneren, onlinebasierten Publikationsformen. Nicht nur die oben aufgeführten Punkte galten dabei, es wurde auch eine persönliche Überforderung durch das gefühlte konstante Bombardement mit Informationen aus dem Netz artikuliert. Man wolle eigentlich gar nicht dauernd digital erreichbar sein, so eine Panelistin. Interessanterweise wurde gleichzeitig Studenten vorgeworfen, von Computern und dem Internet überfordert zu sein und gerade daher nicht die Angebote zu finden, die man sich zu schaffen bemühe.
Letztlich, so dann die Stimmung im Raum, kann ein Blog nicht wissenschaftlich voll anerkannt werden - ebensowenig wie andere, reine Onlineplattformen, auf denen wissenschaftliche Ideen publiziert werden könnten. Akzeptabel in dem Rahmen sind Onlineveröffentlichungen von auch im Print erscheinenden Journals, rein online erscheinende Journals die am besten auch noch Open Access sind wurden hingegen sehr kritisch gesehen. So legitim diese Argumentation ja stellenweise sein mag: Ist ihr großes Problem nicht, dass Bloggen gar nicht den Aufsatz und das Internet das Buch ersetzen will?
So ging ein wenig unter, dass so mancher Referent sehr wohl viel stärker differenzierte und offensichtliche Begeisterung mitbrachte und recensio.net selbst ja eine erfolgreiche und hochinteressante Idee ist, für die es in den Sozialwissenschaften beispielsweise kein gutes Äquivalent gibt. Es wurden Denkanstöße zu Open Access, etwa aus England, vorgetragen, der weitere Aufbau von Onlinedatenbanken für Historiker und die Vernetzung mit anderen europäischen Forschungseinrichtungen diskutiert - die Bausteine für eine vielleicht weniger abwehrende Auseinandersetzung waren also da. Immerhin, es wurde eifrig kommentiert und auch gebloggt - es soll also keiner sagen, dass der Titel nicht gestimmt hat.
Fazit
Das Internet bietet Platz für einfach alles, räumlich wie ideell. Dass es dabei auch sehr verschiedene Konzeptionen vom Netz und seiner Nutzung durch die Wissenschaft geben kann, hat uns diese Tagung sehr deutlich vor Augen geführt. Man kann das Netz als ausgeweitete Kampfzone im Spiel um die üblichen Fördergelder begreifen, doch wird man dessen Besonderheit damit gerade nicht gerecht. Man mag uns Anarchos oder Hippies nennen, aber liegt nicht gerade im Schnellen, im Unfertigen, im nicht ewig peer-reviewten Text die sinnvolle Ergänzung zur bräsigen Gremien-Wissenschaft?
Es freut mich, dass nicht alle Blogger dem Bloggen feindlich gegenüber stehen. Ich bin auch ein großer Fan des Mediums, aber der Fall Historiker zeigt eben ziemlich gut, wie unterschiedlich die verschiedene Diskursformen sein können. Es kann sein, dass die Historiker einfach an etwas anderes und wertwolles gewohnt sind, ohne dass ihre Alternative schlechter ist. Was meine ich?
1. Historiker, besonders die weniger theoretisch arbeitende Quellensammler, legen viel Wert auf Genauigkeit und Richtigkeit, denn sie wissen, dass was auch immer schließlich archiviert wird, bildet die Wirklichkeit der Zukunft ab. Wer für Katyn verantwortlich war, wissen wir jetzt, aber es war eine knappe Sache. Wie viele falsche Einträge ins Geschichtsbuch gibt es, von denen wir nicht wissen, und von denen wir nicht wissen können. Wenn ein Blogger – oder gar ein Spiegelredakteur – sich irrt, wie viele werden es glauben? Wie viele müssen es glauben, bis es keinen Streit mehr zulässt und als rezipierte Wahrheit angenommen wird? A sticht in time, halt.
2. Die zeitliche Unmittelbarkeit einer Diskussion im Blog über ein aktuelles Thema, vielleicht sogar in real time, wie das Liveblog zur Sicherheitskonferenz, ist eine große Stärke des Mediums. Andererseits ist die Bedeutung von den Objekten solcher Diskussionen zwangsläufig begrenzt, denn es geht sofort zum nächsten Thema morgen, nächster Woche, in 30 Minuten. Fragen wie “Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?” können nur flüchtig beantwortet werden, und die Antworten werden wenig Bestand haben. Ein Historiker hingegen kann gerne über die Bedeutung von Thermopylae oder Canossa führen mit Blick darauf, was es bedeutet hat, was es jetzt bedeutet, und was sagt einen solchen Unterschied über uns aus?
Ich glaube es euch, dass die Historiker wenig bereit waren, sich dem neuen Medium anzupassen, und dass sie sich bestimmt zu wenig Mühe gemacht haben, es zu verstehen. Aber diese Sturheit ist bestimmt eine ihrer Stärken. Besser wäre es bestimmt, die Stärken und Schwächen verschiedener Diskurstypen und Medien aufzuzeigen, und jedem seinen Stärken zu lassen. Viele Wege führen nach Rom, was schön ist. Aber diese viele Wege sind unerlässlich, wenn man auch nach Paris, Petersburg, oder Ulan Bator will.
“Es kann sein, dass die Historiker einfach an etwas anderes und wertwolles gewohnt sind, ohne dass ihre Alternative schlechter ist.”
Unbedingt! Und das soll hier auch keinesfalls anders verstanden werden. Nach dem Nuklearkrieg, wenn nur noch die Kakerlaken hier herumstreunern, werden sie hypotheses.org lesen, nicht die Anarchos vom Theorieblog. Wahrscheinlich jedenfalls. Oder Steintafeln in Keilschrift – war das nicht das dauerhafteste Medium, welches die Menschheit je hervorgebracht hat?
“Steintafeln in Keilschrift – war das nicht das dauerhafteste Medium, welches die Menschheit je hervorgebracht hat?”
Ich befürchte, es ist mittlerweile das Medium, dass sich selbst reproduzieren kann – bzw. absichtlich veränderte Genen. Die Kakerlakenmenschen der Zukunft (Hochlebe König Müllfresser!) werden sich wenig über die Steintafeln rätseln aber sehr über die Tomaten mit Fischgenen drin, wofür sie uns nicht vergeben werden – zurecht.
Erinnert mich an http://www.mfromm.de/2012/12/braucht-die-wissenschaft-mehr-marketing-fwk2012-2/
Auch wenn es beim “Forum Wissenschaftskommunikation” weniger skeptisch zugegangen zu sein scheint, bleibt die Tendenz dieselbe.