Kritische Polizeiforschung: Ein unvollständiger Tagungsbericht

von Martin Schmetz

Sich kritisch mit der Polizei, ihren Aktivitäten und ihrem Selbstbild auseinanderzusetzen scheint dieser Tage en vogue zu sein. Die Fälle NSU, Staatstrojaner, Polizeigewalt in Bayern, die Hausdurchsuchung bei Journalisten in Frankfurt und andere Fälle geben mehr als genug Anlass dazu. Dies auch auf wissenschaftlich reflektierte Weise zu tun und sich über den aktuellen Stand dieser Forschung auszutauschen war Sinn der Tagung "Kritische Polizeiforschung in Deutschland – Stand und Perspektiven" [Ankündigung], die am 8. und 9. Februar in Frankfurt an der Goethe-Universität statt fand.

Nun sei gleich vorweg darauf hin gewiesen, dass ich lediglich am Freitag anwesend sein konnte und dies deshalb kein vollständiger Tagungsbericht sein kann. Wohl aber gab es mehr als genug Denkanstöße bei den Vorträgen am Freitag, um sich mit den Vorträgen auf diesem Blog ein wenig auseinander zu setzen, denn gleich mehrere Ideen tauchten in unterschiedlichen Kontexten und Vorträgen immer wieder auf.

Das Management öffentlicher Sicherheit und die daraus resultierenden Anforderungen an die Polizei ändern sich. Volker Eick thematisiert dies unter dem Titel „Neuordnung oder Ausweitung der Kampfzone“ und es ist wohl beides. Mit dem Neuen Steuerungsmodel, also der Übertragung volkswirtschaftlicher Managementprinzipien auf die öffentliche Verwaltung geht eine Auslagerung polizeilicher Ordnungsarbeit an private Sicherheitskräfte einher. Das kann zum Beispiel die Form von sogenannten „Business Improvement Districts“ annehmen. Auch City-Streifen werden von den Kommunen – mit Verweis auf die knappe Finanzlage und mangelhafte personelle Ausstattung der Polizei – gerne an private Dienstleister ausgelagert. Problematisch daran ist, dass dies die längste Zeit nicht vom Gesetzgeber verregelt war, und teilweise bis heute nicht ist. So gibt es zum Beispiel überhaupt erst seit 2011 einen bundesweiten Überblick über die Vereinbarungen und Verträge der öffentlichen Hand mit privaten Sicherheitsunternehmen – obwohl dieses Geschäft natürlich schon viel länger läuft. Ebenfalls problematisch sind die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt: Die Beschäftigten arbeiten oft in prekären Lohnverhältnissen oder gehen ihrer Tätigkeit als Sicherheitskraft direkt im Rahmen einer Hartz IV-Maßnahme nach. In alledem sieht Volker Eick allerdings nicht eine Unterminierung des staatlichen Gewaltmonopols, sondern vielmehr eine Verlängerung.

Ebenfalls folgt aus diesem Trend eine Veränderung im Management von Sicherheit durch die Polizei und andere Behörden. In ihrem Vortrag thematisiert Jenny Künkel, die das Forschungsprojekt „Policing American Style in Frankfurt am Main?“ bearbeitet, dies exemplarisch anhand des Bahnhofsviertels in Frankfurt. Durch gezielte Maßnahmen sollen Kriminalität und unerwünschte soziale Erscheinungen wie Drogenkonsum und Prostitution aus dem Viertel abgedrängt oder wenigstens in streng abgegrenzten Gebieten konzentriert werden, auf dass der Rest des Viertels als Wohnraum aufgewertet werde. Die Maßnahmen im Bahnhofsviertel ziehen – neben dem Effekt und Werkzeug der Gentrifizierung – vor allem eine Konzentration auf öffentliche Räume in der Innenstadt nach sich. Die Polizei zeigt dort verstärkte Präsenz und greift bei speziellen Delikten, etwa Drogenhandel und –konsum, härter durch. In der Peripherie hingegen findet gleichzeitig eine Entprofessonalisierung der Polizei statt: Da die Kapazitäten nicht für alle Gebiete gleichermaßen ausreichen, wird an Personal und Aufklärung notgedrungen gespart.

Wie das ganze enden kann, wird im Vortrag von Christian Mouhanna vom Center for Sociological Research on Law and Criminal Justice Institutions in Frankreich deutlich: Dort wurde unter der Regierung Sarkozy gezielt das Neue Steuerungsmodel umgesetzt. Es wurden Zielvorgaben gemacht die zum Ende des Jahres zu erreichen waren, jeder Euro, jedes Revier und jeder Polizist musste gerechtfertigt werden. Da sich nur auf Statistiken gestützt wurde – und das erreichen der Zielvorgaben mit finanziellen Boni bzw. das Nichterreichen mit finanziellen Sanktionen einher ging – änderte sich schnell das Verhalten der Polizisten vor Ort: Interesse bestand weniger an der Aufklärung von Verbrechen als an der Erfüllung der statistischen Verbrechensvorhersagen für das kommende Jahr. Wichtig war auch eine möglichst hohe Aufklärungsrate. Diese wurde bei Drogenvergehen beispielsweise mit möglichst geringem finanziellen und personellen Aufwand erreicht, in dem man Junkies mit kleinen Mengen festnahm – der Beweis wurde ja gleich mitgeliefert. Eine Ermittlung gegen einen Dealerring ist hingegen bedeutend schwieriger und nicht zwingend von Erfolg gekrönt. Entsprechend verweist Mouhanna dann auch auf eine Statistik nach der ¼ bis 1/3 der angezeigten Verbrechen wenn überhaupt nur extrem widerwillig aufgenommen wurden – sie waren einfach schlecht für die Statistik und mit viel Arbeit verbunden. Ebenso ging mit dieser Statistikfixierung auch eine Marginalisierung von Sozialforschung, speziell der Polizeiforschung einher – diese hätte ja kritische Hinweise darauf liefern können, dass trotz des durch die Statistiken suggerierten Erfolgs einiges schief läuft.

Eine weitere Folge dieser Politik war laut Mouhanna ein rapider Verlust im Ansehen der Polizei in der allgemeinen Bevölkerung. Durch Finanzkürzungen und die oben erwähnte veränderte Polizeipolitik waren Polizisten in der Öffentlichkeit weniger sichtbar, und wenn, dann nur um möglichst hart durchzugreifen – Sarkozy förderte diese dichotome Trennung zwischen „gut“ (Polizei) und „böse“ (Verbrecher, aber auch jugendliche in Banlieues) durch öffentliche Äußerungen noch. Der Vortrag von Mélina Germes bestätigt dies: Der untersuchte Diskurs von Polizisten in Banlieues zeigt eine klare Abgrenzung zwischen ihnen (als Vertretern und Beschützern des Staates, nicht der Bürger) und den Kriminellen sowie den Bewohnern des Banlieues. Letztere werden fast durchgängig negativ konnotiert dargestellt. Auf Ähnliches verweist Jenny Künkel, nicht nur in der Wahrnehmung der Polizei, sondern auch der Prostitution: Im öffentlichen Diskurs wird die Straßenprostitution kontrastiert mit „niveauvoller Prostitution“ außerhalb des Bahnhofsviertels in exklusiveren Etablissements.

In die Wahrnehmung von Kriminalität spielt aber auch die oben schon thematisierte Statistik wieder mit rein. Bernd Belina zeigte dies an Hand der bekannten Karten über die Kriminalitätsverteilung in Deutschland auf Basis der polizeilichen Kriminalstatistik. Nur zeigt diese Karte nicht eine Kriminalitätsverteilung, sondern eine Verteilung der polizeilichen Anzeigenaktivität. Jedoch werden diese Kriminalitätskarten in der Öffentlichkeit gerne unkritisch aufgenommen, denn sie machen ein abstraktes Konzept, nämlich die räumliche Kriminalitätsverteilung, auf scheinbar objektive Weise sichtbar. Ebenso hat sie Auswirkungen auf das Polizeihandeln – die Gebiete mit hoher Anzeigenaktivität natürlich als viel gefährlicher einschätzen – aber auch auf die öffentliche Sicherheitswahrnehmung. Das Resultat ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Wird eine höhere Kriminalität in einem Gebiet registriert, zieht sie höhere Polizeiaktivität nach sich. Man führt mehr Kontrollen durch und wird so auch mehr Anzeigen aufnehmen, da schlicht insgesamt mehr Fälle in diesem Gebiet behandelt werden. Somit steigt scheinbar die Kriminalitätsrate in dem Gebiet weiter an – ganze Gebiete werden so „kriminalisiert“, jedenfalls von außen gesehen.

In Städten führt dies zu räumlicher Ungleichheit, die eher selten aktiv thematisiert oder gar bekämpft wird: Es gibt eben "schlechte" und "gute" Gebiete. Im Konkurrenzkampf zwischen Städten sieht es dagegen anders aus. Wenn eine Stadt wie Frankfurt eine im bundesweiten Vergleich hohe Kriminalitätsquote hat, wird in offiziellen Verlautbarungen gerne darauf hingewiesen, dass in diese Quote beispielsweise auch Schwarzfahrer eingehen, von denen Frankfurt als Messestadt natürlich überdurchschnittlich viele hat. Wenn es darum geht, die eigene Stadt gut aussehen zu lassen, so Belina, sind auf einmal wieder alle Konstruktivisten.

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