von Martin Schmetz
So scheint für Innenminister Friedrich der Art. 1 des Grundgesetzes zu lauten - zumindest legt seine Rede vom Supergrundrecht Sicherheit dies nahe. Durchaus berechtigt warnt man, mit Verweis auf PRISM, Drohneneinsätze, Vorratsdatenspeicherung oder Folter, in Deutschland und vielen anderen westlichen Demokratien vor der Erodierung der Grundrechte und arbeitet sich an der Kritik dieser Programme ab. Leider ist diese Strategie der Kritik zum Scheitern verurteilt, denn sie schaut nur auf Symptome, nicht aber die Ursachen.
Die Ereignisse überschlagen sich momentan: Die PRISM-Leaks scheinen nicht aufhören zu wollen und die deutsche Öffentlichkeit sieht sich nun endgültig mit einer Verbindung zwischen PRISM, dem BND und dem Bundeskanzleramt konfrontiert. Drohnen werden weltweit eingesetzt um Menschen zu töten, informell und ohne Kriegserklärung. Betroffen von den Drohneneinsätzen ist auch die Zivilbevölkerung, und zwar vermutlich mehr als bei Einsätzen mit bemannten Flugzeugen. Und wenn Deutschland bis jetzt kein erfolgreiches Drohnenprogramm hat, so ist dies nicht mangelndem politischen Willen sondern vor allem mangelhafter bürokratischer Organisation geschuldet. Zum Schutz der Bevölkerung vor Anschlägen darf gefoltert werden, so lange dies in anderen Ländern passiert. Die Informationen, die dabei gewonnen werden, werden aber gerne genommen. Gefilmt, abgehört und gespeichert wird man sowieso überall. All dies geschieht im Namen unserer Sicherheit – so die Rechtfertigung.
Die Kritik an all diesen Programmen ist bekannt. Drohnenangriffe wurden auch in diesem Blog bereits breit diskutiert, sei es nun aus völkerrechtlicher oder aus ethischer Sicht. Überwachung ist vor allem in Deutschland zunehmendem Gegenwind ausgesetzt, und die Vorratsdatenspeicherung sowie PRISM und die damit assoziierten Programme verstärken das diffuse Gefühl beim Bürger, irgendwie immer beobachtet zu werden. Selbst das Bundesverfassungsgericht attestiert im Urteil zur Vorratsdatenspeicherung genau diesen inzwischen normal gewordenen Daseinszustand.
Die meisten Kritikpunkte an diesen Programmen sind absolut gerechtfertigt. Jedes für sich genommen erodiert die Grundrechte, und es scheint erst mal nicht unbedingt diskursiv notwendig, die Vorratsdatenspeicherung, Guantanamo Bay und Drohneneinsätze direkt miteinander zu verbinden. Schaut man sich jedoch die Begründung aller bis jetzt genannten Programme an, so gibt es immer einen gemeinsamen Nenner: Bedrohung für uns, die Gesellschaft, ist der internationale Terror. Meist wird dieser Begriff synonym mit islamistischem Terror verwendet, aber er muss nicht weiter expliziert werden, um seine diskursive Macht zu entfalten. Terror ist gefährlich, ist potenziell überall und kann jeden von uns treffen. Um Anschläge zu verhindern, müssen wir die Einschränkung unserer Grundrechte in Kauf nehmen – Sicherheit wird so zwangsläufig zu Friedrichs Supergrundrecht, denn scheinbar erlaubt uns nur Sicherheit überhaupt die Ausübung unserer anderen Grundrechte.
Wird von Versicherheitlichung gesprochen – also dem Prozess, einen gewissen Politikbereich durch den Verweis auf wie auch immer geartete Bedrohungen den normalen demokratischen Kontrollmechanismen zu entziehen – so wird im Allgemeinen auf einen Teilbereich der Gesellschaft, der Werte, einer Institution oder des politischen Prozess verwiesen. Terror aber betrifft im Kern die Gesellschaft. Und mit der Gesellschaft im Krieg gegen den Terror wird alles versicherheitlicht. Entsprechend gilt die Ausnahmelogik einer akuten Bedrohungssituation auf einmal auch in allen Bereichen der Politik.
Aus demokratischer Sicht ist dies offensichtlich problematisch. Aus gutem Grund sind die Verweise in unserer Verfassung auf Menschenrechte, Menschenwürde und Freiheit an vorderster Stelle – sie sind zentrale Elemente einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft. Gesellschaftliche Sicherheit taucht in unserer Verfassung nur implizit auf – ebenso auch in der amerikanischen, übrigens. Dabei muss mit der Durchführung von Überwachung, Drohnenangriffen und Folter nicht einmal direkt negativ Einfluss auf das Leben der Staatsbürger genommen werden, um die Demokratie zu gefährden. Der Staat muss nicht die Überwachungsdaten von jedem direkt nutzen, um gegen viele vorzugehen und so die Demokratie einzuschränken. Es reicht das Wissen beim Einzelnen, dass dies potenziell möglich ist. Denn wer sich nicht mehr frei fühlt, wird auch nicht so handeln – die realen Auswirkungen sind also trotzdem gegeben.
Empirisch ist auch fragwürdig, ob der gesamte Krieg gegen den Terror und seine Werkzeuge wirksam sind. Bis jetzt konnte kein Anschlag nachweislich durch massenhafte Überwachung verhindert werden – oder dies wurde nie so nach außen kommuniziert. Die Öffentlichkeit wird stattdessen mit höchst ungenauen Angaben über den Erfolg der Maßnahmen abgespeist. Nur die Zahl der in Deutschland beispielsweise verhinderten Anschläge scheint mit jeder weiteren Nachfrage nach genaueren Angaben nach unten korrigiert werden zu müssen bis nichts mehr übrig bleibt, was die Glaubwürdigkeit der Aussage nicht stärkt. Der Erfolg von Drohnen und Folter sieht ebenfalls bis jetzt recht mäßig aus, vor allem wenn man mittel- und langfristige Faktoren wie negative Auswirkungen auf das Ansehen eines Staats mit in die Kalkulation einbezieht. In Jemen scheinen die Drohneneinsätze etwa zu verstärkter Radikalisierung zu führen.
Und so haben wir es mit einer bei Lichte betrachtet durchaus widerlegbaren Narrative – dem Krieg gegen den Terror – zu tun, die aber wirkungsmächtig genug ist um die demokratische Gesellschaft in ihren Grundfesten anzugreifen. Es wird Zeit, dieser Bedrohung nicht auf Nebenschauplätzen der einzelnen Auswirkungen zu begegnen, sondern sie direkt argumentativ zu bekämpfen. PRISM, Drohnen, Vorratsdatenspeicherung, Folter und so weiter werden nicht verschwinden, solange der Krieg gegen den Terror andauert.
1 Kommentar