von Valentin Rauer
In der ARD wurde kürzlich ein interessanter Dokumentarfilm über das „tödliche Drama von Bad Kleinen“ gezeigt.1 Im Jahr 1993 starben ein RAF-Terrorist und ein Beamter beim Versuch der Festnahme durch die GSG 9, und der damalige Innenminister Rudolf Seiters trat zurück. Interessant sind die Anschuldigung der damals Verantwortlichen gegen Seiters im Film: Er sei nur zurückgetreten, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Diese Aussagen klingen eigentümlich widersprüchlich angesichts des medialen Dauerbrenners zur Drohnenaffäre um den aktuellen Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Denn hier lautet eine Argumentation, etwa des ehemaligen Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin: es wäre gut für die Demokratie, wenn der Minister durch seinen Rücktritt die politische Verantwortung übernehmen würde (taz vom 27./28. Juli 2013, S. 21f). Sind die politische Rücktritte also bloß ein Mediendrama, oder sind sie ein Zeichen für eine funktionierende Demokratie?
Nida-Rümelin erklärt in dem Interview die demokratische Funktion von politischer Verantwortung damit, dass völlig intransparente Bürokratien über politische Belange entscheiden. Nur der Chef dieser Bürokratien, der Minister, ist von den Wählern erreichbar. Nur der Minister ist transparent, nicht die Beamten. Im Falle der Euro-Hawk-Drohnenaffäre müsse er deshalb zurücktreten, angesichts der vielen verschwendeten Millionen und er mangelnder Informationspolitik für die Öffentlichkeit. Soweit so gut. Doch was war mit Seiters? Laut der damals verantwortlichen Beamten fühlten sie sich im Stich gelassen in der Öffentlichkeit. Der Tod des Beamten und des Terroristen wirkte in den Medien wie ein Fanal auf die Sicherheitsbürokratie, durch den Rücktritt des Innenministers sei dieser Eindruck nur verstärkt worden. Glaubt man diesen Aussagen der damaligen Beamten, so war Seiters Rücktritt kein Zeichen von politischer Verantwortungsübernahme, sondern von Verantwortungslosigkeit, frei nach dem Motto „nach mir die Sintflut“.
Hier scheinen also zwei Lesarten im Widerspruch zueinander zu stehen:. Die politische Öffentlichkeit fordert Verantwortungsübernahme durch Rücktritt, ehemals verantwortliche Beamten bewerten eben diesen Rücktritt als verantwortungslos. Zunächst ist zu klären, was der Unterschied zwischen persönlicher und politischer Verantwortung ist: persönliche Verantwortung trägt ein Akteur nur für seine eigenen Entscheidungen, und auch nur dann, wenn er diese Entscheidungen freiwillig und im vollen Bewusstsein und Wissen um die Folgen getroffen hat. Wenn also Klaus Wowereit sagt, er übernehme keine persönliche Verantwortung für die „mehrfache Verschiebung der Eröffnung“ (taz 27/28 Juli 2013, S. 21) des Berliner Flughafens, dann ist ihm nur zuzustimmen. Niemand nimmt an, dass er persönlich sich entscheiden konnte, den Termin zu verschieben oder einzuhalten. Eine solche persönliche Verantwortungsübernahme wird öffentlich aber auch gar nicht gefordert. Rücktritte entscheiden sich nicht an persönlicher Verantwortung, sondern an politischer Verantwortung. Diese besagt, dass für die politische Öffentlichkeit ein reaktives Prinzip existieren muss, wenn es zu politischen Fehlentwicklungen kam. Die politische Verantwortung ist also eine stellvertretende Verantwortung für eine Institution, für einen Funktionszusammenhang oder Entscheidungsbereiche, an dem viele Akteure mitbeteiligt sind. Persönliche Verantwortung ist juridisch, politische Verantwortung ist immer auch ein stückweit symbolisch. Doch sie erschöpft sich nicht in der Symbolik. Das Konzept der politischen Verantwortung schafft auch Handlungsspielräume, ein gewisses Maß an Entscheidungsfreiheit, damit in einem unvorhergesehenen Fall, Entscheidungen getroffen werden können, die möglicherweise nicht dem vorab formulierten Protokoll entsprechen. Gleichzeitig impliziert Verantwortung dabei die Pflicht, ex post Rede-und-Antwort stehen zu müssen, d.h. die Entscheidung zu rechtfertigen vor einem Publikum wie der medialen Öffentlichkeit. Das Konzept ermöglich also beides: Entscheidungsspielräume einerseits und öffentliche Rechtfertigungsansprüche andererseits. Dies ist die demokratische Funktion der politischen Verantwortung, nicht aber der persönlichen Verantwortung.
Doch wann greift politische, wann persönliche Verantwortung? Nida-Rümelin sagt, dass darüber die mediale Debatte entscheidet. Wenn es zum Ruf nach politischer Verantwortungsübernahme komme, dann sei es soweit. Die Interviewer von der taz entgegneten ihm: „Danke, diese Verantwortung lehnen wir ab“ (ebd.). Wer oder was ist also dann für die Übernahme von politischer Verantwortung verantwortlich? Wenn es nicht die inhaltlichen Probleme sind, nicht die Medien, nicht die Politiker?
Wahrscheinlich ist es ein Gleichgewicht zwischen allen drei Faktoren. Die betroffenen Politiker müssen ihr Amt noch weiter ausüben wollen, sonst geht’s eh ganz schnell. Dann müssen wohl auch die Beamten wollen. So hat im Fall de Maizière sein Staatssekretär die „volle Verantwortung“ übernommen – ein Beamter, der Laut Minister „herausragendes geleistet“ hat. Danach wären unter Umständen auch die leitenden Beamten in der Seiters-Affäre zu fragen, die sich heute im Stich gelassen fühlen: Haben und hätten sie damals auch diese "volle Verantwortung" übernommen für ihren Minister? Und dann müssen offenbar auch die Medien wollen, wenigsten ein wenig. Sind politische Rücktritte also nur ein Mediendrama oder ein Zeichen für Demokratie? Die Antwort lautet: beides. Für die Medien sind ja/nein-Fragen immer von hohem Nachrichtenwert. Die Phase vor einem möglichen Rücktritt erlaubt dramatische Erzählungen, Liveticker, Sondersendungen und -seiten: Der erfolgreiche Anfang, die schleichende Krise, die Zuspitzung, die Entscheidung… In dieser narrativen Struktur ist ein solcher Plot immer irgendwie vertraut und unterhaltsam. Gleichzeitig sind politische Rücktritte aber auch ein deliberatives Instrument, politisches Führungspersonal nicht nur mit Wahlen zu kontrollieren, sondern auch mit Debatten. Trotz aller narrativen Theatralität ist der Spannungsbogen eines politischen Rücktritts auch demokratiefördernd. Er steigert er die öffentliche Aufmerksamkeit für Politik an sich.
Jedoch: über die eigentliche wirklich brisante Fragen der Euro-Hawk-Affäre, ob denn überhaupt autonome robotische Systeme nützen oder nicht – ob diese Systeme die globale Sicherheit erhöhen oder unterminieren – darüber wird momentan kaum medial diskutiert. Personale Rücktritte sind leicht im Sinne der Demokratie dramatisierbar, Fragen nach der Legitimität sicherheitspolitischer Entscheidungen haben es da leider schwere
- http://mediathek.daserste.de/sendungen_a-z/799280_reportage-dokumentation/15372648_zugriff-im-tunnel-das-toedliche-drama-von-bad ↩