von Philipp Offermann
In der Süddeutschen Zeitung tauchte am vergangenen Montag eine wirklich verblüffende Forderung auf. Der Dresdner Rechtsanwalt Thomas Giesen verstieg sich dort zum Ruf nach einem staatlichen Wissensmonopol, analog zur "mühsam erkämpften Errungenschaft" des Monopols auf legitime Gewaltanwendung. Das Netz "als unzensierter Raum, zugänglich für jeden und für alle noch so verdorbenen Inhalte" - mit dieser hippiesken Träumerei sei es doch nun wirklich einmal genug, so der ehemalige sächsische Datenchutzbeauftragte. Doch wohin ein solches staatliches Wissensmonopol führen kann, demonstrierte in diesen Tagen eindrucksvoll die britische Regierung durch die Festsetzung des Lebensgefährten von Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald sowie die Zerstörung von Quellenmaterial des Guardian. Die Sicherheitsbehörden wollen also nicht nur alles wissen, sie wollen darüber verfügen, wer was zu wissen hat und auch die Konsequenzen aus diesem Wissen ungestört verfolgen. Damit gebärden sie sich schon jetzt wie ein Monopolist - und entlarven diese sicher gut gemeinte Idee als totalitäre Phantasie.
Großbritannien schien ja immer ein wenig zu kurz zu kommen in den unzähligen Geheimdienst-Debatten der letzten Wochen. PRISM oder XKeyScore schlugen in der öffentlichen Wahrnehmung das britische Tempora-Programm aus dem Feld, Verfassungsminister Friedrich reiste nach Washington, nicht nach London - und versuchte anfangs gar, die aufkommende Fassungslosigkeit dem linken Anti-Amerikanismus zuzuschreiben. Dies ist insofern erstaunlich, als die Offenlegung des britischen Tempora-Programms schon früh die annähernd totale Überwachung des Datenverkehrs durch einen Geheimdienst bestätigte, während die Informationen über vergleichbare Praktiken von US-Diensten lange Zeit als ungesichert galten.
Doch diese Woche hat sich Großbritannien wieder eindrucksvoll auf der Bühne zurückgemeldet durch seine Maßnahmen gegen den Guardian und seine Journalisten. Zuerst wurde der Lebensgefährte des Guardian-Journalisten Greenwald auf der Durchreise festgesetzt und befragt - sämtliche Datenträger und Dokumente blieben in England, als er schließlich seine Reise fortsetzen konnte. In Reaktion auf diese Maßnahme wurde anschließend bekannt, dass der Geheimdienst GCHQ die Vernichtung von Datenträgern mit Geheimdienst-Materialien beim Guardian erzwungen und die Durchführung persönlich überwacht hat.
Grundlage dieser Maßnahmen ist - wie schon so oft in den letzten zehn Jahren - der Krieg gegen den Terrorismus. Das Narrativ der Terrorbekämpfung machte die Festsetzung von David Miranda überhaupt erst möglich, da diese nach dem Terrorism Act legitimiert wurde. Auf dieser Basis dürfen britische Sicherheitsbeamte nun offensichtlich eine Person bis zu neun Stunden festhalten, um zu überprüfen, ob sie ein Terrorverdächtiger sein könnte. Das klingt, zumal für einen rechtlichen Laien, ganz schön weitreichend und liest sich im Original so:
Damit wird es spannend sein, wie die britischen Behörden den Eingriff in diesem Fall rechtfertigen werden - falls sie es überhaupt müssen, denn diese Regel gilt auch anlasslos, wie der folgende Abschnitt (2) präzisiert: "An examining officer may exercise his powers under this paragraph whether or not he has grounds for suspecting that a person falls within [the terrorist definition]." [Sektion 40]
Ob es für die Vernichtung der Guardian-Festplatten mit Quellenmaterial eine vergleichbare konkrete Gesetzesgrundlage gibt, ist momentan unklar. Wahrscheinlich handelte es sich um einen eher informell ausgehandelten Akt staatlicher Sicherheitsgewährleistung, zumal Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger offenbar dieser symbolischen Maßnahme zugestimmt hatte. Auch eine solche Maßnahme wäre ohne die Terrorgefahr nur schwer vorstellbar. Denn auch der Feind könnte ja Zeitung lesen. Bemerkenswert sind allerdings die ersten Versuche einer Rechtfertigung dieses sehr direkten Eingriffs in die Pressefreiheit. Denn die Beurteilung, ob eine Information die Sicherheit des Staates gefährden kann oder nicht, liegt offenbar alleine bei den Behörden. Der Vorsitzende des britischen Intelligence and Security Committee, Sir Malcolm Rifkind, brachte diesen Punkt gestern in der BBC sehr prägnant auf den Punkt:
Nun ist es mittlerweile tatsächlich keine große Überraschung mehr, dass bei Maßnahmen staatlicher Sicherheitsbehörden andere Freiheitsrechte wie etwa die Pressefreiheit hinter der Abwehr von Terrorgefahren zurückstehen müssen. Selbst die Sippenhaft scheint wieder zulässig, wenn die Flugreisen des Partners eines Enthüllungsjournalisten verfolgt werden. Dass wir aber auch im Jahre 2013 noch immer mit den gleichen altbackenen Floskeln abgespeist werden, sinngemäß also "Die Geheimnisse sind geheim, weil sie geheim sind. Ob diese Einschätzung stimmt oder nicht, kann niemand wissen, der die geheimen Fakten nicht kennt" - das ist nicht nur ermüdend, sondern gerade zu ärgerlich. Machen Regierungen eigentlich keine Fehler? Wissen sie alles, was es zu wissen gibt? Und ziehen sie denn aus diesem umfassenden alleinigen Wissen auch immer die richtigen Schlüsse? Schon Donald Rumsfeld, der ehemals oberste Feldherr im Krieg gegen den Terror, sinnierte bereits über die Grenzen staatlichen Wissens:
The Unknown
As we know,
there are known knowns.
There are things we know we know.
We also know
there are known unknowns.
That is to say
we know there are some things
we do not know.
But there are also unknown unknowns,
the ones we don’t know
we don’t know.
Wir haben hier vor einigen Wochen bereits darauf hingewiesen, dass der Krieg gegen den Terrorismus eigentlich im Zentrum der Kritik an vielen einzelnen Sicherheitsprogrammen stehen sollte: "Es wird Zeit, dieser Bedrohung [für die demokratische Gesellschaft] nicht auf Nebenschauplätzen der einzelnen Auswirkungen zu begegnen, sondern sie direkt argumentativ zu bekämpfen. PRISM, Drohnen, Vorratsdatenspeicherung, Folter und so weiter werden nicht verschwinden, solange der Krieg gegen den Terror andauert." [Quelle]. Die große Gefahr, die in dieser Erzählung und in den darauf basierenden Gesetzen liegt, ist wesentlich durch diese spezifische Form der Definitionsmacht begründet. Sollten wir aber nicht die Beschneidung der Eingriffsmöglichkeiten anderer, nicht-staatlicher Akteure in diese staatliche Definitionsfrage hinnehmen? Oder, in den Worten des Datenschützers Giesen: "[M]üssen dann nicht Polizei und Geheimdienste [zur Gefahrenabwehr] die Daten regelmäßig elektronisch durchkämmen und im Fall eines schweren Gefahrenverdachts personengenau zur Verhütung und Aufdeckung nutzen und wenn möglich entschlüsseln dürfen? Wer ist dagegen?"
Nun ja, dagegen sein dürften ungefähr alle Menschen, die nicht selber einem solchen, mit einem Wissensmonopol ausgestatteten Staatsapparat angehören dürfen. Das Netz als "unzensierter Raum, zugänglich für jeden und für alle noch so verdorbenen Inhalte" - dies mag sogar zu Recht als ein verwirrter Traum gelten. Dass aber Staaten im entgrenzten, ständigen Terroreinsatz ein Wissensmonopol zugesprochen wird, ist damit als totalitäre Phantasie entlarvt. In der gewollten Analogie zum Weberschen Gewaltmonopol würde dann der Staat entscheiden, welches Wissen als legitim anzusehen ist und mit welchen Mitteln dem illegitimen Wissen zu begegnen wäre: "Denn das der Gegenwart Spezifische ist: daß man allen anderen Verbänden oder Einzelpersonen das Recht [zum legitimen Wissen] nur so weit zuschreibt, als der Staat sie von ihrer Seite zuläßt: er gilt als alleinige Quelle des 'Rechts' auf [Wissen]". Einen solchen Staat zu schaffen, wäre in der Tat ein "angstvoller Schritt" - allerdings anders, als sich Herr Giesen das ausmalt. Dass staatliche Sicherheitsgewährleister alleine darüber entscheiden, wer oder was als eine Gefahr anzusehen ist und mit welchen Mitteln ihr begegnet werden soll - da sind wir in der Debatte, wenn auch nicht in der Praxis, bereits einige Schritte weiter.
Hallo , ich sehe es etwas anders. Man sollte dem Rechtsanwalt Thomas Giesen für sein Statement danken. Schließlich ist er auch nur ein Werkzeug, genau wie SSL RSA Keyscore und Co. Alle schrauben an der Überwachung, und das fördert die immmer bessere Verschlüsselung und Abschottung von Hard und Software. Ich denke nach ein paar Jahren haben wir die ultimative Blackbox, die in der Masse der gesammelten Metadaten untergeht.