von Gerrit Kurtz
Der Einsatz militärischer Gewaltmittel, wie er derzeit von den USA und Frankreich in Syrien vorbereitet wird, benötigt stets eine besonders hohe Rechtfertigung. Washington, Paris und London bemühen vor allem zwei Gründe: Assad zu bestrafen und von weiteren Angriffen abzuschrecken sowie das Chemiewaffentabu im Völkerrecht aufrechtzuerhalten. Beiden mangelt es in eklatanter Weise an überzeugender Wirksamkeit und Legitimität. Auf diese Weise beschädigen Obama und Hollande die internationale Ordnung, die sie vorgeben zu verteidigen. Stattdessen sollten sie die gleiche Kraft in diplomatische Bemühungen für Frieden stecken.
Strafen und Richten: Die Begründungen für einen Militärschlag
Wie genau begründen London, Paris und Washington also die vorgeschlagenen Militärschläge gegen Syrien? (Auch wenn Großbritannien sich zumindest vorerst nicht an den Aktionen selbst beteiligten wird, bleibt es rhetorisch an vorderster Front der Einsatzbefürworter). Premierminister David Cameron argumentierte in der Debatte im House of Commons am 29. August, dass es darum ginge auf den Giftgaseinsatz zu reagieren und das Chemiewaffentabu aufrechtzuerhalten:
Dazu wollte London laut dem knapp gescheiterten Regierungsantrag den Bericht der UN-Inspekteure und den Versuch einer Resolution des Sicherheitsrats abwarten.
In einer Rede vor der französischen Botschafterkonferenz am 27. August unterstrich der französische Präsident François Hollande, dass die Verantwortlichen für den Giftgaseinsatz bestraft werden müssten und die internationale Gemeinschaft gefragt sei:
Präsident Barack Obama legte seine Gründe für einen Militärschlag das erste Mal am 31. August vor dem Weißen Haus dar. Insbesondere erläuterte er, dass eine Resolution im Sicherheitsrat nicht mehr angestrebt werden müsse:
I’m confident in the case our government has made without waiting for U.N. inspectors. I’m comfortable going forward without the approval of a United Nations Security Council that, so far, has been completely paralyzed and unwilling to hold Assad accountable.
Den drei Regierungen geht es also kurz gefasst darum, Assad zu bestrafen und zu richten. Diese Begründungen verlangen eine kritische Analyse.
Effektivität und Legitimität der westlichen Einsatzziele
„Strafe ist keine Strategie“, schrieb neulich selbst der beinharte Realist und Zeit-Herausgeber Josef Joffe. In der Tat beabsichten die USA nicht, die Chemiewaffen Assads unter ihre Kontrolle zu bringen; eine Option, die laut Generalstabschef Dempsey hunderte von Kampfflugzeugen und tausende von Bodentruppen benötigen würde. Stattdessen wollen die USA vor allem Kommandoeinrichtungen der syrischen Armee zerstören. Damit ist keineswegs garantiert, dass Chemiewaffen nicht in kleinerem Umfang lokal eingesetzt werden könnten. Bei dem begrenztem Schaden der möglichen Raketenschläge könnte sich die syrische Armee vielmehr schnell erholen. Assad könnte seine Offensive weiter eskalieren, wohl wissend, dass die Parlamente der westlichen Staaten keine größere Intervention absegnen würden, die ihm gefährlich werden könnte. Alternativ betont Dempsey, dass bei einer Implosion des Regimes das Risiko bestünde, dass extremistische Gruppen in die Kontrolle von Chemiewaffenbeständen gelangen und gegen die syrische Armee oder regimetreue Zivilisten einsetzen.
Ein universelles Recht, Verstöße gegen das Chemiewaffenverbot militärisch zu ahnden, existiert zudem nicht im Völkerrecht. Dafür gibt es das internationale Strafrecht, wie es vom Internationalen Strafgerichtshof, dem die USA nicht angehören, sowie nationalen Staaten auf der Grundlage entsprechender Gesetzgebung ausgeübt werden kann. Ein begrenzter Militärschlag würde also nicht wirklich Assad beeinträchtigen, Chemiewaffen wieder einzusetzen, noch hätte er irgendeine Legitimität im geltenden Recht.
Noch deutlicher fällt die Bewertung des zweiten offiziellen Kriegsziels aus, man wolle das Chemiewaffentabu aufrechterhalten. Christoph Schlimpert und Wolfgang Seibel haben an dieser Stelle in das gleiche Horn geblasen. Diese Argumentation würde jedoch bedeuten, dass die Unrechtmäßigkeit eines völkerechtswidrigen Waffeneinsatzes durch einen wiederum völkerrechtswidrigen Militäreinsatz ausgeglichen werden solle. Das scheint grotesk. Natürlich zeigt die Kosovo-Erfahrung, dass es legitime Abweichungen von der UN Charta geben kann, aber dennoch bleiben diese genau das: Verletzungen des existierenden Völkerrechts. Recht kann man auf diese Weise nicht wiederherstellen, nur laufende Verbrechen stoppen – wenn man es kann.
Wenn den Befürwortern des Einsatzes an der Geltung des Völkerrechts gelegen ist, sollten sie dies auch genauso offen sagen. Sie sollten nicht, wie die britische Regierung, behaupten, es gäbe eine rechtliche Absicherung über eine angeblich existierende „Doktrin der humanitären Intervention.“ Dies ist nicht der Fall. Vielmehr würde eine völkerrechtswidrige Intervention unter humanitären oder anderen normativen Vorzeichen die Bemühungen des Westens für eine größere Akzeptanz einer Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) im häufig skeptischen globalen Süden weiter erschweren, wie die Erfahrung mit der Ausweitung des Mandats für den Libyen-Einsatz gezeigt hat. Selbst wenn es Washington „nur“ um das Chemiwaffentabu gehen mag, wäre der Schaden für die internationale Ordnung durch die Ignoranz des Sicherheitsrats höher als die heraufbeschworene Erosion des Chemiewaffenverbots, das in den letzten 25 Jahren kein einziges Mal verletzt wurde. (Das letzte Mal unterstützen die USA übrigens Iraks Saddam Hussein bei der Zielauswahl.) Damit löst sich diese Begründung ebenfalls auf.
Regelmäßig soll eine Ausschließlichkeitsrhetorik belegen, dass ein Militäreinsatz unvermeidlich ist, um weitere Chemiewaffeneinsätze in Syrien zu verhindern. Bernd Ulrich fasste das so zusammen: „Tut der Westen nichts, muss Assad das als Einladung verstehen, weiter Giftgas einzusetzen.“ Der Vorfall könne nicht „ohne Antwort“ bleiben, sagte Präsident Hollande. Die Einsatzbefürworter legen großen Wert auf die von Ihnen vorgelegten Beweise über die Natur des Massakers und den klaren Schuldigen, Präsident Assad und die syrische Armee. Diese „alles oder nichts“ Rhetorik impliziert geradezu, dass bereits diese Feststellung ausreiche, um - quasi automatisch - die vorgeschlagenen Raketenschläge zu rechtfertigen. Dieses Argument folgt der Logik einer existentiellen Bedrohung zur Rechtfertigung außerordentlicher Maßnahmen (vgl. Buzan, de Wilde and Waever 1998): nur Militärschläge zählen, alles andere ist „nichts,“ das man ja auch seit zweieinhalb Jahren intensiv bemüht habe, wie die US-amerikanische UN-Botschafterin Samantha Power erläuterte. Der Sicherheitsrat könne sich „nicht einmal auf eine Pressemeldung zu Syrien“ einigen wegen des Widerstands von Russland und China.
Keine Frage, die massiven Verbrechen der syrischen Regierung, wie nicht zuletzt in Ghouta, müssen geächtet und bestraft werden. Wie gezeigt sind Militärschläge allerdings weder effektive noch legitime Mittel zur Erreichung dieser Ziele.
Raum für Diplomatie
Es ist nicht offensichtlich, dass die westlichen Mächte die gleiche Kraft in ihre diplomatischen Anstrengungen gesteckt haben wie jetzt in die militärischen, wie auch Andreas Bock kritisiert. Nicht nur Raketen können eine internationale Ächtung ausdrucken und Schuldige bestrafen. In einer verrechtlichen Welt sollten sie dies auch nicht, da es dafür andere Mechanismen gibt. Unter Druck von Frankreich, scheinen die USA auf den Bericht der UN-Inspekteure zu warten. Dies ist richtig. Selbst die russische Widerspenstigkeit kann in diesem Verfahren möglicherweise eingehegt werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Bericht der Inspektoren über solche Angaben wie zum Ausgangs- und Zielpunkt der Angriffe und der verwendeten Substanz implizite, aber robuste Schlüsse auf die Verantwortlichkeit zulässt.
Auch wenn die USA frustriert sein mögen, kann eine Ignoranz des UN-Sicherheitsrat fatale Folgen für die von den westlichen Staaten vor sich her getragenen normativen Ziele zur Wahrung der internationalenOrdnung haben. Zudem kann nur ein UN-Prozess Glaubwürdigkeit und Legitimität hinsichtlich der Verantwortlichkeit für den Anschlag aus Sicht von skeptischen Ländern wie Brasilien, Indien und Südafrika, die sich alle gegen eine Intervention ausgesprochen haben, entfalten (Libération hat zur weltweiten Unterstützung eines Militäranschlags eine hilfreiche Karte).
Zur Bestrafung der Schuldigen und Aufarbeitung der zahlreichen in Syrien verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, egal von welcher Kriegspartei, sammelt die Unabhängige Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats seit zwei Jahren Beweise. Bisher durfte sie das Land jedoch nicht betreten. Nach dem Bericht der UN-Inspekteuren sollte eine neuerliche Sicherheitsratsinitiative den Einsatz von Chemiewaffen verurteilen, die syrische Regierung um Zugang für die Kommission ersuchen und, am besten, den Fall dem Internationalen Strafgerichtshof überweisen.
Die derzeitige Diskussion zur internationalen Kontrolle der Chemiewaffen Syriens zeigt, dass der Raum für Diplomatie noch nicht verschlossen ist. Mit seinen Forderungen hat sich auch Russland weit vorgewagt. Wenn Präsident Obama mit seiner glaubhaften Drohung eines Militärschlags das Gelegenheitsfenster für wirksame Diplomatie wieder geöffnet hat, verdient er Anerkennung. Diese Gelegenheit sollte nicht leichtfertig vertan werden.
Literatur:
Buzan, Barry, Jap de Wilde, and Ole Waever (1998): Security. A New Framework of Analysis. Boulder, CO: Lynne Rienner Publishers.
Wichtig für die Diskussion finde ich deine Überlegungen im letzten Absatz. Die gestrigen Aussagen von Seiten Syriens und Russlands lassen – bei einer vielzahl nun zu klärenden Fragen – nun ja doch noch eine gewisse Hoffnung auf einen nicht-militärischen Ausweg aufkommen. Da Du in deinem Artikel zwar zu recht auf die Notwendigkeit diplomatischer Anstrengungen verweist, stellt sich die Frage, ob diese ohne den Druck der Ankündigung eines Militärschlags eine Erfolgsaussicht hätten haben können.
Im Übrigen hast Du mich vllt. missverstanden, da ich mich nicht für eine militärische Strafaktion zur Wahrung des Chemiewaffentabus ausgesprochen habe. Zum einen sehe ich wie Du den Schaden für das Völkerrecht, zum anderen – und das ist mir viel zentraler – das solch eine Aktion der syrischen Bevölkerung (wahrscheinlich) nicht wirklich dienen würde und vor allem auch nicht Ziel eines solchen Schlages wäre. Sollte nun durch die Androhung eines Schlages tatsächlich Bewegung in die Verhandlungsbereichtschaft Russlands und des Irans kommen würde dies dafür sprechen, dass eine Bereichtschaft des Westens, früher einen höheren Einsatz an den (Verhandlungs-)Tisch zu bringen, eine diplomatische Lösung befördert hätte. Und dies hätte man viel früher tun müssen, anstatt 100.000 und einen eindeutigen Giftgaseinsatz abzuwarten.
Lieber Christoph,
dann habe ich dich wohl tatsächlich falsch verstanden.Man wird im Moment anscheinend schnell von der Realität überholt in Bezug aud die diplomatischen Bemühungen in Syrien
Lieber Christoph, lieber Mathis,
wenn die Drohung eines Militärschlags stets auch als diplomatisches Verhandlungsinstrument gemeint war, scheint sie vorerst effektiv gewesen zu sein. Die Kriegsparteien wird aber auch sie nicht an den Tisch bekommen, zumindest war das ja gar nicht die primäre Intention von Obama und Konsorten. Man wolle ja gerade nicht in den Bürgerkrieg eingreifen, und auch die derzeitige Chemiewaffendiplomatie wird den Bürgerkrieg an sich nicht lösen.
Ich sehe die Dinge aber eher so wie Christoph – der Westen hätte schon viel früher sich stärker ins Gewicht werfen sollen, dann wäre vielleicht auch diese scharfe Drohung mit Raketenschlägen nicht notwendig geworden und es gar nicht erst zu der weiteren Eskalation des Bürgerkriegs gekommen.
Ich finde, es gibt hier einen Widerspruch, wenn du eine glaubhafte Drohung “löblich” nennst, eine potentielle Umsetzung der Drohung aber als “weder effektiv noch legitim” bezeichnest. Eine Drohung kann eben nur glaubhaft sein, wenn sie im Zweifel auch umgesetzt wird.
Außerdem ist die primäre Frage meines Erachtens nicht, was die für das Völkerrecht und die Chemiewaffen-Norm beste Lösung wäre, sondern welches Vorgehen die Parteien des Konflikts am schnellsten an den Tisch bringt, um das Töten (egal durch welchen Waffentyp) zu beenden. Ob eine reine Verhandlungsstrategie auch zu diesem Ziel der bestmögliche Weg ist, kann ich nicht einschätzen.