von Regina Hack und Martin Schmetz
Eigentlich war für die deutsche Politik der NSA-Spionageskandal ja schon fast erledigt. Doch dann wurde öffentlich, dass Angela Merkels Handy abgehört wurde. Dies resultierte zum Beispiel in verärgerten Anrufen und der Idee eines No-Spy-Abkommen, welches aber inzwischen vom Tisch ist, sowie einer Entschuldigungsabordnung aus den USA, die allerdings einen kalten Empfang in Berlin hatte. Aber nun tut sich auch etwas auf internationaler Ebene: Zusammen mit Brasilien bereitete Deutschland eine Resolution in der UNO Generalversammlung vor, die ein internationales Recht auf Privatsphäre etablieren soll. Inzwischen ist eine, wenn auch abgeschwächte Version, dieser Resolution vom Dritten Komitee verabschiedet worden und wird im Dezember der Generalversammlung vorgelegt. Was bedeutet das für ein mögliches internationales Recht auf Privatsphäre?
Die Resolution setzt am Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (kurz: ICCPR) an und erweitert diesen explizit auf das Internet. Der ICCPR sieht bereits den Schutz der Privatsphäre von Bürgern vor, allerdings stammt der Pakt aus den 1970ern und geht dementsprechend nicht auf das Internet ein. Der Resolutionsentwurf sieht nun genau dies vor. Im Unterschied zum ICCPR wäre die Resolution allerdings, selbst wenn sie verabschiedet würde, nicht bindend. Nach dem OK des Dritten Komitees (welches für Menschenrechtsfragen verantwortlich ist) gilt dies aber als sicher.
Nichtsdestotrotz ist diese Entwicklung aus gleich mehreren Gründen bemerkenswert: Erstens stellt sie die erste staatliche Regulierungsinitative auf internationaler Ebene dar, die ein Recht auf Privatsphäre im Internet festschreibt. Sie ist außerdem überhaupt die erste Einschränkung von geheimdienstlichen Tätigkeiten, die in einem internationalen Kontext stattfindet. Insbesondere folgender Absatz der Resolution hat es dabei in sich:
Der Absatz ist aus gleich zweierlei Gründen interessant: Erstens wird extraterritorialer Massenüberwachung als schädlich für die Ausübung der Menschenrechte gesehen. Diese Formulierung ist schwach, aber stellt überhaupt erstmals eine Einhegung geheimdienstlicher Tätigkeiten in einem derartigen Kontext dar. Zweitens zeigen sie den größtenteils erfolgreichen Einfluss der USA, denn im Vergleich zur ersten Version der Resolution wurde diese Passage deutlich entschärft. Ursprünglich lautete der Text:
Demnach wären Massenüberwachung und die massenhafte Speicherung von Daten ganz klar als Verletzung der Menschenrechte definiert, also eine deutlich stärkere Formulierung als die obige und mit potenziellen politischen und rechtlichen Konsequenzen. An anderer Stelle sprach der Entwurf von „attacks“, also Attacken, und macht so deutlich, dass die Abhörmaßnahmen keine passive Gefährdung, sondern einen aktiven, aggressiven Eingriff darstellen. Sämtliche Formulierungen dieser Art sind aus der verabschiedeten Resolution verschwunden. Gleiches gilt für die Verwendung des Wortes „illegal“: ursprünglich hieß es im Entwurf, illegale Überwachung sei zu verurteilen. Auch diese Formulierung ist bemerkenswert, denn illegal impliziert in diesem Kontext ein kriminelles Vorgehen, das die Meinungs- und Äußerungsfreiheit in den überwachten Staaten einschränken kann. Stattdessen soll es nun vor allem, und dies ist der zweite Punkt, um ungesetzliche („unlawful“), nicht aber illegale, Überwachung gehen, die in den Staaten stattfindet. Damit gehen zwei Implikationen einher: Erstens ist ungesetzlich keine so starke Formulierung wie illegal, es impliziert nicht zwingend kriminelle Handlungen. Zweitens sehen die Vereinigten Staaten sich davon nicht betroffen, denn sämtliche Überwachungsaktionen sind von Geheimgerichten abgesegnet und dementsprechend aus ihrer Sicht legal. Der Versuch, den ICCPR auf geheimdienstliche Tätigkeiten auszuweiten und eben diesen Tätigkeiten ein demokratiegefährdendes Moment zu unterstellen muss aus Sicht der USA auf jeden Fall verhindert werden. All dies lässt sich sehr gut in einem internen Dokument der amerikanischen Delegation nachvollziehen, wo entsprechende Änderungen angemahnt werden.
Der Resolutionsentwurf wurde am letzten Dienstag im Komitee für Menschenrechte der Generalversammlung einstimmig durch gewunken, hat also auch die Unterstützung der USA. Dies gilt als ein Zeichen dafür, dass auch die Generalversammlung im Dezember die Resolution einstimmig annehmen wird. Sollte es dennoch zu einer Abstimmung kommen, bedürfte es lediglich einer einfachen Mehrheit, die Resolution mit ihrem Fokus auf vor allem menschenrechtliche Aspekte zu verabschieden.
Auch wenn sich die USA nun offiziell zu der Resolution bekennen: Ganz glücklich können sie nicht damit sein. Schaut man sich ihre Kritikpunkte im internen Dokument an, wird deutlich, dass sie im oben zitierten Absatz gerne jeden Verweis auf Menschenrechte gestrichen hätten. Denn auch wenn die Formulierung stark geschwächt wurde – erstmals werden geheimdienstliche Tätigkeiten in anderen Ländern als schädlich für die Ausübung der Menschenrechte dort gesehen. Insbesondere wenn man bedenkt, dass die USA immer wieder Meinungsfreiheit, Überwachung und Zensur im Netz in anderen Ländern als für die Menschenrechte und Demokratie schädlich anprangern, kann ihnen eine derartige Resolution nicht gelegen kommen. Denn nun kann man berechtigt auch auf das Vorgehen der NSA im gleichen Kontext verweisen.
Kurzfristig würden die Folgen einer Verabschiedung der Resolution wohl gering sein, denn sie wäre, wie erwähnt, nicht bindend. Sie könnte aber ein Einfalltor für weitere, rechtlich bindende Mechanismen wie internationale Verträge darstellen. Entsprechende Beispiele gibt es bereits und die USA sind sich dieser Tatsache wohl bewusst. Langfristig könnte die Resolution die Saat für ein internationales Recht auf Privatsphäre sein, gewachsen auf dem Nährboden von unregulierter Überwachung des Internets – und vor allem Angela Merkels Handy – durch amerikanische Geheimdienste.