Diplomatie, olympisches Gold und ein Kabinettsminister: Nationale Sicherheit in der State of the Union

von Marco Fey

Wer gestern früh mal eben so seinen Twitter-Feed durchsehen wollte, hat schnell gemerkt, dass in der Nacht irgendetwas passiert sein musste: der/die/das #SOTU - all over the place. Die Abkürzung steht für State of the Union. Einmal im Jahr, in der Regel Ende Januar, ist der US-Präsident aufgerufen, dem versammelten Kongress, den Richtern des Obersten Gerichtshofs, den Joint Chiefs of Staff sowie allerlei geladenen Gästen seine Einschätzung zur Lage der Nation zu präsentieren – so will es die Verfassung. Gestern war es wieder so weit.

Inhaltliche Ausgestaltung und Länge der SOTU variieren von Präsident zu Präsident: Nixon und Ford sprachen im Schnitt 35 bzw. 37 Minuten, die beiden Bushs 45 bzw. 52 Minuten, Clinton eine Stunde und 15 Minuten und damit von allen Präsidenten am längsten, und Obama eine Stunde.

Eine Stunde ist nicht viel Zeit für eine Rede, die nicht nur einen umfassenden Überblick über alle Politikbereiche geben, sondern auch Maßnahmen vorstellen soll, die der Präsident und sein Kabinett ergreifen möchten, um die Lage der Nation zu verbessern. Gute Reden zur Lage der Nation können die öffentliche Meinung beeinflussen. Millionen von Amerikanern verfolgten die Rede live; der Hashtag #SOTU wurde während der Rede 1,7 Millionen Mal getwittert. Um jedes einzelne Wort der Rede wird im Vorfeld gerungen; nicht jedem Thema kann die nötige Aufmerksamkeit geschenkt werden. Redenschreiber können ein Lied davon singen.

Das Themenfeld Außen- und Sicherheitspolitik konkurriert dabei um wertvolle Zeit mit Themen, die das Wahlvolk tatsächlich interessieren: Jobs, Bildung, Energie, Gesundheit, Steuern usw. Politische Gegner Obamas, die dem Präsidenten eine ausgeprägte Schwäche im Feld der nationalen Sicherheit unterstellen, fragten vorher auf Twitter ketzerisch, ob es dieses Jahr Außen- und Sicherheitspolitik überhaupt in die Rede schaffen würden: Wird Obama die Truppen erwähnen? Was ist mit Afghanistan? Ägypten? Syrien? China? Dem Iran-Deal? Der NSA?

Wenn man sich anschaut, wie viel Platz* Außen- und Sicherheitspolitik in den bisherigen Reden Obamas zur Lage der Nation einnahm, dann lässt sich ein steigender Trend erkennen. In seiner ersten Rede** im Februar 2009 betrug der Anteil 10% und wuchs über die Jahre kontinuierlich an, bis auf 25% in diesem Jahr.

eigene Analyse

 Das Konzept nationale Sicherheit (oder auch „homeland security“, „our security“, „the security of this nation“) taucht dabei für gewöhnlich nicht sehr häufig in Obamas Reden zur Lage der Nation auf, dieses Jahr aber immerhin sechs Mal.

 

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Die relativ häufige Nennung in der gestrigen Rede lässt sich damit erklären, dass der Präsident in diesem Jahr einen stärkeren Fokus auf militärische Zurückhaltung legen möchte, ohne als sicherheitspolitisch schwach zu gelten. Am Beispiel Drohnen lässt sich das schön ablesen:

America must move off a permanent war footing.  That’s why I’ve imposed prudent limits on the use of drones – for we will not be safer if people abroad believe we strike within their countries without regard for the consequence.

Nach einem Jahrzehnt des langen Krieges soll nun wieder Diplomatie das Mittel der Wahl amerikanischer Außenpolitik werden. Zwar soll auch in Zukunft das militärische Potential der USA diplomatischen Lösungsversuchen für Krisen Nachdruck verleihen, aber Obama stellt klar:

You see, in a world of complex threats, our security and leadership depends on all elements of our power – including strong and principled diplomacy.

Dem "Bomb Iran Caucus" im Kongress, der neue Sanktionen fordert und damit den erst kürzlich implementierten und sehr fragilen Deal gefährdet, hält der Präsident entgegen:

The sanctions that we put in place helped make this opportunity possible.  But let me be clear: if this Congress sends me a new sanctions bill now that threatens to derail these talks, I will veto it.  For the sake of our national security, we must give diplomacy a chance to succeed. 

Und wenn der Redenschreiber sich in einem Absatz nicht vertan hat, dann kommt auch den amerikanischen Athleten, die nächste Woche in Sotschi an den Start gehen, eine Rolle für die die nationale Sicherheit zu – sofern sie denn auch ausreichend viele Goldmedaillen erringen:

We do these things [democracy promotion] because they help promote our long-term security. And we do them because we believe in the inherent dignity and equality of every human being, regardless of race or religion, creed or sexual orientation. And next week, the world will see one expression of that commitment – when Team USA marches the red, white, and blue into the Olympic Stadium – and brings home the gold.

Die außen- und sicherheitspolitische Gleichung, die Obama in seiner SOTU aufmacht, lautet also: weniger Einsatz militärischer Gewalt + stärkerer Einsatz diplomatischer Mittel + olympisches Gold = mehr US-Sicherheit.

Bleibt noch auf einen letzten Aspekt der diesjährigen SOTU hinzuweisen, bei dem Sicherheit großgeschrieben wird. Wie jedes Jahr musste ein Kabinettsminister der Veranstaltung fernbleiben: Energieminister Ernest Moniz wurde zum „designated survivor“ auserkoren, vom Secret Service an einen geheimen Ort gebracht und wäre dort – im Fall der Fälle – als 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt worden.


* Gemessen in Wörtern und in Relation zur Gesamtwortzahl der Reden.

** Im ersten Amtsjahr heißt die Rede, die neugewählte Präsidenten vor beiden Kammern des Kongresses halten, nicht SOTU. Obamas Rede im Jahr 2009 hieß schlicht Address to Joint Session of Congress.

Marco Fey (@marco_fey) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Er beschäftigt sich mit Rüstungskontrolle und amerikanischer Außen- und Sicherheitspolitik. [weiter]

 

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