von Maya Hatsukano
Beherrschung beginnt im Kopf,
Setzt sich fort im Wort
und endet in der Waffe
- Unabhängig davon, was als Waffe eingesetzt wird
Dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit sehr ungleich verwirklicht ist, liegt völlig auf der Hand. Männer kommen zwar eher in gewaltsamen Konflikten ums Leben, jedoch wird Vergewaltigung als Kriegswaffe in den allermeisten Konflikten auf die eine oder andere Art und zumeist gegen Frauen eingesetzt. Daher fand dieses Jahr zum ersten Mal (!) in London eine internationale Konferenz zu dem Thema statt.
Bis heute nicht aufgelöste Beispiele aus vergangenen und gegenwärtigen Konflikten oder Gesellschaften gibt es reichlich: Die so genannten „Trostfrauen“, die vorwiegend koreanischen Frauen, die im Zweiten Weltkrieg durch japanische Soldaten zur Prostitution gezwungen wurden, klagen noch heute vergebens. Die Meldungen aus Indien über die beiden Mädchen aus der Kaste der Unberührbaren, die vergewaltigt, getötet und an einem Baum aufgehängt wurden und über Politiker, die das Ganze rechtfertigen, erschrecken sehr. Hier gilt jedoch das NIMBY-Prinzip (Not in my backyard). Das Geschehene in Japan ist lange her und Indien ist sehr weit weg.
Aber wie weit weg ist dieser indische Hinterhof wirklich? Sexuelle Belästigung ist auch in der deutschen Politik an der Tagesordnung, wie man an der Sexismus-Debatte gemerkt hat, die sich an der Causa Rainer Brüderle entzündet hatte. Wenn aber Sexismus-Vorwürfe in politischen Zusammenhängen laut werden, kann man sich praktischerweise immer damit wehren, Man(n) solle politisch beschädigt werden. Wenn der Vorwurf geäußert wird, es handele sich bei der Beschuldigung um eine politische Strategie, hat die beschuldigte Partei beste Chancen, damit durchzukommen, denn Dritte waren ja nicht dabei und damit gibt es keine Zeugen.
Natürlich können Anschuldigungen eingesetzt werden, um Geld zu erpressen oder einer politischen Karriere zu schaden. Wenn dieser Verdacht und eine schlechte Beweislage allerdings jede Beschuldigung sofort entkräftet, ist die Folge, dass immer der Ruf der Opfer zerstört wird, nicht der Täter. Blaming the victim macht dann jede unaufgeregte Behandlung des Themas unmöglich. Die vermeintlich beruhigenden Worte von Hannelore Kraft, dass sie keine Belästigung mehr erlebe, seit sie älter und mächtiger sei, können da wenig trösten. Sie sagt hier zwar, dass ihr persönlich Sexismus eher vor ihrem Eintritt in die Politik begegnet ist, sie sagt aber auch, dass das Phänomen sehr verbreitet und keine Sache von Parteizugehörigkeit sei. Wenn Frauen ihre Karrieren erst unbeschadet beginnen können, nachdem die Wechseljahre eingetreten sind, hat diese Gesellschaft ein erhebliches strukturelles Problem - Frau kann schlecht als Ministerpräsidentin ins Politikgeschäft einsteigen. Und wenn Dirk Niebel sexuelle Belästigung beklagt (vgl. a.a.O.), kann er sich wenigstens vergleichsweise sicher sein, dass er nach dem ersten Bier im Nachgang der Parteiveranstaltung keine Hand auf seinem Allerwertesten verspürt.
Eine weitere Strategie, sexuelle Belästigung zu bagatellisieren, ist es, verbale Übergriffigkeiten als Flirten zu entschuldigen. Aber auch beim Flirten gilt: Ist es konsensual? Hat der Gegenpart die Möglichkeit, sich ohne Schaden zu entziehen? Bestehen Abhängigkeiten? Es ist natürlich ein weiter Weg von einem lapidaren Spruch zu einer Vergewaltigung. Man(n) sollte sich nur vielleicht darüber im Klaren sein, dass die Skala, auf der sich das bewegt, die gleiche ist.
Diese Skala nennt sich Beherrschung. Beherrschende Praktiken werden angewendet zur Hierarchieerhaltung. Durch das Demonstrieren sexueller (Über)Macht soll eingeschüchtert werden, sei es in einem Bürgerkrieg, oder unter Verwendung subtilerer Mittel in der politischen Realität in einer westlichen Demokratie. Auch das verbale Kommunizieren sexueller Macht kann locker in den Bereich der psychischen Gewalt eingeordnet werden. Hier gilt: „Nein, man(n) wird wohl nicht mal sagen dürfen…“
Sexueller Missbrauch, Nötigung oder Belästigung sind selbstverständlich nicht immer politisches Mittel sondern auch Missbrauch anderer Arten von Autorität, die besonders perfide wird, wenn sie sich gegen Schutzbefohlene richtet. Man sieht an der Katholischen Kirche und der Odenwaldschule, dass es teilweise Jahrzehnte dauert, bis Institutionen den (oftmals erzwungenen) Mut aufbringen, sich dem Thema zu stellen. Noch länger dauert die Aufarbeitung, wenn sexuelle Gewalt als Mittel in einem Konflikt breite Anwendung findet – wenn sie denn überhaupt aufgearbeitet wird. Nicht in allen Fällen wird sexuelle Belästigung und Nötigung als politisches Mittel angewendet, aber immer als ein Mittel der Machtdemonstration und der Einschüchterung. Wie bei jedem heiklen Thema sind die Grenzen hier fließend aber eines sollte immer recht gut helfen: Erst denken, dann sprechen oder handeln. Was ist sonst noch die Moral von der Geschicht‘? Dieses Kapitel der Menschheitsgeschichte ist wohl eher Geschicht‘ ohne Moral.
Leider ist es so, dass man um eine Entschädigung auf politischer Ebene kämpfen muss. Kämpfen oft über viele Jahre. Marthe