von Julian Junk
Die deutsche Bundesregierung engagiert sich stärker im Irak, um der brutalen, vor Völkermord nicht zurückschreckenden Miliz Islamischer Staat (IS) Einhalt zu gebieten. Das ist gut und richtig – auch wenn man die langfristigen Konsequenzen des Instruments der Waffenlieferung kritisch sehen muss. Nach ersten (zaghaften) Änderungen in der deutschen Afrikapolitik sowie einer aktiven Rolle bei Eindämmungsversuchen in der Ukrainekrise ist dies nun das nächste Zeichen, dass es Deutschland ernst meint, mit einer aktiveren Außen- und Sicherheitspolitik. Leider vergisst die Bundesregierung einmal mehr, Politikwechsel im Auswärtigen auch im Inneren transparent zu erklären.
Bis vor 10 Tagen hörte man nicht viel von der Deutschen Bundesregierung zum Vorrücken von IS im Irak, zur Situation der Jesiden, die laut amerikanischen Angaben vom Völkermord bedroht waren, und zum Kurswechsel der Obama-Administration, nun doch begrenzt militärisch und humanitär einzugreifen. Zwar wurde das Vorgehen der Amerikaner vereinzelt gelobt, aber was man denn selbst zu tun gedenke, um den schweren Verbrechen gegenüber der Menschlichkeit, ja sogar Vermutungen über einen Völkermord im Sinne der völkerrechtlichen Verpflichtungen (Stichwort „Schutzverantwortung“ / „Responsibility to Protect“) entgegenzutreten, darüber schwieg man sich weitestgehend aus. Später hieß es vage von Regierungssprecher Seibert, man unterstütze die humanitäre Hilfe, die von UNHCR und UNICEF geleistet werde. Militärisches Eingreifen, sei es direkt mit deutschen Soldaten oder indirekt mit Waffenlieferungen, schließe man aus, denn es widerspräche den deutschen Exportrichtlinien. Das war am Montag, den 11. August 2014.
Für die Öffentlichkeit überraschend dann die Kehrtwende am 12. August 2014: ohne, dass sich erkennbar irgendetwas an der Ausgangssituation im Irak oder an den Exportrichtlinien in Deutschland geändert hatte, preschte Wirtschaftsminister Gabriel vor und schloss Waffenlieferungen an die kurdischen Kämpfer nicht mehr aus. Verteidigungsministerin von der Leyen folgte medienwirksam. Wiewohl bis zum heutigen Tage noch nicht entschieden ist, ob und in welchem Umfang Waffen geliefert werden, so änderte sich doch tatsächlich einiges: erstens, das „ob“ war fortan Teil einer breiten öffentlichen Diskussion – allerdings weniger ob es sinnvoll wäre Waffen zu liefern als vielmehr ob sich die Bundesregierung dazu entschließen und wie sie sich auf europäischer Ebene dazu verhalten würde. Zweitens, humanitäre Hilfe wurde zügig auf den Weg gebracht und schon am letzten Wochenende waren vier mit Hilfsgütern beladene Transall-Maschinen auf dem Weg. Drittens, die Exportrichtlinien kamen von zwei Seiten unter Beschuss: sollten sie nicht zum einen im Falle eines drohenden Völkermordes und zum anderen im Sinne der Sicherung der deutschen Rüstungsindustrie (man nutzt gerade jede Möglichkeit, die weiche Auslegung der schwarz-gelben Koalition zu retten) weniger restriktiv ausgelegt werden?
Wie man die Details auch dreht und wendet, man kann der deutschen Bundesregierung schwerlich vorwerfen, dass sie vor dem selbstgesteckten Ziel, einer größeren, wenngleich nach wie vor zögerlich umgesetzten internationalen Verantwortungsübernahme zurückschreckt. Allerdings bleibt es bei einem gravierenden Defizit: sie erklärt sich nicht transparent und umfassend. Denn die Debatte um eine aktivere deutsche Außen-und Sicherheitspolitik hatte immer zwei Dimensionen: verantwortungsvolles Handeln nach außen und Schaffung von Legitimität nach innen. Diejenigen, die der Umorientierung deutscher Außen- und Sicherheitspolitik eine Stimme gaben, hatten immer beides im Blick, wie beispielsweise Bundespräsident Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014: Nach der Diagnose, dass Deutschland seit Langem zeige, „dass es international verantwortlich handelt“, aber es entschlossener sein müsse, „den Ordnungsrahmen aus Europäischer Union, Nato und den Vereinten Nationen aufrechtzuerhalten und zu formen,“ mahnte er mehr Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme „für jene Sicherheit, die [...] von anderen seit Jahrzehnten gewährt wurde,“ an. Und er ergänzte: „Außenpolitik soll doch nicht eine Sache von Experten oder Eliten sein – und Sicherheitspolitik schon gar nicht. Das Nachdenken über Existenzfragen gehört in die Mitte der Gesellschaft. Was alle angeht, das soll von allen beraten werden. Dazu drängt uns immer wieder die Weltlage.“ Und auch Außenminister Steinmeier schlägt in dieselbe Kerbe, als er ambitioniert für seine zweite Amtszeit eine „kritische Selbstüberprüfung“ der Außen- und Sicherheitspolitik ankündigte, die er „ganz bewusst nicht als klassischen innerministeriellen Prozess anlegen“ möchte, „sondern als Dialog des Auswärtigen Amtes mit den wichtigsten außen- und sicherheitspolitischen Stakeholdern unter Einschluss der Zivilgesellschaft.“
So sehr man also – zumindest in der Eigenwahrnehmung der Bundesregierung – durch die Beteiligung der Friedenmissionen in Mali1 und in der Zentralafrikanischen Republik, durch die Entwicklung angeblich neuer afrikapolitischer Leitlinien, durch eine in der Tat aktive Rolle bei der Krisendiplomatie um die Ukraine und nun durch eine Beteiligung an internationalen Anstrengungen zur Einhegung von IS, dem Ziel einer verantwortungsvollen Außen- und Sicherheitspolitik näher kommt, so sehr versagt man sich nach wie vor dem mühsamen Erklären von operativen und strategischen Zielen und transparenten Abwägen nach innen: was hat denn eigentlich dazu geführt, dass man in der Nacht vom 11. auf den 12. August umdachte? Welche mittel- und langfristigen Ziele und (ja auch) Interessen hat Deutschland im Nordirak? Wie reagiert man, wenn sich der kurdische Teil des Irak unabhängig erklären würde? Warum beteiligt man sich nicht direkt militärisch angesichts von drohendem Völkermord? Wie kann man verhindern, dass gelieferte Waffen nicht irgendwann in falsche Hände gelangen? Dies alles sind sehr berechtigte Fragen, die man beantworten muss – und zwar nicht nur hinter verschlossenen Türen sondern öffentlich. Eine Chance bietet sich der Bundesregierung darin, dem Drängen der grünen Bundestagsfraktion nach einer Sondersitzung zu den geplanten Waffenlieferungen umgehend nachzugeben und sich dort umfassend zur deutschen Irakpolitik zu erklären. Nur das vermag Legitimität für das außen- und sicherheitspolitische Handeln zu verschaffen und nur dann wäre tatsächlich ein weiterer Schritt zu einem nachhaltigen Wandel der deutschen Sicherheitskultur hin zu einer internationalen Verantwortungsübernahme gemacht.
- Siehe auch: Junk, Julian (2014): Vom Gestaltungsunwillen einer „Gestaltungsmacht“ – Ein Kommentar zur deutschen Malipolitik, in: Sicherheit und Frieden / Security and Peace, 32 (2), pp. 91-97. ↩
Das ist ein abgekartetes Spiel. Die EU kriegt die Ukraine und Rußland behält die Krim. Alles andere ist nur Ablenkungsmanöver für die Öffentlichkeit.
Dann wird noch Kriegsangst geschürt. Angst schüchtert ein.
Gaza ist brutal – Israel will sagen, wir sind auch noch da.
Im Irak zündelt die IS mit Krieg, um amerikanische Interessen an den Ölfledern durchzusetzen.
Und in Amerika spielen die Gebrüder Koch mit ihren Marionetten. Senator McCain ist auch nicht mehr der Jüngste. Und ob die amerikanische Öffentlichkeit noch Kriegstreibern nachrennt, bezweifle ich. Amerika ist im Umruch und wird seine eigenen Probleme (aktuell: Ferguson + St. Louis in Missouri, dem Mittleren Westen) lösen müssen.
Mein Fazit:
Krieg wird es zwischen Rußland und dem Westen nicht geben, weil ihn beide verlieren.
Westeuropa wird vorläufig weiter ein amerikanischer Brückenkopf in Eurasien bleiben.
Vielleicht emanzipieren wir uns – aber nicht mehr zu unseren Lebzeiten.
Trotzdem die schreie ich die Parole: „Europa gehört den Europäern!“ in die Welt hinaus. Und Rußland gehört zu Europa. Vielleicht wird sie in 100 Jahren gehört.
Und der Schuß , Völker mit Waffengewalt zu vernichten zu wollen, geht nach hinten los.
Jeder, der die Macht hat Krieg zu vermeiden, wird ihn vermeiden, weil er selbst alles verlieren wird.