von Marco Fey
Am vergangenen Freitag wurde zum mittlerweile fünften Mal der Internationale Tag gegen Nuklearversuche begangen. Außenminister Steinmeier merkte dazu an: „Auch wenn die Krisendiplomatie derzeit oftmals das Tagesgeschäft bestimmt, dürfen wir unsere langfristigen Bemühungen um Abrüstung nicht aus den Augen verlieren. Deutschland setzt sich weiterhin mit großem Nachdruck für das Inkrafttreten des Atomteststoppvertrags ein, der die Neu- und Weiterentwicklung von Nuklearwaffen stark erschweren würde – ein enormer Sicherheitsgewinn für die Weltgemeinschaft.“ Das Schicksal des bereits 1996 zur Unterschrift aufgelegten Umfassenden Kernwaffenteststopp-Vertrags, oder CTBT, wie er international abgekürzt wird, hängt in den Augen der meisten Beobachter von der Ratifikation der Vereinigten Staaten ab. Diese ist 1999 gescheitert. Und obwohl die Obama-Administration schon früh während der ersten Amtszeit plante, den Vertrag erneut dem Senat vorzulegen, ist es dazu bis heute nicht gekommen. Ein Blick auf die Verhältnisse im Senat und den damit zusammenhängenden „Ratifikationsstau“ zahlreicher internationaler Abkommen lässt weder für die verbleibende Amtszeit von Obama Hoffnung aufkommen – noch für die Zeit danach.
Prag im April 2009. In seiner ersten großen außenpolitischen Rede setzte Präsident Obama nukleare Abrüstung ganz oben auf seine Agenda. Er sprach von einer Welt frei von Atomwaffen. Für diese Vision erhielt er später den Friedensnobelpreis. Er sprach auch von einem langen Weg bis zur „globalen Null“ und von den ersten Schritten, die er in Angriff nehmen möchte. Tatsächlich gelang es amerikanischen und russischen Diplomaten innerhalb nur eines Jahres, ein strategisches Abrüstungsabkommen (New START) auszuhandeln, das die Präsidenten Obama und Medwedjew im April 2010, ebenfalls in Prag, unterzeichneten.
Was folgte, war ein unerwartet schwieriger Ratifikationsprozess im US-Senat. Unerwartet, weil New START breite Unterstützung in der Bevölkerung, im sicherheitspolitischen Establishment beider Parteien (darunter neben Ex-Präsident George H.W. Bush auch alle sechs noch lebenden republikanischen Außenminister) sowie im Pentagon und Generalstab erfuhr. Die amerikanische Verfassung sieht vor, dass zwei Drittel der Senatoren (also 67) ihre Zustimmung zu internationalen Verträgen geben müssen, bevor diese in Kraft treten können. Der Administration und den Demokraten im Auswärtigen Ausschuss des Senats (damals noch unter Führung von John Kerry) gelang es nur unter Aufwendung von enormem politischem Kapital, die nötigen Stimmen zusammen zu sammeln. Am 22. Dezember 2011 sprach der Senat schließlich seine Zustimmung aus.
Wenn es nach der Administration geht, soll es dabei jedoch nicht bleiben. Sie identifizierte als weiteren Meilenstein die lange überfällige Ratifizierung des CTBT, unter anderem eine Herzensangelegenheit von Vizepräsident Joe Biden. In den 1990ern in der Genfer Abrüstungskonferenz ausgehandelt, legte Clinton den Vertrag dem Senat 1999 zur Ratifizierung vor – und kassierte die vielleicht größte (außenpolitische) Niederlage seiner Amtszeit: Der Senat schmetterte die Ratifizierung mit 51 zu 44 Stimmen ab. Das letzte Mal, dass der Senat einen sicherheitspolitisch relevanten Vertrag ablehnte, war 80 Jahre zuvor der Vertrag von Versailles.
Der CTBT kann erst in Kraft treten, wenn ihn jene 44 Staaten unterzeichnet und ratifiziert haben, die zur Zeit der Aushandlung des Vertrags über fortgeschrittene Kerntechnologie verfügten. Die Unterschrift und/oder Ratifikation von acht jener 44 Staaten steht noch aus: Ägypten, China, Indien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan – und USA. China hat angedeutet, dass es den Vertrag ratifizieren wird, sobald die USA dies getan haben. Indien machte seine Unterschrift ebenfalls abhängig von der US-Ratifikation und Pakistan schließlich von der Indiens. Ägypten, Führungsmacht der Blockfreien Staaten und traditionell ein Verfechter von stärkeren Abrüstungsbemühungen der Kernwaffenstaaten, würde nach der US-Ratifikation ebenfalls unter Druck geraten und vielleicht sogar gemeinsam mit Israel den Vertrag ratifizieren. Kurzum: der Senat könnte mit seiner Zustimmung zum CTBT eine Art „Ratifikations-Kaskade“ auslösen.
Ohne viel Phantasie kann behauptet werden, dass ein internationaler Teststopp unmittelbar im nationalen Sicherheitsinteresse der USA liegen dürfte. Nicht nur würde er die Fähigkeiten von potentiellen Gegnern, neue (Iran) bzw. kleinere (China) Sprengkopftypen zu entwickeln, erheblich erschweren. Angesichts des großen technologischen Vorsprungs, den die USA aus den über 1000 Tests (mehr als alle Nukleartests anderer Staaten zusammen) zwischen 1945 und 1992 gewinnen konnten, sollte ein Interesse bestehen, andere am Testen zu hindern. Die Ratifizierung des CTBT wäre außerdem ein von den Nichtkernwaffenstaaten lange eingeforderter Beleg für die Ernsthaftigkeit der Abrüstungsbemühungen der offiziellen Atommächte und würde das nukleare Nichtverbreitungsregime stärken. Tatsächlich sind heute viele ehemalige Gegner des Teststopps für eine schnelle Ratifizierung des Vertrags – auch viele Granden der Republikanischen Partei, Mitglieder der George W. Bush-Regierung, Militärs und frühere Direktoren der Waffenlabore (u.a. George Shultz, Henry Kissinger, Brent Scowcroft, Nicholas Burns, Linton Brooks, Siegfried Hecker und Colin Powell).
Doch dieser Tage zählen solche Argumente im Senat wenig. Mit Jon Kyl schied zwar Anfang Januar 2013 jener Senator aus dem Kongress aus, der 1999 die Nein-Stimmen organisiert hatte; ihren Hut nehmen mussten jedoch auch moderate Republikaner wie beispielsweise Richard Lugar oder Kay Bailey Hutchison. Das politische Washington ist dermaßen polarisiert, dass es bei Ratifikationen längst nicht mehr um die Substanz der Verträge geht. Vielmehr lässt sich schon seit einiger Zeit beobachten, dass Republikaner, die für einen Sitz im Senat kandidieren wollen, über den Reflex verfügen müssen, multilaterale Verträge abzulehnen – meist mit dem Verweis, dass diese die sakrosankte Souveränität der Vereinigten Staaten gefährden könnten. Hinzu kommt, so Dan Drezner, dass die Republikaner im Kongress wirklich jedes Mittel nutzen, um dem Präsidenten Steine in den Weg zu legen. Für die Ratifikation von New START etwa, eigentlich eine besonders „tief hängende Frucht“, stimmten nur 71 Senatoren, 26 votierten dagegen. Während des Kalten Kriegs war es noch verpönt, mit Außenpolitik Innenpolitik zu machen, und auch nach dem Zerfall der Sowjetunion erfreuten sich bilaterale Rüstungskontrollverträge wesentlich größerer, parteiübergreifender Mehrheiten: START I (1992) wurde mit 93 zu 6 Stimmen angenommen, START II (1996) mit 87 zu 4 und SORT (2003) gar mit 95 Ja- und gar keinen Gegenstimmen.
If the current climate in Congress has made passing domestic legislation difficult, it’s made the ratification of international law near-impossible.
— Joshua Keating in Slate
Eine ganze Reihe von internationalen Abkommen harrt heute der Ratifikation im Senat – ohne Aussicht auf die notwendige Mehrheit, etwa
- das Seerechtsübereinkommen,
- die Kinderrechtskonvention,
- die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau,
- die Streubomben-Konvention,
- der internationale Waffenhandelsvertrag,
- das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe,
- das Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen und
- die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
Nach New START hat der Senat zwar noch andere internationale Übereinkommen ratifiziert, aber es hat bis April 2014, also mehr als drei Jahre gedauert. Zwar waren es dann gleich vier auf einen Schlag, aber kurioserweise dienen alle dem Schutz der amerikanischen Fischerflotten. Joshua Keating bringt es auf den Punkt: „The U.S. Will Not Ratify Any Treaty Unless It Has to Do With Fish.”
Solange sich also an den Machtverhältnissen im Senat nichts grundlegend ändert, bleiben die Aussichten für die Ratifikation des Umfassenden Teststopps düster. Schon jetzt sind die Demokraten meilenweit entfernt von einer Zweidrittelmehrheit (zur Erinnerung: 67 Stimmen): Sie stellen 53 Senatoren, die Republikaner 45; dazu kommen noch zwei Unabhängige. Im November finden die Midterms statt, bei denen ein Drittel der Senatssitze zur Wahl steht. Nate Silvers FiveThirtyEight sagt eine lange Wahlnacht voraus. Erst an deren Ende wird klar sein, welche Partei die kommenden zwei Jahre – und damit die restliche Amtszeit von Präsident Obama – den Senat kontrollieren wird. Als relativ sicher gilt jedoch schon jetzt, dass die Demokraten ihre Mehrheit nicht in Richtung der benötigten Zweidrittel ausbauen werden. Die USA werden sich wohl auch für die mittelbare Zukunft verabschieden von der Ratifikation internationaler Verträge. In diesem Sinne: Macht’s gut, und danke für den Fisch!
Und warum fällt dann die große USA im Sicherheitsrat über das kleine Nordkorea her ?!